Hessens Ministerpräsident Roland Koch (CDU) über Konsequenzen aus der NRW-Landtagswahl und sein Déjà-vu am Wahlabend.

Wiesbaden. Er kehrte gestern Nachmittag von der Sitzung des CDU-Bundesvorstands in die hessische Staatskanzlei zurück und stellte sich den Fragen des Hamburger Abendblatts. Roland Koch, Ministerpräsident und stellvertretender Vorsitzender seiner Partei, sieht Schwarz-Gelb nicht als Auslaufmodell - sofern in Berlin jetzt entschlossen regiert wird. Union und FDP seien imstande, in Krisenzeiten schwierige Entscheidungen zu treffen.

Hamburger Abendblatt: Herr Ministerpräsident, wie groß ist die Erschütterung in der CDU über das Wahlergebnis von Nordrhein-Westfalen?

Roland Koch: Das ist eine herbe Niederlage. Sie hat die Konsequenz, dass die Mehrheitsbildung im Bundesrat komplizierter wird. Und sie muss Konsequenzen in der Arbeit der Bundesregierung haben. Die ersten sechs Monate von Schwarz-Gelb waren unbefriedigend.

An welche Konsequenzen denken Sie?

Die Regierungskoalition hat den Eindruck mangelnder Entschlossenheit und mangelnder Geschwindigkeit vermittelt. Schwarz-Gelb hat den Verdacht geweckt, dass Dinge erst nach dieser Landtagswahl auf die Tagesordnung kommen. Es ist die richtige Zeit, einen Punkt zu machen und zu sagen: Wir müssen jetzt mit entschlossenen gemeinsamen Schritten die Zukunft gestalten.

Die Kanzlerin hat als Erstes Steuersenkungen für die nächsten Jahre ausgeschlossen. Ein Zeichen von Entschlossenheit?

Die Steuersenkungsdebatte hat in den vergangenen Monaten alles überschattet, was diese Regierung zustande gebracht hat. Insofern hat die Kanzlerin einen notwendigen Befreiungsschlag unternommen. CDU, CSU und FDP sollten sich in den nächsten Tagen darauf verständigen, welche Schritte in dieser Wahlperiode möglich sind. Wir brauchen Klarheit, welche Teile des Koalitionsvertrages sich angesichts der weltwirtschaftlichen Lage und der Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat umsetzen lassen.

Was bedeutet das für die Steuerpolitik?

Steuervereinfachung wird in jedem Fall auf der Tagesordnung stehen. Das ist auch dringend geboten. Ansonsten rate ich dringend dazu, Spekulationen über Steuersenkungen in den nächsten beiden Jahren zu unterlassen. In der Zeit, die wir überblicken können, kommt diese Frage nicht mehr auf die Tagesordnung. Wir sagen nicht, dass Steuersenkungen unsinnig sind. Wir können sie aber leider nicht verwirklichen.

Was ist mit dem Vorhaben, das Gesundheitssystem auf ein Prämienmodell umzustellen?

Eine Gesundheitsreform in dieser Wahlperiode bleibt unser Ziel. Wir müssen sicherstellen, dass Gesundheit für die Bürger bezahlbar bleibt und die Arbeitskosten nicht davonlaufen. Minister Rösler hat einen klugen Weg gewählt, die Gesundheitsprämie in Schritten umzusetzen. Das Thema darf nicht vom Tisch.

Vergessen Sie nicht den Bundesrat?

Vieles lässt sich ohne Bundesrat durchsetzen. Die Wahl in Nordrhein-Westfalen markiert nicht das Ende von Politik.

Wo wollen Sie sparen?

Die Regierungskoalition muss die abstrakten Sparziele in den nächsten drei oder vier Wochen sehr konkret unterlegen. Das wird nicht bequem werden. Jetzt kommt es nicht darauf an, mit jedem einzelnen Schritt Popularität zu gewinnen. Jetzt kommt es darauf an, Entschlossenheit zu demonstrieren.

Konkret?

Wir haben uns hier und da zu Projekten entschlossen, die möglicherweise sehr viel teurer werden als zunächst gedacht: etwa die Garantie eines Betreuungsplatzes für Kinder unter drei Jahren. Wir müssen prüfen, ob das noch finanzierbar ist. Ein weiteres Feld ist die Bildungspolitik.

Sie wollen bei der Bildung sparen?

Sicherlich wird sich niemand von dem weltweit verabredeten Ziel verabschieden, zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Bildung zur Verfügung zu stellen. Aber wir werden den Zeitrahmen, den Bund und Länder miteinander einmal verabredet haben, um diese Steigerung zu erreichen, nicht einhalten können.

Welche Felder nehmen Sie noch ins Visier?

Wenn wir von Ausgabenkürzungen reden, ist wichtig, dass kein Bereich ausgelassen wird. Steuererhöhungen, die von der politischen Linken immer wieder gefordert werden, sind mit uns nicht zu machen - mit einer Ausnahme: Die Banken und der Finanzdienstleistungssektor müssen substanziell zur Sanierung der Wirtschaft beitragen. Nur dann kann man Subventionen mit dem Rasenmäher kürzen, ohne den Vorwurf sozialer Ungerechtigkeit auf sich zu ziehen.

Wer trägt die größere Verantwortung für das Wahldebakel - Kanzlerin Merkel oder ihr Stellvertreter Westerwelle?

Ich glaube, dass Diskussionen über persönliche Verantwortung unterbleiben sollten. Wichtig ist, dass CDU, CSU und FDP begreifen, dass sie gemeinsam für das Ergebnis verantwortlich sind.

Könnte Düsseldorf den Anfang vom Ende von Schwarz-Gelb markieren?

Das wäre eine falsche Schlussfolgerung. Aber Nordrhein-Westfalen ist ein Warnschuss für Schwarz-Gelb. Wir hätten die ersten sechs Monate besser nutzen können. Aber wir haben jetzt dreieinhalb Jahre Zeit, diesen Eindruck zu korrigieren. Schwarz-Gelb ist ein Projekt, das viel Faszination auslösen kann.

Sie halten die FDP immer noch für den idealen Koalitionspartner?

Es gibt eine hinreichende visionäre Übereinstimmung. Die Entfremdungserscheinungen, die es gab aus Gründen unterschiedlicher Rollen in der Vergangenheit, beginnen sich einzuebnen. Union und FDP sind imstande, in Krisenzeiten sehr schwierige Entscheidungen zu treffen, ohne die Zustimmung der Bevölkerung zu verlieren. Das müssen wir jetzt mit Entschlossenheit anpacken, dann hat Schwarz-Gelb natürlich eine Zukunft.

Welche Konsequenzen muss die CDU ziehen? Ist es geboten, das konservative Profil zu schärfen?

Die CDU ist eine Volkspartei, die ohne das konservative Element nicht gut aufgestellt ist. So wie das soziale und liberale Element unverzichtbar ist. Natürlich dürfen wir Menschen nicht verlieren, die ein traditionelleres Weltbild haben und die besorgt sind über die Schnelligkeit der Entwicklung unserer Gesellschaft. Menschen, die auch Orientierung finden im Christentum, müssen ein Signal bekommen: Ihre Heimat ist die CDU.

Sind bei Ihnen am Wahlabend auch Erinnerungen wach geworden an 2008, als Sie sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit Andrea Ypsilanti geliefert haben?

Ganz gewiss sind Erinnerungen hochgekommen. Ich weiß genau, wie es in Jürgen Rüttgers ausgesehen hat. Bemerkenswert finde ich, dass sich die SPD ein weiteres Mal in einem Siegesrausch verloren hat, der ihr jetzt enorme Probleme bereitet. Die CDU ist stärkste Partei. Und Jürgen Rüttgers hat jetzt eine große Verantwortung, die stabile Handlungsfähigkeit der CDU sicherzustellen.

Soll heißen?

Er muss als verlässlicher Ansprechpartner der CDU die Sozialdemokraten zu einer Entscheidung nötigen, ob sie zu einer Koalition der Vernunft bereit sind oder im größten Bundesland mit Linksradikalen eine Regierung bilden wollen.

Sehen Sie die Chance auf eine Große Koalition mit Rüttgers?

Ja. Eine Große Koalition wird es nur unter unserer Führung geben. Die CDU liegt 6000 Stimmen vor der SPD, das ist eine ganze Menge. Ich sehe die Chance auf eine Große Koalition, und sie wäre auch die beste Lösung. Als Erstes muss sich allerdings die SPD darüber klar werden, ob sie ihr Wort halten wird, nicht mit der Linkspartei zusammenzuarbeiten, oder ob sie dem Ypsilanti-Modell folgend ihr Wort um der Macht willen brechen will.

Herr Koch, Finanzminister Schäuble ist gesundheitlich angeschlagen. Sie werden als Nachfolger gehandelt .. .

Ich finde schon die Diskussion gegenüber Wolfgang Schäuble und seiner Arbeit unfair. Er hat auch in den letzten Wochen immer wieder gezeigt: Selbst mit einer Krankheit kämpfend ist er voll handlungsfähig.

An den entscheidenden Verhandlungen zur Rettung des Euro konnte er nicht teilnehmen. Schäuble musste in ein Krankenhaus in Brüssel gebracht werden.

In den bevorstehenden Haushaltsgesprächen werden wir seine Tatkraft erleben.

Ein Wechsel von Roland Koch nach Berlin bleibt ausgeschlossen?

Ich bin Ministerpräsident von Hessen. Dabei bleibt es. Punkt. Aus.