Am 4. März wird in Russland ein neuer Präsident gewählt. Doch noch nie war der Widerstand gegen die gelenkte Demokratie größer.

Hamburg/Moskau. Wieder so eine Nachricht von Wladimir Putin. Diesmal verkündet er Investitionen von 600 Milliarden Euro, mit denen er die russische Armee aufrüsten will. Wer derzeit durch Moskau geht, entdeckt den Ministerpräsidenten an Litfaßsäulen, auf Titelseiten vieler Zeitungen, auf Werbetafeln - oder aber auf Plakaten seiner Gegner bei Demonstrationen.

Am 4. März wählen die Russen einen neuen Präsidenten. Vielen gilt als sicher, dass Wladimir Putin triumphieren wird. Nach acht Jahren Präsidentschaft, nach fünf Jahren Regierungschef mit seiner Partei Einiges Russland sagen die Leute: Das System Putin funktioniert, zumindest noch gut genug für weitere sechs Jahre. Doch der Widerstand gegen den umstrittenen Präsidentschaftskandidaten ist so stark wie noch nie. Und so provokant wie nie.

+++ Clinton und Westerwelle kritisieren Russland-Wahl +++

"Acht Jahre Präsident, jetzt wieder Kandidat, schau uns in die Augen: Gib es auf, dein Mandat. Du bist ein gewöhnlicher Beamter, kein Zar und kein Gott." Es ist der Text eines markigen Rockliedes ehemaliger russischer Elitesoldaten. Die muskulösen Sänger tragen in dem Musikvideo Barette und Orden an weiß-blau gestreiften Militärhemden. Hinter den vier Männern hängen Flaggen der russischen Luftlandetruppen. Den Wahlspruch haben sie geändert. Von "Niemand außer uns" in "Niemand außer uns - sagt die Wahrheit laut". Anfang Februar spielte die Band in Moskau, landesweit gingen 230 000 Menschen gegen Putin auf die Straße. Es waren die größten regierungskritischen Proteste seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion. "Die Liebe der Russen zu Putin ist weg", sagt Wladislaw Below, Direktor am Zentrum für Deutschlandforschungen der Russischen Akademie der Wissenschaften in Moskau. "Er macht Witze, aber die Menschen lachen nicht mehr über seinen schwarzen Humor."

Below war am Montag, gemeinsam mit weiteren Experten, zu Gast bei der Deutsch-Russischen Gesellschaft in Hamburg. Vor knapp 100 Gästen diskutierte Below in der Bucerius Law School über die anstehende Wahl. Die Putin-Jahre hätten dem russischen Mittelstand Freiheiten gegeben. "Wo mache ich Urlaub? Welches Auto kaufe ich mir? Wo geht mein Kind zur Schule? All das bestimmen die Menschen selbst", sagt Below. "Jetzt wollen sie auch die Partei wählen, die sie für richtig halten." Doch faire Wahlen würden von Putin verhindert. Der Wahlkampf sei nicht fair, sondern manipuliert, beklagen die Experten. Zu Putins Gunsten. Zwar sei die Bürgerbewegung so stark wie nie zuvor, doch müsse sie endlich ein politisches Programm formulieren, kritisiert die Russland-Expertin Susan Stewart von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Der Opposition gehe es nur um die Kontrolle der Wahlen, beklagt Below. "Aber die Russen haben keine Vorstellung, welche Ziele für Reformen die Opposition hat." Und der Bürgerbewegung fehlt die Chance, sich abseits der Proteste auf der Straße zu organisieren.

+++ Anti-Putin-Protest auf Moskaus Straßen: 100 Festnahmen +++

Dabei wären faire Wahlen ein erster wichtiger Schritt gegen die Allgegenwart Putins. Zwei Drittel der Berichterstattung rund um die Präsidentenwahl entfallen auf ihn, errechneten russische Politologen. In Internet, Fernsehen und Zeitungen inszeniert sich Putin vor allem als "Garant für Stabilität". Er warnt vor einem Rückfall in die chaotischen 1990er-Jahre nach dem Zerfall der Sowjetunion. Putins Wahlkampf geht vor allem in zwei Richtungen: in die Vergangenheit und gegen die Protestbewegung. "Putin nannte die Bürgerproteste eine 'Affenbande', hinter der Amerika stecke", sagt der Autor und Russland-Experte Boris Reitschuster auf der Veranstaltung in Hamburg. Seinem Schwiegervater in Russland sei mit dem Verlust des Arbeitsplatzes gedroht worden, wenn er sich nicht der Pro-Putin-Kundgebung anschließe, erzählt er.

An Putins Wandel fehle Reitschuster der Glaube. Dabei fehle Russland die Stabilität, um eine weitere Präsidentschaft Putins zu verkraften, sagt die russische Autorin Sonja Margolina. "Es gibt in dem Land Auflösungserscheinungen. Die Beamten machen, was sie wollen. Die Infrastruktur wird nicht erneuert." Die versprochenen Investitionen ins Militär, ergänzt Below, seien mit dem Haushaltsdefizit Russlands in keiner Weise vereinbar. Die Expertin Stewart sieht zudem "verkrustete Anreizstrukturen in der Wirtschaft". Manche Menschen würden sich bewusst für eine bestimmte Firma entscheiden, weil sie wüssten, dass sie dort mit Korruption Profit erzielen könnten.

+++ Wahl für neues Parlament in Russland hat begonnen +++

Das Fazit der Experten am Abend in der Bucerius Law School ist ernüchternd: Was den Russen bleibt, ist die Gewissheit, dass Putin die Wahl gewinnen wird. Und die, dass es derzeit keine Alternative gibt zu dem Ministerpräsidenten. Der Kandidat der Kommunisten ist blass, der Anwärter der Nationalisten ein Politclown, die anderen Kandidaten der Opposition politisch unerfahren. "Putin ist gut. Ich sehe niemanden außer ihn, der wählbar ist." Diese Zeilen singen die Goldenen Omis in ihrem Lied, drei ältere Russinnen, die als Folklore-Trio auftreten. Es ist eigentlich ein Pro-Putin-Schlager. Aber er sagt vor allem viel über die politische Lage im Russland vor den Wahlen aus.