Den Bürgern des wirtschaftlich gebeutelten Landes ist der neue Ärger um die Volksabstimmung gar nicht recht. Eine Reportage aus Athen

Athen. Die beiden Wachsoldaten unter ihren weiß-blauen Baldachinen stehen in der Mittagssonne so stramm, wie die Evzonen vor dem Parlament immer stehen. Kein dummer Schabernack von Touristen, die sich mit den historisch Uniformierten fotografieren lassen wollen, bringt die Garde aus der Ruhe. Wohl nirgends sonst ist Griechenland dieser Tage so stabil wie an dieser Stelle mitten in Athen.

Menschen jedes Alters eilen vorbei, auf dem Weg zur Arbeit, in die Mittagspause oder wohin auch immer. Politik? Beschäftigt die Griechen permanent, aber hier vor dem Parlament nun gerade nicht. Bei der Frage nach dem Referendum über die EU-Hilfen für Griechenland, das Ministerpräsident Giorgos Papandreou am Montag angekündigt hat, zucken die meisten im Vorbeilaufen nur mit den Schultern. "Gar nicht gut", sagt einer der Passanten in einer eleganten dunklen Lederjacke. "Gerade war etwas Ruhe eingekehrt, nun herrscht an den Börsen und in der Politik wieder Chaos."

An einem nahe gelegenen Kiosk hängt die Phalanx der griechischen Tagespresse. Die meisten Blätter zeigen auf dem Titel Papandreou bei seiner Regierungserklärung vor dem Parlament. Der Kioskbesitzer, der sich als John vorstellt, hat zum Referendum keine Meinung, zur Politik aber schon: "Verdammte Politik und Bürokratie im Land, sie bringen uns nichts als Ärger. Sollen sie doch den ganzen Staatsbesitz verkaufen und endlich gute Arbeit für die Menschen machen", ruft er, breitet seine Arme aus und scheint gleich aus seiner Bude herausspringen zu wollen.

Das politische Klima im Land ist angespannt. Die Menschen wissen, dass sie wirtschaftlich tief in der Klemme stecken. Den richtigen Weg aus der Misere hinaus kennen sie nicht. Noch mehr sparen bei den Ausgaben der öffentlichen Hand - aber wo? Endlich investieren in den Wiederaufbau der griechischen Wirtschaft - aber wer?

Auf etlichen Fernsehkanälen laufen politische Diskussionsrunden, die diesen Namen nicht verdienen. Die Teilnehmer herrschen sich in ihren Beiträgen im Wesentlichen gegenseitig an. Im kollektiven Bewusstsein Griechenlands hat sich festgesetzt, dass die meisten Bürger harte Zeiten vor sich haben. Dieser Stress ist in der öffentlichen Auseinandersetzung deutlich zu spüren.

Wenige Straßen vom Parlament entfernt ebbt der erdrückende Straßenlärm ein wenig ab. Im fünften Stock eines Wohn- und Bürohauses betreibt Alkiviadis Pappas seine Kanzlei, ein Anwalt für Handelsrecht, der an der Universität Hamburg studiert und 1985 dort promoviert hat. Pappas ist von der Ankündigung des Referendums nicht allzu sehr überrascht, aber er tut sich schwer mit einer Meinung. "Papandreou macht das, um innenpolitisch mehr Stabilität zu gewinnen. Die Regierung würde das sicher nicht riskieren, wenn sie sich eines positiven Ausgangs nicht ganz sicher wäre - und das Ergebnis kann man durch die Fragestellung ja maßgeblich beeinflussen", sagt der Anwalt und schneidet zum Kaffee frische Feigen auf.

In der Europäischen Union fühlt man sich von der Ankündigung einer Volksabstimmung in Griechenland nach den ermüdenden Rettungsgipfeln der vergangenen Monate wie vor den Kopf gestoßen. Die griechische Regierung und das Parlament aber haben einen solchen Schritt schon länger vorbereitet, sagt Pappas.

"Am 24. Oktober sind im griechischen Gesetzblatt neue Regelungen dafür erschienen, wie ein Referendum gestaltet werden muss. Seit dem letzten Referendum in Griechenland aus dem Jahr 1974 war die Rechtslage dazu veraltet", sagt Pappas. Unklar ist noch, wann genau die Abstimmung veranstaltet werden soll und wie hoch die Mindestbeteiligung sein muss. Eins aber ist für Anwalt Pappas klar: "Niemand hier, auch die Opposition nicht, will in dieser Lage Neuwahlen. Und erst recht keinen Austritt aus der Euro-Zone. Deshalb glaube ich, dass letztlich alles auf eine Zustimmung hinauslaufen wird."

Ministerpräsident Papandreou hat im Parlament wohl nur noch zwei Stimmen Mehrheit. Das ist nicht viel angesichts der fundamentalen Einschnitte in die staatlichen Ausgaben, angesichts der Erhöhung öffentlicher Abgaben und einer nach wie vor schrumpfenden Wirtschaft. Das Referendum erscheint daher wie eine Flucht nach vorn. "Man kann die Reformen hier im Land mit einer Operation am offenen Herzen vergleichen. Allerdings ohne dass es dabei einen Herz-Lungen-Automaten gäbe", sagt Martin Knapp, der Geschäftsführer der Deutsch-Griechischen Handelskammer in Athen. Das Problem, das auch Knapp in Griechenland seit Jahren beobachtet, ist die wachsende innere Blockade in der Bevölkerung. Seit dem Beginn der Wirtschafts- und Finanzmarktkrise hat die Politik mehr oder weniger mit der Brechstange agiert, um die Verhältnisse zu ändern. Ob das zum Ziel führt, weiß niemand, auch die Athener Regierung nicht.

"Es gibt in Griechenland ungeheuer viele Menschen, die ein Interesse daran haben, dass alles so bleibt, wie es ist", sagt Wirtschaftsexperte Knapp. "Das beginnt bei den Staatsbediensteten und hört bei Baukonzernen auf, die als Privatunternehmen agieren, aber dem Staat durch Aufträge verbunden sind."

An einem Verkaufsstand für Wasser und Süßigkeiten sitzt ein junger Verkäufer und grinst. "Zehn Euro", sagt er auf Englisch, als er erkennt, dass ein Tourist die Halbliterflasche Wasser ohne Kohlensäure kaufen will. Zur Tagespolitik auch von ihm kein Kommentar, aber zur allgemeinen Lage mit Blick auf die Flaschen im Land: "Wir brauchen Geld." Dann lacht er und gibt auf einen Euro 50 Cent korrekt heraus.