Waren die Massenkundgebungen für Präsident Baschar al-Assad von der Regierung inszeniert? 15 Tote bei Zusammenstößen.

Beirut. Erneut Tote in Syrien: Mindestens 15 Demonstanten kommen bei Auseinandersetzungen ums Leben. Der syrische Präsident Baschar al-Assad will seine Gegner mit Zuckerbrot und Peitsche in die Knie zwingen. Am Dienstag, einen Tag nach einer Rede voller vager Reformversprechen, verkündete Assad eine allgemeine Amnestie. Angehörige des staatliche Sicherheitsapparates erschossen kurz darauf bei Anti-Regime-Protesten in der Provinz nach Angaben von Aktivisten 15 Demonstranten. In Damaskus und mehreren kleineren Städten fanden sich unterdessen mehr als 100.000 Anhänger des Staatschefs zu Jubelkundgebungen ein. Das Rückgrat der Menschenmengen bildeten Staatsdiener und Mitglieder der regierenden Baath-Partei. Sie waren per SMS aufgefordert worden, an der Pro-Assad-Kundgebung teilzunehmen. Sie erhielten Textnachrichten wie "Lasst die Welt unsere Stimme hören“ und "Syrien ist unser Land“.

Nicht überall ließ sich die bemüht freudige Stimmung aufrechterhalten. In der nördlichen Stadt Homs prallten Anhänger und Gegner des Assad-Regimes aufeinander. Anhänger der regimetreuen Schabiha-Milizen schossen auf Gegendemonstranten, berichteten Aktivisten. Elf Menschen wurden nach Angaben des arabischen Nachrichtensenders Al-Arabija getötet.

Neue Proteste gegen das Regime gab es auch im kurdischen Nordosten. In der Ortschaft Al-Majadien, die zur Provinz Deir al-Zor gehört, starben nach Oppositionsangaben vier Demonstranten, als der Militärgeheimdienst in die Menge schoss. Panzer und 200 Soldaten marschierten im Zentrum der Stadt Hama ein, um die Anti-Regime-Kundgebung zu unterdrücken, berichteten Aktivisten.

Die syrische Armee setzte auch ihre Razzien gegen Regimegegner im Grenzgebiet zur Türkei fort. Vertriebene, die an der Grenze zur Türkei auf einem Feld campieren, berichteten, sie hätten Schüsse aus dem nahe gelegenen Dorf Chirbet al-Dschoos gehört. Angaben über mögliche Opfer lagen nicht vor.

Mehr als 10.700 Syrer aus den grenznahen Städten und Dörfern sind in den vergangenen zwei Wochen in die Türkei geflohen, tausende weitere lagern unter freiem Himmel im Grenzgebiet. Aus Angst vor Verfolgung wagen sie sich nicht zurück nach Hause.

Wie die staatliche Nachrichtenagentur Sana am Dienstag meldete, soll der nun von Assad beschlossene Straferlass für Taten gelten, die vor dem 21. Juni begangen wurden. In einigen Fällen sieht sie Straffreiheit, in anderen Fällen eine Reduzierung des Strafmaßes vor. Faktisch handelt es sich um die Ausweitung einer bereits Ende Mai von Assad angekündigten Amnestie.

Nach Angaben syrischer Menschenrechtler wurden seit Beginn der Demonstrationen Mitte März 1310 Zivilisten und 341 Angehörige der Sicherheitskräfte getötet. Hatten die Demonstranten zu Beginn noch Reformen gefordert, so arbeiten sie nun auf einen Sturz des Regimes hin.

In seiner Rede am Montag hatte Assad Reformen der Verfassung und des Wahlrechts in Aussicht gestellt, ohne aber konkret zu werden. Auch das Angebot eines von oben gelenkten "nationalen Dialogs“ überzeugte weder die Opposition noch die internationale Gemeinschaft.

Auch die neuerliche Amnestieankündigung des Präsidenten vermochte die Opposition nicht ernst zu nehmen. Ein in der Türkei lebender syrischer Aktivist sagte: "Das ist Teil eines schlechten Theaterstücks, genauso wie Assads Rede (vom Vortag).“ Die Opposition schätzt, dass seit Beginn der Proteste Mitte März 12.000 mutmaßliche Regimegegner festgenommen wurden. Auch ist nicht bekannt, wie viele Gefangene von der ersten Amnestie profitiert hatten.

(Mit Material von dpa)