Das Regime von Präsident Husni Mubarak steht unter Druck, doch das Militär und die Elite stützen ihn. Sohn Gamal soll ihn offenbar beerben.

Hamburg. Es war ein ägyptischer Staatsmann, der sein Regime mit der ersten dokumentierten Propagandalüge der Geschichte stabilisierte. Im Jahre 1274 vor Christus prallten bei Kadesch im heutigen Syrien die Heere des großen Pharaos Ramses II. und des hethitischen Großkönigs Muwattalli II. zusammen. Nur mit allergrößter Mühe vermochte Ramses eine verheerende Niederlage abzuwenden; große Teile seiner Armee waren bereits geflohen. Wieder daheim, verkündete Ramses seinen überwältigenden Sieg. Das Volk, damals noch ohne Handy, Internet, Twitter und Facebook und entsprechend unwissend, jubelte ihm zu.

Mehr als drei Jahrtausende später könnte der moderne Pharao Husni Mubarak angesichts blutiger Unruhen und Proteste gegen seine Herrschaft einen solchen Propagandaerfolg sehr gut gebrauchen. Der ehemalige Luftwaffengeneral und sein autokratisches Regime sind nach drei Jahrzehnten an der Macht verbraucht. Der einstmals kraftstrotzende Mubarak soll nach unbestätigten Berichten zudem an Krebs leiden. Im vergangenen Jahr wurden ihm die Gallenblase und Teile des Darms entfernt. Seit 1981 ist er als Präsident im Amt; sein Vorgänger Anwar al-Sadat starb damals bei einem Anschlag radikalislamischer Offiziere, die ihn für seinen Friedensschluss 1979 mit Israel bestrafen wollten. "Ich habe den Pharao getötet!", rief einer der Attentäter.

Mubarak hat diese Szenen nie vergessen; rigoros ging er gegen die militanten Islamisten in Ägypten vor und hielt sie konsequent von der Macht fern. 1995 und 1999 entging er selber Attentaten; die Terroristen wandten sich zunehmend der Haupteinnahmequelle des Landes zu - dem Tourismus - um Ägypten zu destabilisieren: In Luxor (1997), Taba (2004), Sharm al-Scheich (2005) und Kairo (2009) kam es zu Anschlägen mit zahlreichen Toten.

Der nach dem Attentat auf Sadat verhängte und nie aufgehobene Ausnahmezustand erlaubt es Mubarak, mit Notstandsgesetzen zu regieren. Mit eiserner Hand hat er Stabilität erzwungen, doch zur Bewältigung der riesigen Herausforderungen der Zukunft ist dies ein untaugliches Instrument.

Es herrscht weit verbreitete Korruption im Lande, der Reichtum aus Öl und Tourismus ist obszön ungleich verteilt. Kritiker werden mundtot gemacht, Polizei und Militär foltern gewohnheitsmäßig, bürgerliche Freiheiten und demokratische Rechte sind massiv eingeschränkt. Mubarak, so behaupten seine Kritiker, lasse Wahlen fälschen; es existiere gerade mal so viel Opposition, wie er zulasse.

Die Jugendarbeitslosigkeit, vor allem auf dem Lande, ist hoch. Rund 40 Prozent der Ägypter verdienen weniger als eineinhalb Euro am Tag, dennoch steigen die Lebensmittelpreise.

Eine ähnliche Konstellation hatte jüngst in Algerien zu wütenden Protesten geführt; das erschrockene Regime ordnete daraufhin hastig eine Senkung der Preise für Grundnahrungsmittel an. Nur vier Prozent der Fläche des Wüstenlandes Ägypten, das mit mehr als einer Million Quadratkilometer fast dreimal so groß ist wie Deutschland, ist landwirtschaftlich nutzbar - und die Wirtschaft Ägyptens stagniert bedenklich. Dies ist eine erhebliche politische Herausforderung angesichts einer Bevölkerung, die auf 85 Millionen Menschen zusteuert.

Die Revolte in Tunesien, die den Autokraten Ben Ali binnen weniger Tage aus dem Amt fegte, ist ein Warnsignal auch für den großen arabischen Nachbarn Ägypten. Noch nie in seiner Regierungszeit hat Husni Mubarak eine derartige Wut auf den Straßen erlebt. Mehrere Ägypter wurden von Polizeikugeln getötet, aber auch ein Polizist starb nach einem Steinwurf. Allerdings hat das Regime einen starken Rückhalt bei der mächtigen Armee und bei der einflussreichen Nomenklatura, die von der Herrschaft Mubaraks profitiert.

Die Unruhe trifft das Regime in Kairo jedoch zu einem ungünstigen Zeitpunkt. Mubarak ist nicht mehr so kraftvoll wie früher, im September sind Präsidentenwahlen, und der Aufbau seines Sohnes Gamal zum möglichen Thronfolger ist nicht abgeschlossen.

Gamal Mubarak, Jahrgang 1963, der zweitälteste Sohn des Präsidenten, nimmt als Chef des politischen Planungskomitees eine hohe Position in der Regierungspartei NDP ein und vermag dort entscheidenden Einfluss zum Beispiel auf die Besetzung des Kabinetts zu nehmen. Zwar bestreiten Vater und Sohn immer wieder, dass eine dynastische Lösung für Ägypten vorgesehen sei - doch im vergangenen Jahr warb plötzlich eine landesweite Kampagne "Ja zu Gamal" mit Unterschriftenliste für den gelernten Ökonomen und Investmentbanker. Es kam zu wütenden Kundgebungen gegen eine Vererbung der Macht. Die Kampagne war offenbar ein Versuchsballon des Regimes, um die Beliebtheit Gamals im Volk zu testen. Damit scheint es jedoch nicht allzu weit her zu sein.

Mubaraks Söhnen Gamal und Alaa wird vorgeworfen, sich aufgrund exzellenter Beziehungen lukrative Beteiligungen an zahlreichen Firmen unter den Nagel gerissen zu haben. Auch ist immer wieder die Rede von Waffen- und Drogengeschäften sowie dem illegalen Export von Kunstschätzen.

Gamal ist ein Mann der Regierungspartei NDP, aber kein Militär. Alle Staatschefs Ägyptens seit der Revolution 1952, als eine Gruppe junger Offiziere, angeführt von Gamal Abdel Nasser, die Monarchie von König Faruk stürzte, waren Offiziere. Dieser Makel Gamals könnte sich nach dem Tode seines Vaters nachteilig auswirken.