Wie die neue Parteiführung der Linken die Gräben zwischen Radikalen und Pragmatikern zuschütten will. Ein weiterer Streit bricht schon los.

Berlin. Leicht werden sie es nicht haben, die beiden neuen, noch so unbekannten Chefs der Linken. Das wissen Katja Kipping und Bernd Riexinger natürlich, seit sie am Wochenende die Führung dieser nach innen und außen so zerstrittenen Partei übernommen haben. Dementsprechend vorsichtig äußern sie sich dazu, wie es jetzt unter ihnen wieder nach vorn gehen soll. Dementsprechend vage sind ihre Ankündigungen an die nicht mal mehr 70 000 Parteimitglieder.

"Der Schlüssel zum Erfolg ist für uns eine Kultur der Offenheit und ein Gestus: Fragend schreiten wir voran", formulierte es die 34 Jahre alte sächsische Bundestagsabgeordnete Kipping in der "Leipziger Volkszeitung". Mit einer Vorstellungstour durch alle Landesverbände und der "Kunst des Zuhörens" wolle man um Vertrauen werben. Der 56 Jahre alte Gewerkschafter Riexinger aus Baden-Württemberg forderte im Deutschlandfunk: "Wir müssen dringend zur Politik zurückkehren."

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So einleuchtend und banal das zunächst klingt, so sehr ist es eine Mammutaufgabe, für die Kipping und Riexinger auf keinerlei Patentrezept zurückgreifen können. Auf dem Parteitag am Wochenende in Göttingen war der Streit um die neue Parteiführung in eine regelrechte Schlacht des radikalen, oppositionsorientierten Lagers mit dem pragmatischen, reformorientierten Lagers übergegangen und hatte sich in kämpferischen Reden ihrer jeweils prominentesten Vertreter - Oskar Lafontaine und Fraktionschef Gregor Gysi - auf offener Bühne Bahn gebrochen. Von "Hass", "Tricksereien" und "üblem Nachtreten" war bei Gysi die Rede, als es um die Lage in der Bundestagsfraktion ging. Für Lafontaine jedoch nur "Befindlichkeiten", wie er zu Protokoll gab.

Im Kern geht es bei dem Streit darum, ob die Linke einen konsequenten Oppositionskurs fahren oder sich - wie in einigen ostdeutschen Ländern - SPD und Grünen annähern und an Regierungen beteiligen soll. Es ist gewissermaßen ein geerbter Konflikt, der aus dem Zusammenschluss der westdeutschen WASG und der ostdeutschen PDS zur Linken im Jahr 2007 hervorgegangen ist. Während die Verbände in den neuen Ländern den eher pragmatischen Kurs vertreten, setzt man im Westen eher auf den radikalen Weg.

Kipping und Riexinger müssen's jetzt also richten und dabei nicht nur die Basis und die politischen Schwergewichte im Zaum halten, sondern vor allem die Bedürfnisse der Wählerschaft bedienen. Zuletzt war die Linke aus den Landtagen in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein geflogen, in bundesweiten Umfragen bewegt sie sich in der Nähe der Fünf-Prozent-Hürde.

Neben ihrer Tour durch die Landesverbände will Kipping deshalb auch im Internet nach Vorschlägen von Mitgliedern und Sympathisanten fragen, kündigte sie nun an - und bleibt inhaltlich vorsorglich auf vertrautem Terrain: Ihre Partei müsse Lobbyistin sein für Leiharbeiterinnen, für die bei der insolventen Drogeriekette Schlecker angestellte Frauen, für Solo-Selbstständige am Laptop und für Erwerbslose, die auf den Ämtern gedemütigt würden. Zwar wird Kipping zum Reformerlager gezählt, hat aber nicht dessen Spitzenkandidaten Dietmar Bartsch unterstützt, sondern für eine weibliche Doppelspitze geworben.

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Sie gilt damit als unabhängiger als Riexinger, dem von Kritikern nachgesagt wird, vor allem den Willen Lafontaines auszuführen - und dessen Wahl umgehend für Protest sorgte: Gestern Morgen legte der Vorstand des Kreisverbands Zollernalb sein Amt mit der Begründung nieder, Riexinger stehe für "die mehrheitlich beschlossene Abwendung der Bundespartei von demokratisch-sozialistischer Reformpolitik zugunsten einer zum Scheitern verurteilten Fundamentalopposition".

Der Hamburger Bundestagsabgeordnete Jan van Aken, der in Göttingen zum Vizechef der Linken gewählt wurde, warnt nicht nur deshalb, dass der Neuanfang auch schiefgehen kann. Auch wenn die Lage jetzt nicht mehr so ernst wie vor dem Parteitag sei, schwebe die Linke über dem Abgrund. "Im Moment haben wir die Chance, einen neuen Aufbruch hinzubekommen. Die große Frage ist, ob wir es auch schaffen, diese Chance zu nutzen. Aber allen muss klar sein, dass wir auch scheitern können", sagte er dem Abendblatt.

Dabei sei es zwar ein Nachteil, dass die neue Parteiführung unbekannt sei. "Aber vor allem Katja Kipping ist in der Lage, die Menschen ganz anders anzusprechen, als es die bisherige Parteiführung getan hat." Sie sei derart gut in ihren Reden und in der strategischen Planung, dass sie ihre Unbekanntheit schnell ändern könne, so van Aken. "Ich bin mir sicher, dass sie in einem Jahr neben Sahra Wagenknecht, Oskar Lafontaine und Gregor Gysi das vierte große Gesicht der Linken sein wird."

Während der eine Personalstreit beendet ist, steht der nächste vor der Tür. Die Linke muss sich nun Gedanken machen, wen sie bei der Bundestagswahl 2013 als Spitzenkandidaten ins Rennen schicken wird. Gysi kündigte an, er werde in dieser Sache "noch mal mit Oskar reden". Lafontaine hatte bei seinem Verzicht auf eine erneute Kandidatur für den Parteivorsitz allerdings erklärt, er wolle nicht Spitzenkandidat werden. Er erneuerte diese Aussage gestern - und warnte vor neuen Personaldiskussionen. Für den Hamburger van Aken steht jedoch fest, dass Lafontaine eine der Hauptrollen spielen muss: "Wenn wir bei der Bundestagswahl 2013 über fünf Prozent kommen wollen, dann brauchen wir Oskar Lafontaine, Gregor Gysi und Sahra Wagenknecht an der Spitze. Alle drei sollten als Spitzenkandidaten antreten."

Die SPD signalisiert unterdessen ihre Bereitschaft, von ihrer Partei enttäuschte Linke aufzunehmen. Jeder, der eintreten wolle, könne sich bei einem Ortsverein melden, sagte SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles. "Dies gilt auch für die Linkspartei."