Mindestens 20 Tote bei schweren Unruhen. Präsident Mubarak verspricht erstmals Reformen und fordert das Kabinett zum Rücktritt auf.

Hamburg/Kairo. Die ägyptische Armee hat in den seit einer Woche andauernden Protesten gegen Präsident Husni Mubarak erstmals klar Stellung bezogen und erklärt, sie werde keine Gewalt gegen das Volk anwenden. Das Militär, das von den USA Milliardenhilfen bezieht, spielt eine Schlüsselrolle in dem seit 30 Jahren von Mubarak regierten Land.

Die Meinungsfreiheit sei allen Bürgern garantiert, die friedliche Mittel einsetzten, hieß es am Montag in einer Stellungnahme des Militärs. „Die Präsenz der Armee in den Straßen ist zu eurem Schutz und um eure Sicherheit und euer Wohlbefinden zu garantieren.“ Die Armee rief die Bevölkerung auf, von Sabotageakten abzusehen, da diese die Sicherheit sowie das öffentliche und private Eigentum verletzten.

„Eure Streitkräfte, die sich der Rechtmäßigkeit eurer Forderungen und ihrer Verantwortung für den Schutz des Staates und der Bürger bewusst sind, versichern, dass die Meinungsfreiheit durch friedliche Mittel jedem garantiert ist“, hieß es in der Erklärung.

In Kairo forderten erneut Zehntausende Menschen auf dem zentralen Tahrir-Platz den Rücktritt des 82-jährigen Mubarak. Dort waren zwar Soldaten aufgezogen, doch auch mehrere Stunden nach Beginn des Ausgangsverbots um 15.00 Uhr griffen sie nicht ein. Die Generäle haben bislang den Aufstand nicht niederschlagen lassen; sie haben sich aber auch nicht gegen Mubarak gestellt. Der Präsident hat sich um den Schulterschluss mit dem Militär bemüht und wichtige Regierungsposten mit Angehörigen der Streitkräfte besetzt.

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Wasserwerfer, Panzer, scharfe Schüsse und blockierte Internetverbindungen - die Auseinandersetzungen zwischen Regimegegnern und Sicherheitskräften in Ägypten haben am Freitag einen neuen Höhepunkt erreicht. Nach dem Freitagsgebet strömten Zehntausende Menschen in Kairo, Alexandria und anderen Städten auf die Straßen und protestierten gegen den seit 30 Jahren autoritär herrschenden Staatspräsidenten Husni Mubarak. Sie skandierten "Nieder mit Mubarak!" und "Wir wollen ihn nicht mehr!". Nach Schätzungen gingen mehr als 100.000 Demonstranten gegen die Staatsmacht auf die Straße. Einheiten der Armee wurden mobilisiert, um die Polizei zu unterstützen, die an mehreren Orten überrannt worden war. Landesweit gab es mindestens 20 Tote.

Nach Tagen des Schweigens meldete sich Mubarak in der Nacht zum Freitag (MEZ) erstmals nach Beginn der Unruhen zu Wort. "Wir müssen vorsichtig ein, dass kein Chaos ausbricht, denn dadurch entsteht keine Demokratie", sagte der 82-Jährige im staatlichen Fernsehen. Die Anti-Regierungsproteste seien Teil einer Verschwörung, Ägypten zu destabilisieren. Mubarak kündigte zugleich mehr Demokratie, soziale, wirtschaftliche und politische Reformen an und versprach, größere Bemühungen zur Bekämpfung der hohen Jugendarbeitslosigkeit. "Wir bewahren, was wir erreicht haben, und wir bauen darauf auf", fügte er hinzu. Dann forderte er sein Kabinett zum Rücktritt auf und kündigte eine neue Regierung an. Er selbst aber, so ließ er seinen Parlamentssprecher Fathy Surour verkünden, wolle an der Macht bleiben.

Es war der Tag des Zorns in Ägypten. In der Hauptstadt Kairo kamen bei Straßenschlachten mit der Polizei nach Angaben von Ärzten fünf Menschen ums Leben, 1030 wurden verletzt. In Suez starben 13 Menschen, 75 Verletzte kamen in Krankenhäuser. In Alexandria wurde der Regierungssitz des Gouverneurs in Brand gesetzt. In der Stadt Rafah (Nord-Sinai) an der Grenze zu Israel "besetzten" Demonstranten eine Polizeistation und brachten die dort lagernden Waffen in ihre Gewalt.

Die Regierung verhängte eine Ausgangssperre von abends 18 Uhr bis morgens sechs Uhr zunächst für Kairo, Alexandria und Suez. Die Touristenziele Hurghada, Luxor, Marsa Alam und Scharm al-Scheich sind davon bisher nicht betroffen. Allerdings missachteten in Kairo Tausende das Verbot und trugen ihren Protest auch nach Sonnenuntergang auf die Straßen. Dabei versuchten sie auch zwei Regierungsgebäude zu stürmen - das Haus des Staatsfernsehens und das Außenministerium. Auf Fernsehbildern des Senders al-Dschasira war zu sehen, wie das Hauptquartier der herrschenden Nationaldemokratischen Partei (NDP) in Kairo in Flammen stand.

In einem dramatischen Appell im Fernsehsender al-Arabija rief der ägyptische Regisseur Chalid Jussif die Sicherheitskräfte auf, das Ägyptische Museum in Kairo vor Plünderern zu schützen. "Hier darf nicht das Gleiche passieren wie im irakischen Nationalmuseum", forderte er.

Der Hoffnungsträger der Opposition, Friedensnobelpreisträger Mohammed al-Baradei, der frühere Chef der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA), der aus Wien angereist war, nahm erstmals an den Demonstrationen teil. Sicherheitskräfte, die ihn mit rund 2000 seiner Anhänger in einer Moschee festsetzten, stellten ihn allerdings wenig später unter Hausarrest.

Zum ersten Mal hatte sich auch die islamistische Muslimbruderschaft an den Protesten beteiligt. Mindestens 20 ihrer Mitglieder wurden von der Polizei festgenommen, darunter fünf frühere Parlamentsabgeordnete. Die Muslimbruderschaft ist die größte organisierte Oppositionsgruppe in Ägypten.

US-Präsident Barack Obama drohte mit Kürzung der Milliardenhilfen für Ägypten. Die Demonstrationen zeigten die Unzufriedenheit der Bevölkerung, sagte er, verwies aber auch auf die stabilisierende Rolle Mubaraks im Nahen Osten. Der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Markus Löning (FDP), verurteilte das brutale Vorgehen der Polizei. Dies sei "ein Schlag ins Gesicht für alle, die für Menschen- und Bürgerrechte eintreten". Kanzlerin Angela Merkel (CDU) forderte ein Ende der Gewalt. "Ich rufe alle Beteiligten, vor allem die ägyptische Regierung und den Präsidenten, auf, dass sie friedliche Demonstrationen genehmigen, dass die Meinungsfreiheit eine Chance hat."

Die schweren Unruhen haben die US-Börse am Freitag auf Talfahrt geschickt, der Ölpreis auf der New Yorker Warenterminbörse NYmex schnellte in die Höhe - um 3,12 Dollar auf 88,76 Dollar je Barrel (circa 159 Liter). Experten rechnen mit einem weiteren Anstieg. Das Auswärtige Amt in Berlin verschärfte seine Reisewarnungen. "Von nicht unbedingt notwendigen Reisen nach Kairo, Alexandria und Suez sollte Abstand genommen werden", heißt es auf der Internetseite. "Reisenden in Ägypten wird dringend empfohlen, Menschenansammlungen zu meiden."

Ägyptens angeschlagener Präsident Husni Mubarak hat derweil seinen neuen Regierungschef Ahmed Schafik mit einem politischen Reformkurs beauftragt. In einer im Staatsfernsehen verbreiteten Ansprache stellte Mubarak am Sonntagabend einen „Dialog mit allen Parteien“ in Aussicht. Unterdessen bringen immer mehr Länder ihre Bürger vor den Unruhen in Sicherheit. Seit vergangenem Dienstag sind mindestens 125 Menschen ums Leben gekommen.

Mubarak erklärte, er dringe auf „umfassende“ Schritte, um das politische System und die Verfassung zu reformieren. Als Reaktion auf die Massenproteste hatte der seit drei Jahrzehnten amtierende Mubarak die gesamte Regierung entlassen und den früheren Luftfahrtminister Schafik am Sonnabend zum neuen Ministerpräsidenten ernannt. Zum Vizepräsidenten ernannte er den Geheimdienstchef Omar Suleiman. Doch der Personalwechsel besänftigte die protestierenden Massen bisher nicht.

Die großen deutschen Reiseveranstalter Cook und TUI boten gebührenfreie Umbuchungen für Ägypten-Urlauber an. Zwei Flüge von Frankfurt nach Kairo und zurück - von Lufthansa und Egypt Air - wurden jedoch gestern gestrichen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) appellierte am Sonntag an Mubarak, die angekündigten Reformen umzusetzen und auf Gewalt zu verzichten. Sie habe den Staatschef in einem Telefonat vor allem gemahnt, einen Dialog mit der Bevölkerung zu führen und "auf deren berechtigte Forderungen einzugehen", teilte die Bundesregierung mit.