Präsident Assad lässt 30.000 Soldaten gegen die Oppositionshochburg aufmarschieren und setzt weiter auf Gewalt. Die Türkei geht auf Distanz.

Hamburg. Das syrische Militär geht inzwischen auch aus der Luft gegen die seit Monaten demonstrierenden Regierungsgegner vor. In der nordwestlichen Stadt Maarat al-Numaan feuerte die Armee einer Menschenrechtsgruppe zufolge am Freitag aus Kampfhubschraubern auf Zehntausende Demonstranten. Mindestens fünf Hubschrauber hätten das Feuer aus automatischen Waffen eröffnet, um eine Protestkundgebung aufzulösen, berichtete ein Augenzeuge über Telefon. „Die Menschen flohen in Felder, unter Brücken und in ihre Häuser, aber obwohl die Straßen dann fast menschenleer waren, dauerte der Beschuss noch Stunden an.“ Es sind die ersten Berichte über einen Lufteinsatz gegen die Regierungsgegner, die aus Syrien nach Außen drangen.

Zuvor hätten Sicherheitskräfte bereits fünf Demonstranten in der Stadt getötet, teilte die Gruppe Syrian Observatory for Human Rights mit. Das syrische Staatsfernsehen machte dagegen erneut regierungsfeindliche Gruppen für die Gewalt verantwortlich. Rettungshubschrauber seien von „bewaffneten Terroristengruppen“ in Maarat al-Numaan beschossen und Besatzungsmitglieder dabei verletzt worden, hieß es dort. Von Kampfhubschraubern war in dem Bericht keine Rede. Die Angaben waren von unabhängiger Seite nicht zu überprüfen. Syrien unterbindet die Berichterstattung ausländischer Journalisten.

Am Freitag war es trotz des gewaltsamen Vorgehens der Sicherheitskräfte wieder in zahlreichen Städten zu Protesten gegen Präsident Baschar al-Assad gekommen. Die Demonstranten fordern den Rücktritt Assads und mehr Demokratie. Rund 3000 Syrer sind bereits vor der Gewalt des Militärs in die Türkei geflohen.

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Angst treibt immer mehr Syrer in die Flucht

Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan spricht aufgebracht von "Barbarei". Einige Bilder vom Vorgehen der syrischen Armee gegen Oppositionelle seien "widerwärtig". Erdogan, der sich bislang stets um ein gutes Verhältnis zum syrischen Despoten Baschar al-Assad bemüht hatte, geht deutlich auf Distanz zum Regime in Damaskus. Der Premier ließ gar durchblicken, dass die Türkei eine Resolution des Uno-Sicherheitsrats gegen Syrien unterstützen könnte. "Die Syrer handeln nicht human"; das Regime verübe "Gräueltaten".

Angesichts anhaltender Flüchtlingsströme über die Grenze erwägt die Türkei, eine Pufferzone einzurichten. Rund 3000 Syrer, darunter viele Verwundete und Kinder, sind bereits über die Grenze geflohen und werden in der Türkei medizinisch versorgt. Im Grenzgebiet entstehen Zeltstädte des Roten Halbmondes. Bundesaußenminister Guido Westerwelle hat der türkischen Regierung angesichts der angespannten Situation humanitäre Hilfe zugesagt.

Während gestern wieder Zehntausende im Gebiet um die Stadt Dschisr al-Schoghur gegen das Regime protestierten, startete das Militär eine Großoffensive gegen den 50 000-Einwohner-Ort an der Grenze zur Türkei. Er gilt als eine Hochburg des Widerstandes. Nach Augenzeugenberichten wurden die Telefonverbindungen nach Dschisr al-Schoghur gekappt. Im syrischen Staatsfernsehen hieß es, an dem Einsatz seien rund 30 000 Soldaten und Dutzende Panzer beteiligt. Das Kommando hat offenbar der als besonders brutal berüchtigte Bruder des Präsidenten, Maher al-Assad. Er ist Kommandeur der Präsidentengarde und der als Elitetruppe geltenden 5. Panzerdivision. In Dschisr al-Schoghur waren vergangene Woche mindestens 120 Soldaten getötet worden. Nach Angaben des Regimes wurden sie von "bewaffneten Banden" ermordet, nach Angaben der Opposition jedoch von regimetreuen Truppen liquidiert, weil sie sich geweigert hätten, auf unbewaffnete Zivilisten zu schießen.

Um die Stadt standen Weizenfelder in Flammen. Das Militär erklärte, die "bewaffneten Banden" hätten sie angezündet, Anwohner sagten, die Soldaten hätten die Ernte vernichtet. Auch aus anderen Städten Syriens wurden Demonstrationen und neue Gewalt gemeldet. Navi Pillay, die Uno-Hochkommissarin für Menschenrechte, warf Assad vor, er versuche sein Volk "in die Unterwerfung zu prügeln".

In Syrien geht die Angst vor einem "neuen Hama" um. 1982 hatte Assads Vater und Amtsvorgänger Hafis al-Assad bis zu 30 000 Menschen in der Stadt niedermetzeln lassen. Damals hatte er vor allem die regimefeindlichen Muslimbrüder im Visier. In die Türkei geflohene Verwundete aus Dschisr al-Schoghur sagten dem Londoner "Guardian": "Assad hat unsere Gegend nie leiden können." Die dort lebenden Sunniten seien dem Assad-Regime, das der Minderheit der Alawiten oder Nusairier angehört, ein Dorn im Auge. Die syrischen Alawiten sind nicht zu verwechseln mit der liberalen türkischen Religionsgemeinschaft der Aleviten. In Ankara hat Premier Erdogan die Führung in Damaskus gewarnt, es dürfe keinesfalls zu einem neuen Hama kommen. Regimegegner berichteten, zunehmend würden Soldaten desertieren, um keine Gräueltaten begehen zu müssen.

Einer der Verwundeten im türkischen Grenzgebiet, ein Mann namens Abu Majid, aus dessen Schusswunde im Bein das Blut strömte, sagte dem "Guardian"-Reporter: "Sie wissen ja, wie die Diktaturen im Nahen Osten so sind. Und Syrien war die stärkste von allen - wie eine Eisenkugel. Doch das ist sie nun nicht mehr." Niemals hätten die Syrer sektiererisch gedacht. "Und nun reden die Leute über Sunniten, Alawiten, Schiiten und Christen. Man kann viel über uns sagen, aber wir waren nie wie die Iraker oder Libanesen. Doch dies führt das Land ins Unbekannte."