In den größten Städten tobt die Entscheidungsschlacht zwischen Militär und Aufständischen. Zypern plant die Rettung von 200.000 Menschen

Damaskus/Kairo/Nikosia. Die Entscheidungsschlachten in den syrischen Metropolen Damaskus und Aleppo treiben immer mehr Menschen in die Flucht. Die EU-Innenminister wappneten sich am Montag auf Zypern für den Fall, dass die Flüchtlingswelle bis nach Europa schwappt. Wenn die Menschen in den Nachbarländern nicht ausreichend Hilfe fänden, würden sie weiterziehen, sagte die zyprische Innenministerin Eleni Mavrou beim Treffen der EU-Innenminister in der zyprischen Hauptstadt Nikosia. Rund 200.000 Europäer, Amerikaner und andere Drittstaatler sollen im Notfall nach Zypern in Sicherheit gebracht werden. So viele Menschen müssten ihre Gastländer Syrien und Libanon bei einer weiteren Verschärfung der Lage wohl verlassen.

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Dann könnten die Evakuierten auf Zypern für mindestens 48 Stunden ein Dach über dem Kopf und Versorgung finden. „Die Vorbereitungen dafür sind abgeschlossen“, sagte Ministerin Mavrou. „Wir haben schon festgelegt, wo wir die Evakuierten unterbringen werden.“ Mehrere EU-Regierungen, darunter auch die Bundesregierung, hätten inzwischen Experten nach Nikosia geschickt, um die Betreuung ihrer Landsleute zu organisieren. Der kleine Inselstaat Zypern, der derzeit die EU-Präsidentschaft innehat, liegt im Mittelmeer vor der Haustür Syriens. Die Hafenstadt Famagusta ist nur etwa 170 Kilometer von Syrien entfernt. Flüchtlinge könnten aber auch über die Türkei und den türkischen Nordteil Zyperns über die lange grüne Grenze in den Süden gelangen. Mavrou warnte, dass die EU bald handeln müsse: „Derzeit spüren wir den Druck noch nicht, die Menschen fliehen in die Nachbarländer.“ Aber wenn die Lage sich dort verschlimmere, würden sie weiterziehen: „Es geht schließlich um ihr Überleben, wir können das nicht ignorieren.“

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Die EU-Minister diskutierten bei dem Treffen über die Unterstützung von Flüchtlingen in Syriens Nachbarländern Türkei, Libanon, Jordanien und Irak, wo rund 120.000 Menschen gestrandet sind. Das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR forderte von den EU-Ländern mehr finanzielle Hilfe. Nach UN-Schätzung werden aktuell 193 Millionen US-Dollar (159 Mio Euro) gebraucht – bislang sei nur ein Bruchteil davon zusammengekommen, auch wegen der Schuldenkrise in Europa. Bislang haben die Europäer von dem Flüchtlingsstrom aus Syrien kaum etwas gemerkt. Seit Ausbruch des Konflikts vor beinahe 17 Monaten registrierten die EU-Länder laut Statistikamt Eurostat lediglich 12.000 Asylbewerber syrischer Herkunft.

Zypern, das jüngst Hilfe aus dem Euro-Rettungsfonds beantragt hat, sieht sich im Fall einer Flüchtlingswelle überfordert und verlangt von anderen Ländern Hilfe: „Unsere Partner in der EU müssen verstehen, dass wir ein zu kleines Land sind, um eine solche Belastung alleine zu tragen“, klagte die Ministerin

In Syrien gehen die Kämpfe unvermittelt weiter. In der nordsyrischen Stadt Aleppo hissten die Aufständischen nach Augenzeugenberichten in etlichen Vierteln ihre Flaggen. In Damaskus eroberte das Militär zwei Viertel zurück. Nach Angaben des UN-Generalsekretärs Ban Ki Moon sind seit Beginn der Aufstände vor 17 Monaten in Syrien 17.000 Menschen getötet worden.

Zuvor hatte die Arabische Liga dem syrischen Machthaber Baschar al-Assad „freies Geleit“ und einen „sicheren Hafen“ angeboten, wenn er sich von der Macht trenne. Das arabische Staatenbündnis forderte Al-Assad erneut zum raschen Rücktritt auf. Der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Michael Link (FDP), sagte vor einem Treffen der EU-Außenminister in Brüssel: „Er (Assad) kann sicherlich noch mehr Menschen töten, er kann aber mit Sicherheit nicht mehr siegen.“ Nun gehe es darum, den Ring um ihn enger zu ziehen. Die Minister beschlossen am Montag schärfere Sanktionen gegen das Regime und setzten nach Diplomatenangaben 26 Personen und drei Unternehmen neu auf die EU-Strafliste. Dabei geht es vor allem um Einreiseverbote und das Einfrieren von Vermögen.

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Aus der nordsyrischen Handelsmetropole Aleppo berichtete ein Augenzeuge dem arabischen Nachrichtensender Al-Dschasira von „schlimmsten Kämpfen“. Die bewaffnete Opposition hatte am Sonntag den Sturm auf die zweitgrößte Stadt des Landes ausgerufen. Aleppo sei voller Flüchtlinge aus den Städten Homs und Hama, berichtete der Mann. Die Versorgungslage werde immer schwieriger, die Preise seien in den Himmel geschossen. Wie für alle Informationen gab es auch hierfür von unabhängiger Seite keine Bestätigung.

In Damaskus soll das Militär nach Angaben von Aktivisten mit massivem Einsatz von Soldaten und Panzern die Kontrolle über die beiden Viertel Al-Messe und Barse zurückerobert haben. Die Aufständischen hätten den „taktischen Rückzug“ angetreten, hieß es. Rund 30 Menschen sollen bei den Gefechten in den Morgenstunden getötet worden sein, unter ihnen auch Zivilisten. Die Rebellen hatten vor gut einer Woche mit einer Offensive Assad erstmals in seiner Hauptstadt angegriffen. Am Wochenende gelang es ihnen, mehrere wichtige Grenzübergänge zur Türkei und zum Irak unter ihre Kontrolle zu bringen.

Außenminister Guido Westerwelle (FDP) sieht die Lage in Syrien an einem „Wendepunkt“. Er gehe vom Zerfall des Assad-Regimes aus, befürchte aber, dass das Regime das Land zuvor noch tiefer ins Chaos versinken lasse