Machtkampf in Griechenland: Für Ministerpräsident Papandreou geht es bei einer Vertrauensabstimmung ums politische Überleben. Selbst bei einem Sieg aber galt sein Rücktritt als möglich. Athen steht unabhängig vom Ausgang des Votums vor einer Herkulesaufgabe.

Athen. Unter massivem Druck der internationalen Geldgeber ringt das von der Pleite bedrohte Griechenland um einen Ausweg aus der schweren Regierungskrise. Ministerpräsident Giorgos Papandreou droht bei einer Vertrauensabstimmung im Parlament am späten Freitagabend der Sturz. Auch ein Rücktritt bei einem Sieg galt als möglich – Papandreou könnte dann die Verhandlungen für eine Übergangsregierung führen. Diese soll die Voraussetzungen für die neuen, milliardenschweren Hilfspakete auf den Weg bringen und das Vertrauen der internationalen Geldgeber zurückgewinnen.

In der am späten Freitagnachmittag begonnenen Parlamentsdebatte zur Vertrauensfrage hatten sich zunächst nur Abgeordnete der Papandreou-Partei PASOK zu Wort gemeldet, die ihn tendenziell stützen wollen. Bis kurz nach 20.00 Uhr sprachen mehr als 20 PASOK-Abgeordnete. Grundtenor ihrer Beiträge: Unterstützung für Papandreou – aber nur, wenn er die Bildung einer Regierung der nationalen Einheit vorantreibt, also eine breite Basis organisiert.

Abgeordnete der Oppositionsparteien hingegen begründeten jeweils ihr klares Nein für Papandreou. Die Abstimmung sollte gegen Mitternacht Ortszeit (23.00 MEZ) beginnen. Papandreous sozialistische Partei PASOK verfügt nur über eine dünne Mehrheit von zwei Abgeordneten im 300-köpfigen Parlament. Es könnte einige Abweichler geben. Mit Spannung wurde auch die Rede Papandreous am Abend erwartet: Er soll als letzter Redner vor dem Votum sprechen.

Die Zeit für das hoch verschuldete Griechenland wird knapp: Athen hat nur noch bis Mitte Dezember Geld, um die Löhne der Staatsbediensteten zu bezahlen. Die internationalen Geldgeber wollen die sechste Hilfszahlung in Höhe von acht Milliarden Euro erst freigeben, wenn Griechenland zu seinen Spar-Verpflichtungen steht.

In Athen galt am Abend folgendes Szenario als möglich: Papandreou gewinnt die Vertrauensabstimmung – tritt aber dennoch zurück. Das Kalkül: Er könnte dann als amtierender Regierungschef und von seiner Fraktion gestärkter Parteichef die Verhandlungen über eine Übergangsregierung führen. Sein Gesicht hätte er damit gewahrt.

Die von Papandreou gebildete Übergangsregierung könnte dann sein Finanzminister Evangelos Venizelos für sechs Monate führen. An dieser Übergangsregierung sollten auch Experten und wenn möglich auch die konservative Oppositionspartei Nea Dimokratia teilnehmen.

Kreise der Nea Dimokratia lehnten dieses Szenario als „absurd“ ab. Ihre Partei fordert den sofortigen Rücktritt Papandreous und die Bildung eine Expertenregierung, die das Land nur für wenige Wochen führen wird, um das neue Hilfsprogramm für Griechenland unter Dach und Fach bringen. Danach sollen alsbald vorgezogene Wahlen folgen.

Sollte Papandreou die Vertrauensabstimmung verlieren, gibt es laut Verfassung Sondierungen unter Vorsitz von Staatspräsident Karolos Papoulias. Sollte auch dann keine neue Regierung gebildet werden können, würde es einen spannungsreichen Wahlkampf geben, der bis zu den Neuwahlen mindestens 30 Tage dauern würde. Umfragen zeigen allerdings, dass auch nach den Wahlen keine Partei die absolute Mehrheit im Parlament haben würde.

Die Abgeordneten der ND nahmen an der Debatte nicht teil, wollen aber abstimmen. Ihr Parteichef Antonis Samaras hatte bereits am Vortag den Rücktritt Papandreous gefordert. Nur dann könnte es eine Übergangsregierung geben, die das Land aus der Krise führen soll. Später solle es Neuwahlen geben. Die ND unter Samaras hatte sich bisher strikt dem strammen und unpopulären Sparkurs Papandreous verweigert.

Papandreou hatte am Donnerstag nach massivem Druck vor allem aus Deutschland und Frankreich seinen Plan über das umstrittene Referendum zum Hilfspaket zurückgezogen. Der Druck auf den umstrittenen Regierungschef stieg am Freitag weiter. Auch immer mehr Funktionäre seiner eigenen sozialistischen Partei drängten Papandreou dazu, schnell mit den Konservativen zu verhandeln.

Papandreou warf Oppositionschef Samaras vor, Forderungen zu stellen, die nicht sofort umsetzbar seien. Das Land könne nicht so einfach auf Anhieb ohne Regierung bleiben. Sollten einige Abgeordnete der Sozialisten ihn abwählen, dann wäre die Lage erst recht unübersichtlich. Dann müssten unter der Regie des Staatspräsidenten Sondierungen zur Bildung einer neuen Koalitionsregierung oder Interimsregierung stattfinden – oder es gibt Neuwahlen.

Finanzminister Venizelos versicherte seinem deutschen Amtskollegen Wolfgang Schäuble, die Regierung wolle eine möglichst breite Kooperation mit der Opposition erreichen. Zudem bekräftigte er, das Referendum zum Hilfspaket sei vom Tisch. Venizelos hatte sich am Donnerstag offen gegen Papandreous Referendum-Plan gestellt.

Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte am Donnerstagabend weiter Druck auf Athen gemacht. „Für uns zählen Taten, nichts anderes“, sagte Merkel sie beim G20-Gipfel in Cannes. Das Land müsse die Reform- und Spar-Beschlüsse des EU-Gipfels vom 27. Oktober umsetzen. Es sei derzeit nicht ersichtlich, wie das passieren könne. Auch die sechste Hilfszahlung in Höhe von acht Milliarden Euro könne erst fließen, wenn Griechenland zu seinen Verpflichtungen stehe.

Die 17 Staats- und Regierungschefs der Euroländer hatten unter anderem ein neues 100-Milliarden-Euro-Paket für Athen beschlossen. Private Gläubiger wie Banken und Versicherer hatten angekündigt, auf die Hälfte ihrer Forderungen zu verzichten. Anfang 2012 sollten nach dem ursprünglichen Plan alte gegen neue griechische Anleihen getauscht werden.

In griechischen Medien wurden bereits Namen möglicher Nachfolger Papandreous gehandelt – darunter ist der frühere Vizepräsident der Europäischen Zentralbank, Lucas Papademos.

Die aktuelle Zusammensetzung des Parlaments:

Panhellenische Sozialistische Bewegung (PASOK): 152 Abgeordnete

Nea Dimokratia (ND): 85 Abgeordnete

Kommunistische Partei (KKE): 21 Abgeordnete

Völkische Orthodoxe Gesamtbewegung (LAOS): 16 Abgeordnete

Bündnis der Radikalen Linken (SY.RIZ.A.): 9 Abgeordnete

Zudem gibt es 17 Abgeordnete, die keiner dieser fünf Fraktionen angehören. Einige von ihnen haben sich kleineren Parteien zugehörig erklärt, die aber nicht genügend Mandate für einen Fraktionsstatus haben.