Die schwarz-gelbe Landesregierung muss die Abwahl fürchten. Das Abendblatt sagt Ihnen, was am Sonntag für wen auf dem Spiel steht.

Berlin. Es ist der wichtigste politische Termin des Jahres: Ganz Deutschland blickt Sonntag nach Nordrhein-Westfalen (NRW), wo 13,5 Millionen Menschen nicht nur entscheiden, wer künftig im Düsseldorfer Landtag das Sagen hat, sondern mit ihrem Votum auch das politische Machtgefüge in der Hauptstadt verändern können. Eine Schicksalswahl. Zuletzt galt es als offen, ob Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) in der Staatskanzlei bleiben kann, oder ob er für seine Herausforderin Hannelore Kraft (SPD) den Platz räumen muss. Sein politisches Überleben scheint an einem seidenen Faden zu hängen. Die Umfragen sagen ein spannendes Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen den großen politischen Lagern Schwarz-Gelb und Rot-Grün voraus - inzwischen allerdings mit leichten Vorteilen für Rot-Grün.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) könnte, so heißt es, an diesem Sonntag den Zenit ihrer Macht überschreiten, sollte die CDU/FDP-Regierung abgewählt werden. Nicht nur dass der Lack an ihrem Berliner Regierungsbündnis dann bereits nach sieben Monaten ab wäre. Schlimmer noch: Auch die eigene schwarz-gelbe Mehrheit im Bundesrat, der 50 Prozent aller Gesetze absegnen muss, wäre passé. Zwar heißt es aus dem Kanzleramt, die Bedeutung einer eigenen schwarz-gelben Mehrheit in der Länderkammer werde "überschätzt". Doch auch innerparteilich wäre Merkel mit neuem Ärger konfrontiert. Bereits Montagabend wollen sich Konservative wie Hessens CDU-Fraktionschef Christean Wagner und Baden-Württembergs Ministerpräsident Stefan Mappus in Berlin treffen, um den Wahl-Ausgang zu beraten.

Am meisten auf dem Spiel steht aber für Rüttgers selbst: Sollte er das Wunder noch schaffen, also die Verlängerung für fünf weitere Jahre Schwarz-Gelb, würde er zu einer Art Nebenkanzler aufsteigen, ohne dessen Wort in Berlin nichts mehr geht. Sollte am Ende Schwarz-Grün stehen, würde er zumindest zur Leitfigur eines Koalitionsmodells avancieren, das nicht wenige in der Union als Alternative für den Bund betrachten. Würde am Ende aber die SPD gar an der CDU vorbeiziehen und stärkste Kraft werden - in Berlin wird das nicht mehr ausgeschlossen -, dann stünde Rüttgers vor den Trümmern seiner politischen Karriere. In diesem Fall wäre nicht garantiert, dass er Landesvorsitzender der CDU in NRW bleibt. Als Nachfolger gehandelt wird bereits Kanzleramtsminister Ronald Pofalla, der Interesse daran haben soll, seine Hausmacht in NRW auszubauen.

SPD-Spitzenkandidatin Hannelore Kraft ist da in einer besseren Ausgangsposition. Sie, der anfangs allenfalls Außenseiterchancen eingeräumt wurden, bewegt sich in den Umfragen nun auf Augenhöhe mit dem ins Strudeln geratenen Landesvater. Da sich bis zuletzt aber auch für SPD und Grüne keine klare Mehrheit abzeichnete, wird alternativ über das Zustandekommen einer Großen Koalition oder aber einer rot-rot-grünen Koalition spekuliert. In jeder dieser Konstellationen käme Kraft eine zentrale Rolle zu. Ihr ohnehin nicht geringer Einfluss in der Bundespartei würde weiter wachsen.

Sollte ein Regierungseintritt der Genossen allerdings scheitern, könnte Kraft den Unmut des Bundesvorsitzenden Sigmar Gabriel dauerhaft auf sich ziehen, der die Kandidatin im Vorfeld eindringlich gebeten haben soll, jegliche Zusammenarbeit mit der Linkspartei kategorisch auszuschließen, um konservative SPD-Wähler nicht abzuschrecken. Kraft war dazu in dieser Deutlichkeit aus taktischen Gründen aber nie bereit.

Denn Gabriel braucht den Machtwechsel in NRW wie die Luft zum Atmen. Die im Bundestag dezimierten Genossen könnten wieder mehr mitreden, über den Bundesrat gar wieder mitregieren. Merkel wäre gezwungen, sich häufiger mit Gabriel abzustimmen, dessen Aussichten auf die Kanzlerkandidatur dann besser denn je wären.

Dramatisch dagegen die Lage bei den Liberalen: Schon jetzt zeichnet sich ab, dass Nordrhein-Westfalens FDP-Chef Andreas Pinkwart die Hauptverantwortung übernehmen soll, wenn die Wahl verpatzt wird. Sein Verhältnis zu Parteichef Guido Westerwelle, der so aus der Schusslinie zu kommen hofft, gilt als belastet. Pinkwarts Perspektive auf einen dauerhaften Verbleib an der Parteispitze wäre geschwächt. Westerwelle hingegen müsste sich auf das Szenario einstellen, dass Merkel bei sämtlichen Reformvorhaben, die ihr und der Union zu weit gehen, schulterzuckend auf die fehlenden Bundesratsmehrheiten verweist. Dem ohnehin belasteten Klima in der Koalition wäre das kaum zuträglich, seine Parteibasis würde noch nervöser, als sie es jetzt schon ist. Aber Westerwelle hat noch andere Sorgen: Sollte es am Sonntag für Schwarz-Grün reichen, dann könnte ihm die CDU mittelfristig auch im Bund von der Fahne gehen.

Grünen-Spitzenkandidatin Sylvia Löhrmann wird jedenfalls von Kraft wie von Rüttgers umworben. Wenn es für Rot-Grün nicht reicht, dann wird sie mit der CDU verhandeln. Parteichef Cem Özdemir, der mit Vorliebe schwarz-grüne Perspektiven auslotet, wäre das nur recht. Dann gäbe es den Flächenstaat, der ihm noch fehlt, um das Modell auch für den Bund auf die Tagesordnung zu hieven.

Linken-Spitzenkandidatin Bärbel Beuermann und Bundestagsfraktionschef Gregor Gysi müssen hingegen darauf hoffen, dass Hannelore Kraft nur im Dreierbündnis an die Macht kommen kann. Doch am Ende könnte die Partei auch noch an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern. Wegen der erwarteten hohen Wahlbeteiligung.