Forderungen nach stärkerer Nutzung von Kohle- und Gaskraftwerken werden lauter. Parteivorstand verabschiedete eigenes Ausstiegskonzept.

Hamburg. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ist der von ihr angekündigten Energiewende möglicherweise zwei Schritte nähergekommen: Während sich SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier nach einem Treffen im Kanzleramt grundsätzlich bereit erklärte, den von Schwarz-Gelb angestrebten Atomausstieg mitzutragen, erhielt Merkel in ihrem Atomkurs Rückendeckung von der restlichen CDU-Spitze. Der Parteivorstand verabschiedete gestern ein eigenes Konzept, mit dem er sich hinter die von der Koalition geplante Energiewende stellt.

Unbeantwortet blieb jedoch die Frage, wann die Nutzung der Atomkraft nach den Vorstellungen der Regierung enden soll. Ein konkretes Ausstiegsdatum wurde weder von Merkel genannt, noch findet es sich in dem Strategiepapier, das sich für einen Ausbau der erneuerbaren Energien auf 80 Prozent der Stromproduktion bis 2050 ausspricht, aber auch auf Kohle- und Gaskraftwerke setzt. Einen sofortigen Ausstieg aus der Atomenergie lehnt die CDU jedoch ab. Generalsekretär Hermann Gröhe sagte, über die zeitliche Planung könne etwas gesagt werden, wenn im Mai die Berichte der Reaktorsicherheits- und der Ethikkommission zum Ausstieg vorlägen.

In der Union regt sich immer mehr Widerstand gegen ein konkretes Ausstiegsdatum. Der energiepolitische Sprecher der Unionsfraktion, Thomas Bareiß (CDU), sagte dem Abendblatt: "Ich halte Zahlenspiele über einen Ausstiegstermin für gefährlich. Damit setzt sich die Koalition leicht dem Zwang aus, sich immer weiter zu unterbieten." Die Wähler und Mitglieder der CDU hätten aber bereits jetzt Schwierigkeiten, den abrupten Wechsel in der Energiepolitik nachzuvollziehen. Der Parlamentskreis Mittelstand fordert in einem internen Positionspapier anstelle eines Fixdatums ein flexibles Ausstiegsszenario "mit Revisionsmechanismus", sodass die Erreichung des Ausstiegsziels alle zwei Jahre überprüft werden könnte.

Merkel hatte gestern die Chefs aller Parteien und Bundestagsfraktionen ins Kanzleramt eingeladen, um für ihren Fahrplan der Energiewende zu werben. Es gehe in diesem Zusammenhang sechs oder sieben Gesetzgebungsentwürfe, sagte SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier nach dem Treffen. Wenn es gelinge, hier angemessen auch über Alternativen zu diskutieren, "dann kann das Ganze in diesem Sommer beschlossen werden". Linken-Fraktionsvize Dietmar Bartsch warf der schwarz-gelben Koalition dagegen vor, beim Atomausstieg auf Zeit zu spielen und den Bürgern die Kosten für die Energiewende aufbürden zu wollen. Die Deutsche Energie-Agentur Dena warnte vor Stromengpässen im kommenden Winter. Sonnen- und Windenergie stünden nicht immer gesichert zur Verfügung, sagte Dena-Chef Stephan Kohler gestern in der ARD. Für eine sichere Versorgung seien deshalb nach Dena-Berechnungen neue Gas- oder Steinkohlekraftwerke mit einer Kapazität von 10 000 bis 12 000 Megawatt nötig. Es sei wichtig, dass "sehr schnell" überprüft werde, wie die Lage im kommenden Winter aussehen könnte, wenn der Stromverbrauch höher ist als im Frühjahr und Sommer.

Nach Ansicht von CDU-Politiker Bareiß werden erneuerbare Energien nur begrenzt den Wegfall der Kernkraft ersetzen können. Die Union habe bereits im Herbst ein ambitioniertes Energiekonzept beschlossen, der bis 2020 geplante Anteil erneuerbarer Energien an der Stromerzeugung von 35 Prozent sei kaum noch zu steigern. "Wenn wir jetzt schnell aus der Kernenergie aussteigen, dann müssen wir diese Stromkapazitäten ersetzen. Dazu werden wir neue Kohle- und Gaskraftwerke bauen oder mehr Strom aus dem Ausland importieren müssen."

Auch in der FDP wurden Bedenken laut. Der energiepolitische Sprecher der Bundestagsfraktion, Klaus Breil, warnte vor den Kosten der Maßnahmen, mit denen man die Stromknappheit vermeiden wolle. Das könne die Kilowattstunde um bis zu einen Cent pro Kilowattstunde verteuern. "Energieintensive Branchen können dann nicht mehr kostendeckend arbeiten", sagte Breil dem Abendblatt.