Nach nur 81 Tagen in Amt gibt der Berliner Piratenchef auf und tritt überraschend von seinem Amt zurück und überrumpelt damit auch seine Partei.

Berlin. Hartmut Semken hat sein Amt als Vorsitzender der Berliner Piratenpartei niedergelegt. Er habe die Entscheidung am Dienstagabend im Anschluss an eine Vorstandssitzung getroffen, sagte er und bestätigte damit einen Bericht von " Tagesspiegel Online “. Zu den genauen Gründe wolle er sich aber vorerst nicht äußern. "Ich habe aber viel Vertrauen in den Landesverband, dass er die übrigen Vorstandsmitglieder nach Kräften unterstützen wird und dass die 3.450 Mitglieder der Berliner Piraten die Situation meistern werden“, sagte er.

Semken stand seit Wochen in der Kritik. Grund waren seine umstrittene Äußerungen in der Debatte der Piraten über den richtigen Umgang mit dem Rechtsextremismus. Der Berliner Landeschef hatte eine rigorose Abgrenzung gegenüber Rechtsextremen abgelehnt. Dafür hatte es aus den eigenen Reihen viel Kritik geerntet. Drei Mitglieder forderten ihn deswegen in einem offenen Brief zum Rücktritt auf.

Laut Parteisprecher Martin de Biel sollen allein diese Gründe aber nicht ausschlaggebend für den Rückzug gewesen sein. Vielmehr habe es auch Streit innerhalb des Vorstandes gegeben, weil getroffene Verabredungen nicht eingehalten worden seien. So hätten einige der übrigen Vorstandsmitglieder dem Vorsitzenden vorgeworfen, eigenmächtige Entscheidungen zu treffen und in der Kommunikation nach außen schwere Fehler zu begehen.

+++Streit um Rechte: Berliner Piratenchef zum Rücktritt aufgefordert+++

Semken hatte das Amt erst im Februar von seinem Vorgänger Gerhard Angerer übernommen. Am Mittwochabend will sich der Vorstand nun zu einer außerordentlichen Sitzung treffen und über das weitere Vorgehen beraten.

Hartmut Senken war nur 81 Tage im Amt und hat in dieser Zeit für heftige Schlagzeilen gesorgt und polarisiert. Nach Äußerungen zu rechten und linken Tendenzen in der Partei sah er sich schon nach Wochen mit internen Rücktrittsforderungen konfrontiert. Der Landeschef galt als angezählt. Damals konterte er noch: "Ich habe Mist gebaut, aber ich bleibe und stehe das durch“. Jetzt entschied er sich plötzlich über Nacht – und überrumpelt damit auch die Partei.

Für die bunten Hauptstadtpiraten wirkt der 45-Jährige mit seinem weißen Hemd, schwarzen Lederschuhen und dem sauber gestutzten Bart fast schon zu adrett. Doch das, was er – alles andere als brav – in Blogs schrieb und sagte, sorgte für Zündstoff.

Erst wandte sich Semken mit drastischen Worten gegen den Ausschluss von Piraten mit rechtsradikalen Positionen. "Es sind die "Rausschmeißen“ und "wir müssen uns abgrenzen“ immer-wieder- Herunterbeter, die das Naziproblem der Piraten darstellen“, schrieb er in seinem Blog. Dann bezeichnete er sich selbst als Linksextremisten und sorgte damit in der Partei für Verwirrung.

Noch vor drei Jahren war Semken nach eigenen Worten "total unpolitisch“. Zu den Piraten, damals noch völlige Neulinge, kam er 2009. Danach engagierte sich der Computer-Experte vor allem im Schiedsgericht der Partei. Seine Wurzeln hat der 45-Jährige auf dem Land. Er wuchs auf einem Bauernhof im Teufelsmoor in Niedersachsen auf. Als er acht Jahre alt war, zog die Familie nach Berlin.

Nicht nur sein Rücktritt, auch Semkens Wahl zum Landesvorsitzenden war im Februar eigentlich schon eine Überraschung. Konkurrentin Katja Dathe galt als Favoritin. Semken selbst hatte sich erst am Wahltag für eine Kandidatur entschieden, nachdem Amtsinhaber Gerhard Anger wegen "immensen Drucks“ und "emotionaler Belastung“ nicht wieder angetreten war. Jetzt ist nach nur drei Monaten der nächste Berliner Piratenchef verschlissen. (abendblatt.de/dpa/dapd)