Um den Machthaber Libyens, Muammar al Gaddafi, zu entmachten spricht der belgische Ministerpräsident auch von Militäreinsätzen.

Brüssel/Tripolis. Um Libyens Machthaber Muammar al Gaddafi von der Macht zu stürzen, will die EU zur Not einen Militäreinsatz starten. Der belgische Ministerpräsident Yves Leterme sagte, dass alle Optionen, auch militärische, auf dem blieben. Es werde aber nur zu einen Einsatz kommen, wenn es die Unterstützung der Arabsichen Liga gebe sowie eine Einigung des UN-Sicherheitsrates, sagte Leterme zum Abschluss des EU-Sondergipfels in Brüssel.

Zuvor hatten die 27 EU-Staaten angesichts der blutigen Kämpfe in Libyen den diplomatischen Druck auf Machthaber Muammar al-Gaddafi erhöht. Auf dem Gipfeltreffen ihrer Staats- und Regierungschefs in Brüssel forderte die Europäische Union Gaddafi zum sofortigen Rücktritt auf. Außerdem traten weitere Sanktionen gegen Libyen in Kraft.

Auch wenn der belgische Ministerpräsident forsch einen Militäreinsatz ankündigte, sollte es die Unterstützung der Arabsichen Liga und die Einigung des UN-Sicherheitsrates geben, sind sich die restlichen Europäer jedoch in der Frage, ob man auch zu einem militärischen Eingreifen bereit sein muss, um den Diktator zu stürzen, nach wie vor unsicher.

Den Truppen Gaddafis gelang es unterdessen weiter Boden gutzumachen. Medien berichten, dass die Truppen die Stadt Al-Sawija im Westen sowie den östlichen Ölhafen Ras Lanuf wieder eingenommen haben. Tagelange, erbitterte Kämpfe mit den Rebellen gingen den Eroberungen voraus. Wie viele Opfer es gegeben hat, ist nicht bekannt, es liegen bisher keine verlässlichen Angaben vor. Vor allem in Al-Sawija – einer Stadt 50 Kilometer westlich von Tripolis – wurden viele Tote und Verletzte befürchtet.

In einer gemeinsamen Erklärung forderten die 27 EU-Länder von Gaddafi, seinen Platz nach vier Jahrzehnten zu räumen. Wörtlich heißt es darin: "Oberst Gaddafi muss seine Macht sofort aufgeben.“ Eine solch klare Stellungnahme gab es noch nie. Bei einem geordneten Übergang zur Demokratie will die EU dem nordafrikanischen Land auch mit großzügiger Hilfe zur Seite stehen.

Streit gab es in Brüssel jedoch darüber, was passieren muss, falls sich Gaddafi an der Macht klammert. Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy plädierte unter bestimmten Bedingungen für "gezielte“ Militäraktionen. Als Beispiel nannte er, dass Gaddafi gegen sein Volk auch Chemiewaffen einsetze. Auch Großbritannien sei dann zu einem militärischenEingreifen bereit.

Kanzlerin Angela Merkel mahnte hingegen zur Vorsicht. "Wir wollen alles tun, um das Leiden des libyschen Volkes einzuschränken. Allerdings müssen wir uns die Schritte, die wir unternehmen, auch genau überlegen, damit wir das zu einem vernünftigen Ende führen“. Der neue Verteidigungsminister Thomas de Maizière sagte, es gebe keine Grundlage "für eine irgendwie geartete militärische Intervention durch die Nato“.

Auch andere EU-Staaten stehen einem militärischen Eingreifen skeptisch gegenüber. Die Angst ist groß, dass in der arabischen Welt dann neuer Zorn gegen den Westen hochkochen könnte. Als Bedingungen für die Einrichtung einer Flugverbotszone werden immer wieder ein Mandat der Vereinten Nationen sowie die Zustimmung der Arabischen Liga genannt. Die Liga berät am Sonnabend in Kairo über ihre Haltung. Auch eine Delegation Gaddafis will daran teilnehmen.

Frankreich übt seit Tagen mit seinem Vorgehen Druck auf die EU in der Libyen-Krise aus. So hatte Paris bereits im Alleingang die libysche Opposition in Bengasi als alleinige und rechtmäßige Vertretung des Landes anerkannt. Sarkozy forderte die EU-Partner dazu auf, dies ebenfalls zu tun. Die Bundesregierung beließ es aber dabei, Kontakte zu dem von der Opposition eingesetzten "Nationalrat“ zu knüpfen. Der Nahost-Beauftragte des Auswärtigen Amtes, Andreas Michaelis, telefonierte mit dessen "Außenminister“ Ali Asis Al-Eisawi.

Mit den neuen EU-Sanktionen wurde das Vermögen von fünf libyschen Finanzinstituten eingefroren. Außerdem wurde der österreichische Staatsbürger Mustafa Zarti (40) auf eine Liste von bislang 26 libyschen Führungspersonen gesetzt – seine Konten sind damit gesperrt. Da der als „Strohmann“ Gaddafis geltende Zarti einen EU-Pass hat, darf er sich allerdings weiter in der EU aufhalten. Deutschland hatte bereits zuvor die Konten der libyschen Notenbank und des libyschen Staatsfonds LIA bei deutschen Banken gesperrt. Gaddafis Sohn Saif al-Islam al-Gaddaf bezeichnete den Aufstand in seinem Heimatland als Werk der Terrorbewegung Al-Kaida. „Das war von allem Anfang an ein militärisches Komplott“, sagte er in Tripolis. Die Führer der Rebellen seien ehemalige Häftlinge des US-Gefangenenlagers Guantánamo. Auch sein Vater hatte die Rebellen schon als Handlanger von Al-Kaida beschimpft.

(abendblatt.de/dapd/dpa)

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Sarkozy will Bomber schicken

In die fieberhaften Bemühungen der EU und der Nato, der Gewalt von Libyens Machthaber Muammar al-Gaddafi Einhalt zu gebieten, platzte gestern eine Ankündigung aus Paris: Frankreichs Staatschef Nicolas Sarkozy wolle seinen EU-Amtskollegen heute bei einem Libyen-Sondergipfel in Brüssel gezielte Luftangriffe auf libysche Ziele vorschlagen. Außerdem solle die Kommandostruktur Gaddafis außer Kraft gesetzt werden, hieß es aus Regierungskreisen. Das Präsidialamt bestätigte die Angaben zunächst nicht, man sei "noch nicht so weit".

Zuvor hatte Sarkozy als erster Staatspräsident zwei Vertreter des Nationalrats empfangen und das Gremium als einzigen legitimen Repräsentanten des libyschen Volkes anerkannt. Sarkozy sagte den Rebellen sogleich auch diplomatische Beziehungen zu, Paris will einen Botschafter nach Bengasi entsenden und einen Gesandten der Opposition in Paris akkreditieren.

Die EU-Partner reagierten auf das französische Vorpreschen irritiert. Die Bundesregierung war von Sarkozys Plänen vorab nicht informiert worden. Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) warnte eindringlich vor einem militärischen Eingreifen in Libyen. "Wir wollen nicht Bürgerkriegspartei auf Dauer werden", sagte Westerwelle nach Beratungen der EU-Außenminister in Brüssel. "Völkerrechtlich kann man nur Staaten, aber keine Regierungen anerkennen", lautete die Reaktion aus Berliner Regierungskreisen.

Auch die anhaltende Diskussion über eine Flugverbotszone sieht Westerwelle mit Zurückhaltung. "Eine Flugverbotszone, das ist nicht das Aufstellen eines Verkehrschildes, sondern das ist eine militärische Maßnahme mit ernsten Konsequenzen", warnte Westerwelle.

Auch die Nato blieb trotz des Drängens Großbritanniens und Frankreichs bei ihrer Linie: kein Eingreifen ohne Uno-Mandat. Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen sagte, der französische Vorstoß zu Luftschlägen sei "überhaupt kein Thema gewesen". Rasmussen betonte allerdings wiederholt, dass "die internationale Gemeinschaft wohl nicht zuschauen wird, wenn Gaddafi systematisch sein eigenes Volk angreift".

Bis dahin gelten für die Allianz, deren Verteidigungsminister sich gestern in Brüssel trafen, neben dem Uno-Mandat zwei weitere Prinzipien: eine dringende Anfrage aus dem Land. Und eine klare Unterstützung der Militärintervention durch die Länder der Region. Golfstaaten und Arabische Liga befürworten eine Intervention in Form einer Flugverbotszone, Syrien hingegen lehnt dies als Souveränitätsverletzung kategorisch ab.

Die Nato beschränkt sich deshalb vorerst weiter auf "Planungen für Eventualitäten". Zudem plant die Allianz humanitäre Hilfsaktionen. Das Uno-Waffenembargo gegen Libyen könnte die Nato zudem mit Schiffen ihrer Mittelmeer-Operation "Active Endeavour" überwachen. Unabhängig davon beschlossen die Verteidigungsminister, die Marinepräsenz vor der Küste Libyens auszudehnen. Schon seit Tagen sind zudem Awacs-Aufklärungsflugzeuge rund um die Uhr im Einsatz.

Am heutigen Freitag treffen sich die 27 EU-Regierungschefs in Brüssel zu einem Sondergipfel. Ein Beschluss zu militärischen Aktionen wird zwar nicht erwartet. Die EU wird aber ihre Sanktionen verschärfen. Schon am Donnerstag beschlossene Druckmittel sehen vor, die Vermögen von fünf libyschen Finanzunternehmen einzufrieren. Außerdem wird der österreichische Staatsbürger Mustafa Zarti, der als Strohmann Tripolis gilt, auf die Liste von bisher 26 Führungsgestalten um Gaddafi gesetzt. Auch seine Konten werden damit gesperrt.

Auch der wirtschaftliche Druck aus Deutschland wächst. Die Bundesregierung sperrte fast 200 libysche Konten in Deutschland. Nach Angaben aus Regierungskreisen ging es um Guthaben in niedriger zweistelliger Milliardenhöhe. Betroffen sind unter anderem Konten der libyschen Zentralbank und des Staatsfonds LIA. Ein schnelles Handeln sei notwendig geworden, weil Kontenbewegungen darauf hingedeutet hätten, dass die Regierung in Tripolis einen Teil der Gelder abziehen wollte. Vorerst nicht von Sanktionen betroffen ist die staatliche Ölgesellschaft Libyens, deren Tochterfirma Tamoil auch rund 250 Tankstellen in Deutschland betreibt.

Der Gaddafi-Sohn Saif al-Islam gab sich gestern erneut kämpferisch: "Das ist unser Land, wir werden niemals aufgeben und uns niemals ergeben", sagte er den britischen Sendern Sky News und BBC TV. "Wir kämpfen hier in Libyen, wir sterben hier in Libyen." Die libysche Führung habe keine Angst vor ausländischen Truppen, sagte der Gaddafi-Sohn. Diese würden den Kampf verlieren. Bei einem Treffen mit jungen Regierungsanhängern sagte er, der Sieg sei bereits nahe. Seinen "Brüdern und Verwandten" in dem von Rebellen kontrollierten Osten des Landes verspreche er: "Wir kommen."