Die Rebellen werden in die Defensive gedrängt. Der Westen und die UN müssen handeln: Auch Libyens Nachbarn fordern eine Flugverbotszone.

Kairo/Tripolis. In der Umgebung der von Aufständischen gehaltenen westlibyschen Stadt Misrata sind am Sonntag laut Bewohnern Schüsse aus automatischen Waffen abgegeben worden. Die Situation im Stadtzentrum sei jedoch ruhig, sagte ein Einwohner der Nachrichtenagentur AFP. „Wir wissen nicht genau, was passiert.“ Ein weiterer Einwohner sagte, er erwarte, dass Söldner des libyschen Machthabers Muammar al-Gaddafi die Stadt angreifen würden, nachdem die 40 Kilometer westlich der Hauptstadt Tripolis gelegene Stadt Sawijah bereits von den Regierungstruppen zurückerorbert worden sei. Nach mehreren Tagen heftiger Kämpfe hatten die Gaddafi-treuen Truppen am Mittwoch erklärt, Sawijah unter ihre Kontrolle gebracht zu haben.

Während die Aufständischen derzeit vor allem noch die östlichen Landesteile kontrollieren, zählt Misrata zu den wenigen von den Gaddafi-Gegnern kontrollierten Städten im Westen des Landes. Die Stadt war vergangene Woche mehrfach Ziel von Offensiven der Gaddafi-Truppen, um die Kontrolle über Misrata wiederzuerlangen. Dabei kamen nach Ärzteangaben mindestens 21 Personen ums Leben, darunter ein Kind. Dutzende weitere Menschen seien verletzt worden. Seitdem haben die Regierungstruppen die Stadt umzingelt.

Derweil setzt das massive Vordringen der libyschen Armee gegen die Aufständischen und Forderungen der arabischen Staaten nach einer Flugverbotszone den Westen unter Zugzwang. Die Außenminister der Arabischen Liga forderten am Sonnabend in Kairo den Weltsicherheitsrat auf, mit einer Kontrolle des libyschen Luftraums die Bombardements der Gaddafi-treuen Luftwaffe auf Stellungen der Rebellen zu stoppen. Die Europäische Union hatte ihre Zustimmung zu einer Flugverbotszone unter anderem vom Votum der Nachbarn Libyens abhängig gemacht.

Die Truppen des libyschen Staatschefs rückten am Wochenende weiter gegen die Rebellen vor. Libysche Staatsmedien verkündeten, die östliche Küstenstadt Brega sei wieder in der Hand der Streitkräfte. Am Sonnabend hatten die Aufständischen, die bislang den Osten des Landes kontrollierten, den 100 Kilometer westlich von Brega gelegenen Ölhafen Ras Lanuf an die Regimetruppen verloren.

In New York blieb zunächst unklar, ob der Weltsicherheitsrat bereits auf seiner Sitzung am Montag offiziell über die Forderungen nach einer Flugverbotszone berät. Diese Maßnahme fordern die libyschen Aufständischen seit langem. Ein Einmarsch ausländischer Truppen in Libyen gilt dagegen weiterhin als ausgeschlossen. Im Sicherheitsrat hatten Russland und China bislang auch Bedenken gegen eine Flugverbotszone geltend gemacht.

Das Weiße Haus begrüßte die Ankündigung der Arabischen Liga als „wichtigen Schritt“. Präsidentensprecher Jay Carney sagte, damit werde der internationale Druck auf Gaddafi erhöht. Die USA würden die Opposition weiter unterstützen und „alle Eventualitäten“ vorbereiten. Die Offensive der Gaddafi-Streitkräfte gegen die Stadt Misurata, die letzte Aufständischen-Hochburg im Westen des Landes, geriet nach Medienberichten ins Stocken. Etliche Soldaten der Elite-Brigade des Gaddafi-Sohnes Chamis hätten gemeutert, meldete der Sender Al-Arabija unter Berufung auf die Rebellen in der 210 Kilometer östlich von Tripolis gelegenen Stadt am Sonntag.

Die Meuterer hätten sich dem Angriffsbefehl gegen die Stadt widersetzt, worauf ein Feuergefecht innerhalb der Einheit ausgebrochen sei. 30 Soldaten, unter ihnen ein General, hätten sich zu den Aufständischen geschlagen. Andere seien an Ort und Stelle hingerichtet worden.

Am Sonnabend hatte die Arabische Liga bei einem Außenminister-Treffen in Kairo den Weltsicherheitsrat aufgefordert, die Flugverbotszone über Libyen zu verhängen. Damit soll die Bevölkerung vor Angriffen von Gaddafis Luftwaffe geschützt werden. „Es geht darum, mit einer Flugverbotszone dem libyschen Volk in seinem Freiheitskampf gegen ein zunehmend menschenverachtendes Regime beizustehen“, sagte Liga-Generalsekretär Amre Mussa im Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“.

Die EU-Außenminister fassten am Sonnabend in Gödöllö bei Budapest keine Beschlüsse zur Libyen-Krise. Die Minister und die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton vereinbarten lediglich, die Demokratie in Nordafrika wirtschaftlich zu fördern und den Dialog mit den Führern der arabischen Länder zu intensivieren. Demnächst soll eine Erkundungsmission der EU nach Libyen reisen. Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) warnte erneut vor einem unüberlegten militärischen Eingreifen in Libyen. Der Westen müsse den Eindruck eines „christlichen Kreuzzugs gegen Menschen muslimischen Glaubens“ unbedingt vermeiden.

Ein Kameramann des arabischen Nachrichtensenders Al-Dschasira wurde am Samstag in der Nähe der östlichen Metropole Bengasi von Unbekannten erschossen. Die Führung des Senders mit Sitz in Doha im Golfemirat Katar machte die Hetzkampagne der Gaddafi-Medien gegen Al-Dschasira für die Tat verantwortlich. In anderen arabischen Ländern kam es am Wochenende zu gewaltsamen Auseinandersetzungen auf der Straße zwischen Regierungsgegnern und den Sicherheitskräften.

Im Jemen ging die Staatsmacht am Sonnabend gegen Demonstrationen im ganzen Land mit großer Brutalität vor. Die Polizei setzte Tränengas, Wasserwerfer und scharfe Munition ein. Insgesamt sieben Menschen starben an Schussverletzungen, unter ihnen ein zwölfjähriger Junge, berichteten arabische Medien unter Berufung auf Krankenhausärzte. Auf den seit Wochen andauernden, immer wieder mit Gewalt unterdrückten Kundgebungen verlangen die Teilnehmer den Rücktritt von Präsident Ali Abdullah Salih, der seit 32 Jahren über das verarmte arabische Land herrscht.

In Bahrain lieferten sich tausende Demonstranten und Polizisten Straßenschlachten, nachdem die Beamten die Blockade einer Durchfahrtsstraße im Zentrum der Hauptstadt Manama mit Gewalt aufgelöst hatten. Dutzende Menschen wurden verletzt, berichteten Augenzeugen. In Beirut demonstrierten tausende Libanesen gegen die schiitische Hisbollah-Miliz. Sie drückten ihren Unmut darüber aus, dass die Hisbollah mehr als 20 Jahre nach dem Ende des Bürgerkriegs immer noch das Vorrecht für sich reklamiert, eigene bewaffnete Formationen zu unterhalten. (dpa)