Im Landkreis Stormarn bekommen fast 1.800 Menschen Grundsicherung im Alter. Die Schere zwischen Arm und Reich wird immer größer.

Glinde/Reinbek. Donnerstagnachmittag in Glinde: Vor dem Gutshaus reihen sich Dutzende Menschen in eine Schlange ein, ziehen eine Nummer. Manche schauen mit hängenden Mundwinkeln auf die Zahl. "66. Das gibt dann wohl heute wieder nicht viel", sagt Ursula Meier (Name geändert). Sie atmet tief durch und sucht sich einen Schattenplatz zum Warten.

Ursula Meier ist eine von vielen älteren Frauen in Stormarn - dem reichsten Kreis Schleswig-Holsteins -, die den Euro dreimal umdrehen müssen, um über die Runden zu kommen. Weil ihre Rente vorn und hinten nicht reicht, steht sie jeden Donnerstag vor dem Keller des Gutshauses, wo der Verein Glinder Tisch Lebensmittel verteilt.

+++Glinder Tisch verteilt Lebensmittel+++

Die Schere zwischen Armut und Reichtum im Alter wird größer. Die Zahl der schleswig-holsteinischen Haushalte, die monatlich mehr als 1.700 Euro netto haben, ist von 2007 auf 2010 um fünf Prozent gestiegen. Auf der anderen Seite müssen laut Statistikamt schon zwölf Prozent der Haushalte, in denen die Haupteinkommensbezieher 65 Jahre oder älter sind, mit weniger als 900 Euro auskommen. Immer mehr von ihnen kommen ohne zusätzliche Unterstützung kaum über die Runden und beantragen bei den Kommunen die Grundsicherung im Alter.

"Im Kreis Stormarn verzeichnen wir steigende Fallzahlen. Und wir rechnen damit, dass dieser Trend anhält", sagt Jan-Christian Heth vom Fachbereich Soziales und Gesundheit der Kreisverwaltung. "Allein im vergangenen Jahr hatten wir einen Zuwachs von 90 Fällen", sagt Heth. Ende 2011 bekamen 1.777 Menschen Grundsicherung im Alter. Mehr als neun Millionen Euro werden dafür mittlerweile kreisweit ausgegeben. Heth: "Die Kosten werden weiter steigen." Der Altersdurchschnitt im Kreis ist hoch, in den kommenden Jahren gehen Tauende Menschen in Rente. "Viele einfach nicht genügend vorgesorgt und erschrecken regelrecht, wenn sie sehen, wie wenig sie bekommen", sagt Heth.

Ursula Meier aus Glinde gehört dazu. Sie lebt von 156 Euro Rente im Monat. Reicht das? Sie lacht. "Wie soll das reichen?", fragt sie und knibbelt ihren Zettel mit der Nummer 66 zwischen den Fingern. Ihre Eineinhalb-Zimmer-Wohnung für 360 Euro Miete zahle das Sozialamt. "Und dann gibt es noch ein wenig Stütze. Es sind knapp 300 Euro, die für alles reichen müssen."

Etwa 50 Euro könne sie in der Woche ausgeben. Alle sechs Wochen leistet sie sich einen Besuch beim Friseur. "Das ist mein Luxus, den brauch' ich. Da verzichte ich lieber aufs Essen", sagt die 74-Jährige, die ihr Leben lang gearbeitet, aber nur wenige Jahre in die Rentenkasse eingezahlt habe. Von ihrem Mann hat sie sich scheiden lassen. "Das ging nicht mehr, auch wenn es finanziell sicher heute besser mit ihm wäre. Aber es ist gut so, wie es ist."

+++Merkel verteidigt auf Seniorentag Rente mit 67+++

Auch Gertrud Lange (Name geändert) hatte sich von ihrem Mann getrennt. 800 Euro Rente bekommt sie. "380 Euro kostet die Miete, 30 Euro Strom, 30 Euro Telefon. Viel bleibt nicht zum Leben", sagt die 80-Jährige, die sogar noch vergleichsweise gut da steht. Laut Rentenversicherung bekommen Frauen durchschnittlich 473 Euro im Monat.

Berichte über finanzielle Sorgen hört Bärbel Schmidt vom Seniorenbeirat in Reinbek immer wieder. "Es fängt schon bei Kleinigkeiten an, die sich viele nicht leisten können. Etwa dem Frühstück beim Deutschen Roten Kreuz, das regelmäßig für 2,50 Euro angeboten wird. Das ist für einige zu viel. Sie müssen überlegen, ob sie dafür auf anderes verzichten", sagt Schmidt. Der Kostenbeitrag für den monatlichen Frühstückstreff beim Seniorenbeirat wurde deswegen auf 1,50 Euro gesenkt. "Für viele ist es ein wichtiger Termin, mal wieder unter Leute zu gehen, sich auszutauschen und nicht nur alleine zu Hause zu sitzen. Leider sind viele auch sehr einsam", sagt Bärbel Schmidt.

273 Menschen, die in Stormarn Grundsicherung im Alter bekommen, leben in Bad Oldesloe. Es folgt Ahrensburg mit 190 Rentnern. In Reinbek sind es rund 160. "Die Zahl ist in den letzten Jahren relativ stabil gewesen", sagt der Reinbeker Sozialamtsleiter Torsten Christ. Doch auch er rechnet mit hohen Zuwächsen.

"In Reinbek leben nicht nur immer mehr ältere Menschen, viele von ihnen waren von 1995 bis 2002 auch von der damals hohen Arbeitslosigkeit betroffen und keine Beiträge eingezahlt", sagt Christ. Er vermutet, dass die Zahl der armen Alten in Reinbek deutlich höher ist als die Zahl derer, die die Grundsicherung im Alter beziehen. "Viele wollen diese Unterstützung einfach nicht und beantragen lieber Wohngeld. Gerade bei der älteren Generation herrscht eine hohe verschämte Armut. Sie wollen nicht, dass jemand erfährt, wie wenig Geld sie monatlich zur Verfügung haben", sagt Christ.

Bei Jüngeren sei dies anders. Torsten Christ: "Ich kann nur jedem raten, die Unterstützung zu beantragen. Das ist schließlich ein Rechtsanspruch."