Das Protestgebet, das die russische Band Pussy Riot vor Gericht gebracht hat, prangert auch die Verquickung von Macht und Kirche an. Spannt der Kreml die Kirche vor seinen Karren, um gegen Kritiker vorzugehen?

Moskau. Der Moskauer Prozess gegen die Skandalband Pussy Riot entzweit Russland. Kritiker sprechen von einem einmaligen Justizskandal: Der Kreml benutze die Kirche, um gegen die Opposition vorzugehen. Die Anklage besteht dagegen darauf, dass das Verfahren unpolitisch sei. Die Frauen seien Rowdys, also Kriminelle. Mit ihrem Auftritt in der Erlöserkathedrale hätten sie die Gefühle der Gläubigen verletzen wollen. Von der Kritik an Kremlchef Wladimir Putin ist in der Anklage offiziell keine Rede. Wichtige Fragen und Antworten zu dem Verfahren.

Warum sehen Kritiker das Verfahren als politischen Prozess?

Mit ihrem Protestgebet in der wichtigsten Kathedrale Russlands haben die Künstlerinnen von Pussy Riot die zentralen Pfeiler der Gesellschaft empfindlich getroffen: das System Putin und die einflussreiche russisch-orthodoxe Kirche. Dafür lasse Ex-Geheimdienstchef Putin die jungen Frauen nun büßen, wie viele meinen. Mit dem Prozess sende er ein deutliches Zeichen an seine Gegner aus. Die Organisation Amnesty International kritisiert die lange Untersuchungshaft seit Anfang März als unverhältnismäßig.

Was sind die Gründe dafür, dass Russlands Justiz als Willkür- und Unrechtssystem international in der Kritik steht?

Russische Richter sehen sich oft dem Vorwurf ausgesetzt, korrupt zu sein und in politischem Auftrag zu urteilen anstatt die Interessen einfacher Bürger zu vertreten. Schwere Defizite in puncto Rechtsstaatlichkeit hatte auch Regierungschef Dmitri Medwedew eingeräumt. Immer wieder wird Russland wegen schwerer Justizpannen vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu hohen Geldstrafen verurteilt. Besonders das Chamowniki-Gericht, das nun den Fall Pussy Riot verhandelt, steht im Ruf, politische Urteile zu fällen. Dort wurde auch der Ex-Öl-Milliardär und Putin-Kritiker Michail Chodorkowski verurteilt. Seine Gefängnisstrafe endet 2016.

Welche Ziele verfolgen Anklage und Verteidigung?

Gleich zum Prozessauftakt prallten die unterschiedlichen Ansichten im Gerichtssaal aufeinander. Die Verteidigung stilisiert die Angeklagten zu Heldinnen, die sich für ihr Ideal von Rede- und Meinungsfreiheit opfern. Die Anklage betont den kriminellen Charakter des Auftritts. Mit Hilfe von neun Nebenklägern – Menschen, die während des Punkgebets am Vormittag des 21. Februar in der Erlöserkathedrale ihrer Arbeit nachgingen – soll bewiesen werden, dass die Frauen vorsätzlich und nachhaltig die Gefühle orthodoxer Christen beleidigt haben.

Pussy Riot kritisiert auch die Kirche – worum geht es dabei?

Die Künstlerinnen bezeichnen sich selbst als russisch-orthodoxe Christen, die sich aber in der Kirche fremd fühlen. Dem Kirchenoberhaupt, Patriarch Kirill, werfen sie eine zu enge Verbindung zu Putin und dem Machtapparat vor. Das kritisieren auch viele Gläubige. Dem Patriarchat wird außerdem vorgeworfen, die Erlöserkathedrale für nicht genehmigte Geschäfte zu nutzen. Dort würden wie in einem Geschäftszentrum Waren verkauft und Dienstleistungen angeboten, heißt es.

Welche Rolle spielt die russisch-orthodoxe Kirche bei dem Vorgehen gegen Pussy Riot?

Es gibt keine einheitliche Kirchenposition. Der Chefideologe des Patriarchats, Wsewolod Tschaplin, plädiert allerdings für eine harte Bestrafung der Künstlerinnen. Liberale Kirchenkreise fordern hingegen eine sofortige Freilassung der Frauen. Sie halten das Vorgehen wegen einer einminütigen Protestaktion in der Kirche für überzogen. Nach jahrzehntelanger Unterdrückung unter der kommunistischen Diktatur der Sowjetunion reagiert die russisch-orthodoxe Kirche allerdings traditionell gereizt auf jede Form von Kritik.

Wie geht es mit der kremlkritischen Band nun weiter?

Vor Gericht stehen drei junge Frauen – zu Pussy Riot gehören nach Angaben der Anwälte aber etwa 20 Künstlerinnen. Aus Angst, ebenfalls festgenommen zu werden, sind einige von ihnen vorübergehend ins Ausland geflüchtet oder halten sich versteckt. Allerdings tauchen die Aktivistinnen immer wieder in der Öffentlichkeit auf – etwa bei einem Konzert der US-Rockgruppe Faith No More in Moskau. International ist die Unterstützung riesig, zuletzt machte Rockstar Peter Gabriel den Inhaftierten in einem Brief Mut.