Nordkoreas designierter Machthaber Kim Jong Un muss sich nun als neue Führungsfigur behaupten. Hilfe bekommt er dabei von seiner Familie.

Seoul/Washington. Als Kim Jong-il nach dem Tod seines Vaters die Macht in Nordkorea übernahm, war er schon lange als Nachfolger bekannt und hatte fast 20 Jahre Zeit gehabt, sich auf die Aufgabe vorzubereiten. Seine Position war gefestigt. Jetzt, nach seinem Tod, steht Sohn Kim Jong Un hingegen noch ganz am Anfang und muss sich erst behaupten. Damit ist fraglich, wer künftig wirklich das Sagen in Pjöngjang hat.

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Erst vor 15 Monaten wurde der noch nicht einmal 30-jährige Kim Jong Un als designierter neuer Machthaber Nordkoreas vorgestellt. „Kim Jong-il lief ein rasendes Rennen gegen die Zeit“, sagt Jonathan Pollack, Nordkorea-Experte am Brookings-Institut in Washington. „Und er hat verloren.“ Der 69-Jährige starb zu früh, um seinen jüngsten Sohn noch fest zu etablieren. Kim Jong Un fehlt Reife und Erfahrung, meinen Experten. Deshalb sei er auf jeden Fall auf die führende Hand der engsten Vertrauten seines Vaters angewiesen, bevor er offiziell die Macht übernehme.

An erster Stelle werden dabei Tante Kim Kyong Hui und Onkel Jang Song Thaek genannt. Tante Kim, die jüngere Schwester des verstorbenen Präsidenten, machte sich seit 2009 einen Namen in den Machtzirkeln Nordkoreas. Die 65-Jährige ist Chefin einer wichtigen Industrieabteilung im Zentralkomitee der Regierungspartei, wurde im vergangenen Jahr ins Politbüro ernannt und ist Generalin der Streitkräfte. Ihr wird ein aufbrausendes Temperament nachgesagt, und sie soll bei nicht allzu guter Gesundheit sein.

Ihr Mann Jang Song Thaek, ein sowjetisch ausgebildeter Technokrat, machte zunächst in den mächtigen Kreisen Pjöngjangs Karriere, bis er Anfang 2004 zurückgedrängt wurde – eine Warnung seines regierenden Schwagers, dass er seinen Einfluss nicht zu sehr ausdehnen dürfe. Zwei Jahre später wurde Jang wieder mit im Boot aufgenommen. Der ebenfalls 65-Jährige leitet die Verwaltungsabteilung der Partei und hat nach Angaben des südkoreanischen Sejong-Forschungszentrums die Aufsicht über Geheimdienst und weitere einflussreiche Institutionen, die dem Militär nahe stehen. Seit Juni 2009 ist er zudem stellvertretender Vorsitzender der mächtigen Nationalen Verteidigungskommission. Seine Verbindungen in die Führungszirkel der Streitkräfte sind eng.

Dem Jungen zur Seite stehen

„Jang ist eindeutig jemand, dessen Aufgabe für die Familie Kim darin besteht, Kim Jong Un anzuleiten und zu führen“, erklärt der frühere US-Sondergesandte für Nordkorea, Stephen Bosworth. Außerdem müsse Jang dem unerfahrenen designierten Machthaber helfen, Angriffe auf die Autorität der Familie abzuwehren. Kim Jong-il habe es geschafft, rivalisierende Fraktionen in den Machtzirkeln des Landes in ihre Schranken zu weisen, so dass jeder gewusst habe, wo sein Platz sei. „Die entscheidende Frage ist, ob Kim Jong Un das kann“, sagt Bosworth. Zu Hilfe komme ihm neben Rückendeckung der Familie vor allem die Tatsache, dass das kommunistische Nordkorea nur die Herrschaft der Kims kenne. Als Enkel des 1994 gestorbenen Staatsgründers Kim Il Sung erbt Kim Jong Un die Macht in dritter Generation.

Wie wichtig die Position von Onkel und Tante eingestuft wird, zeigt ein am Samstag von der amtlichen Nachrichtenagentur KCNA veröffentlichtes Bild von Kim Jong-il. Darauf ist der „Geliebte Führer“ auf einer Rolltreppe zu sehen, hinter ihm sein Sohn und designierter Nachfolger – umrahmt von Onkel Jang und Tante Hui.

Kim Jong Un habe noch „kein Profil in der Partei, kein Profil in den Streitkräften“, betont Victor Cha vom Zentrum für Strategische und Internationale Studien CSIS in Washington. „Die Frage ist, ob die tief verwurzelten Verbindungen von Kim Jong-il bei dem jungen General überdauern.“ Kim, dessen Alter nie genau benannt wurde, ist nach Angaben eines Nordkorea-Experten in Washington 27 Jahre alt. Von den drei Söhnen des verstorbenen Präsidenten sei er derjenige, der dem Vater am meisten ähnele. „Kim Jong-il hat den Apfel gewählt, der nicht weit vom Stamm fiel“, sagt der Insider.

Wann der jüngste Spross die Macht offiziell übernimmt, ist offen. Die Trauerperiode kann sich über Monate oder Jahre hinziehen. Kim Jong-il ließ nach dem Tod seines Vaters drei Jahre verstreichen, bevor er das Amt übernahm, wie John Delury von der Yonsei-Universität in Südkorea erklärt. Während dieser Interimszeit könnte Kim Jong Un erst einmal in der zweiten Reihe agieren. „Wenn er sich – in Einklang mit der traditionellen Trauer und seinem jungen Alter – zurückhält, und sei es auch nur für zwei Jahre, während er sich positioniert, dann ist es sehr schwer, abzusehen, wie sich die Balance zwischen Kim Jong Un und diesen anderen, erfahreneren Figuren entwickelt.“