In einem Glaskasten nahmen die drei Frauen der Punkband Pussy Riot tapfer ihren Schuldspruch hin. Das Gebäude war wie ein Hochsicherheitstrakt gesichert.

Hamburg/Moskau. Nur russische Schwerverbrecher werden sonst so wie die drei Aktivistinnen der Moskauer Punkband Pussy Riot im Chamowniki-Gericht der Weltöffentlichkeit in Handschellen vorgeführt. Für ihr Protestgebet gegen Kremlchef Wladimir Putin in einer Kirche werden sie zu je zwei Jahren Straflager verurteilt. Sie seien schuldig, aus tiefstem Hass gegenüber Gläubigen die Gefühle russisch-orthodoxer Christen verletzt zu haben, hören die Frauen stehend in ihrem Glaskasten von Richterin Maria Syrowa. Es ist der Anfang von fast drei Stunden Urteilsverkündung am Freitag.

Vor dem von Hundertschaften der Polizei gesicherten Saal rufen Fans der politischen Künstlerband, deren Markenzeichen bunte Sturmhauben sind, „Freiheit für Pussy Riot“ und „Schande für Russland“. Es gibt Dutzende Festnahmen, auch die Kremlgegner Garri Kasparow und Sergej Udalzow werden abgeführt.

Doch auch Nadeschda Tolokonnikowa (22), Maria Aljochina (24) und Jekaterina Samuzewitsch (30) zeigen sich nach ihrem Eilprozess einmal mehr kämpferisch. Sie wollen sich Kremlchef Putin nicht beugen. Mit gelegentlichem Lächeln nehmen sie das mit Spannung erwartete Urteil auf.

„Das Herz wird mir schwer – keine Gnade“, twitterte im Gerichtssaal die Grünen-Bundestagsabgeordnete Marieluise Beck. „Einem Putin stellt frau sich nicht ungestraft entgegen... Es läuft mir kalt den Rücken herunter.“ Die Osteuropaexpertin fragt sich, ob Putin politisch schon so geschwächt sei, dass er sich an diesen „Elfen“ räche. Und Beck fühlt sich wie viele an grauen sowjetische Zeiten erinnert, als Dissidenten verfolgt wurden.

Nur von der Gesellschaft isoliert – so hatte es auch die Staatsanwaltschaft in ihrer Forderung nach drei Jahren Haft formuliert – könnten sich die Frauen bessern, sagt Syrowa. Weil die seit März dauernde Untersuchungshaft angerechnet wird, kommen die Frauen, von denen zwei junge Mütter sind, spätestens 2014 frei. Doch ihre Anwälte, die dies für einen Justizskandal halten, hoffen auf Freispruch in der nächsten Instanz – oder vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Solange werden die jungen Frauen wohl weiter im Untersuchungsgefängnis in Moskau sitzen.

+++ Angeklagte Band Pussy Riot: "Wir gewinnen sowieso" +++

Erleichtert nehmen russisch-orthodoxe Christen das Urteil auf. Ihnen spricht die umstrittene Richterin Syrowa aus dem Herzen, als sie den „wilden Veitstanz“ in dem für Frauen verbotenen Altarraum scharf als Verbrechen verurteilt. Die Frauen hätten sich den 21. Februar als Termin vor Beginn der Fastzeit ausgesucht, um den Gläubigen maximalen emotionalen Schaden zuzufügen.

Mehrfach kritisiert die 50-jährige Richterin die „grobe Störung der öffentlichen Ordnung“ und „Nichtachtung der Gesellschaft“. Langatmig lässt Syrowa die Sicht von Kirchenmitarbeitern auf das einminütige Geschehen Revue passieren. Die Aktivistinnen hätten sich entkleidet, mit einer E-Gitarre gelärmt und Losungen gegen Gott gebrüllt, die die Anwesenden zutiefst beleidigt und traumatisiert hätten.

+++ 100 Demonstranten zeigen Solidarität mit Pussy Riot +++

Richterin Syrowa liest und liest. Und sie folgt nicht der Linie der Verteidigung, die Frauen hätten mit dem Protest gegen Putin in der Kirche ihr Recht auf freie Meinungsäußerung ausgeübt. „Hass und Feindschaft gegenüber Gläubigen“ hätten sie zu der Aktion getrieben, betont Syrowa. Die Künstlerinnen Nadja, Mascha und Katja, wie sie Freunde nennen, sahen sich schon vorab als „Gesandte des Teufels“, „Ausgeburten der Hölle“ und „Hexen“ in den Staatsmedien verurteilt.

Ihre Fans allerdings sehen sie längst als „mutige Engel gegen Putin“. Sie hatten einen solchen Richterspruch erwartet, wenngleich etwa Anwalt Mark Fejgin noch einmal betonte, dass das Verfahren eigentlich nur mit einem Freispruch hätte enden dürfen.

Kämpferisch zeigte sich Pussy-Riot-Frontfrau Nadja Tolokonnikowa erneut in ihrem blauen T-Shirt und der geballten Faust darauf. „Wir sind froh, dass wir unfreiwillig zum Epizentrum eines großen politischen Ereignisses geworden sind“, sagte Tolokonnikowa in einem Interview mit der kremlkritischen Zeitung „Nowaja Gaseta“. Und auch die übrigen Pussy-Riot-Mitglieder, die im Untergrund agieren, haben weitere politische Aktionen angekündigt gegen eine korrupte Oligarchie und totalitäre Tendenzen in Russland.