Die Sicherheitsinteressen der beiden Nationen driften am Hindukusch bedenklich auseinander. Die USA setzen ihre Angriffe in Pakistan fort.

Hamburg. Die wichtigste Versorgungsroute der Nato von Pakistan nach Afghanistan ist wieder frei. Dutzende Lastwagen mit Nachschub für die Friedenstruppe Isaf passierten am Sonntag den Grenzübergang Torkham und rollten über den 1070 Meter hohen Khyber-Pass. Über ihn läuft die vitale logistische Verbindung zwischen der pakistanischen Grenzstadt Peschawar und der afghanischen Hauptstadt Kabul.

Pakistans Regierung hatte den Grenzübergang gesperrt, nachdem US-Kampfhubschrauber einen pakistanischen Grenzposten unter Feuer genommen und drei Soldaten getötet hatten. Eine Woche lang hatten sich die Konvois in Torkham gestaut - bis US-Botschafterin Anne Patterson sich im Namen Washingtons entschuldigt hatte.

Doch die amerikanischen Angriffe gegen Taliban und al-Qaida auf pakistanischem Territorium gehen dennoch weiter - am Sonntag starben sieben Menschen beim Angriff einer "MQ-9 Reaper"-Drohne im Bezirk Shewa. Dieser Bezirk liegt in der berüchtigten Stammesregion Nordwaziristan, die von militanten Islamisten und Warlords beherrscht wird.

Der Nachschub für die Nato bleibt aber auch nach der Öffnung des Khyber-Passes beeinträchtigt: Vergangene Woche hatten Extremisten rund 150 Lastwagen und Tanklaster in Brand geschossen. Am Sonnabend steckten rund 30 Bewaffnete in der Region Mittri südöstlich von Quetta weitere 29 Tanklaster in Brand.

Die USA werfen Pakistan vor, viel zu wenig gegen den Terrorismus auf ihrem Boden zu tun. Zu diesem Ergebnis war auch ein geheimer Report des Weißen Hauses an den US-Kongress in der vergangenen Woche gekommen, der US-Medien zugespielt wurde. Pakistan gilt als Schlüssel für einen Erfolg der Nato in Afghanistan. Doch das Verhältnis zwischen Washington und Islamabad trübt sich immer mehr ein, denn es zeigt sich immer deutlicher, dass die beiden Staaten, die offiziell Verbündete gegen al-Qaida und Taliban sind, vollkommen unterschiedliche Interessen in der Region haben.

Die nationalen Sicherheitsinteressen der USA, wie sie Präsident Barack Obama definiert hat, drehten sich im Kern darum zu verhindern, dass die ganze Region zu einer Startrampe für Terrorangriffe gegen die USA und ihre Verbündeten würde, schrieb die "New York Times". Darum seien die US-Truppen in Afghanistan - nämlich um das Land zu stabilisieren. Und darum übten die USA auch massiv Druck auf Pakistan aus, gegen Terroristen und Aufständische vorzugehen.

Doch die strategischen Interessen Pakistans stehen dem diametral entgegen. Denn Islamabad betrachtet seine nationale Sicherheit vorwiegend durch das Prisma des 60 Jahre alten Konflikts mit dem Erzrivalen Indien - gegen den man bereits vier Kriege geführt hat. Wirtschaftlich, politisch und militärisch wird der asiatische Gigant Indien, die größte Demokratie der Welt, immer stärker. Es wird zudem erwartet, dass Indien in den kommenden Jahren China als bevölkerungsreichstes Land der Erde ablösen wird. Das instabile Pakistan dagegen, teilweise bereits als gescheiterter Staat geltend, kann nicht mithalten, ist auf dem absteigenden Ast. Islamabad befürchtet nun, dass ein stabiles, einiges Afghanistan, versehen mit starken Streitkräften, eine Allianz mit Indien eingehen könnte.

Vor diesem Hintergrund hatte Pakistan bereits in den 90er-Jahren den radikalislamischen Taliban zur Macht verholfen. Inzwischen müssen die Pakistaner davon ausgehen, dass die USA ab Sommer 2011 aus Afghanistan abziehen - und die Taliban nach einem weiteren Bürgerkrieg wieder in Kabul einziehen könnten. Für diesen Fall pflegt Islamabad beste Beziehungen zu den Radikalislamisten - darunter auch des Haqqani-Netzwerks. Diese machtvolle, mit al-Qaida und den Taliban verbündete Miliz unter dem Kriegsherrn Jalaluddin Haqqani und seinem Sohn Sirajuddin steht vor allem im Raum Kabul im Zentrum der Angriff auf die Nato.

Afghanistans Präsident Hamid Karsai umwirbt Haqqani und hat ihm sogar den Posten eines Premierministers angeboten, falls er sich von al-Qaida und Taliban trennt. Doch das Haqqani-Netzwerk spielt eine große Rolle in Pakistans Strategie. Der berüchtigte Geheimdienst "Inter-Services Intelligence" (ISI) unterhält seit Jahren enge Beziehungen zu dieser Miliz - auch weil die Haqqanis Paschtunen und diese den Indern nicht freundlich gesonnen sind. Pakistan will erreichen, dass Afghanistan entweder zerrissen bleibt oder aber dass eine Gruppierung an die Macht kommt, die für Indien Gefahr und Schwächung bedeutet. Mit anderen Worten: aggressive Radikalislamisten.

Doch wie sollen die USA mit einem Verbündeten, der insgeheim ihre Feinde unterstützt, einen Krieg gewinnen? "Die Ziele der USA und Pakistans stimmen nicht überein", sagte der Politologe Shuja Nawaz von der US-Denkfabrik "Atlantic Council" der "New York Times". Und dieses Problem sei für die USA unlösbar, sagt Christine Fair, Professorin an der Georgetown-Universität. "Deshalb werden wir daran auch noch in 50 Jahren arbeiten."