Der polnische Präsident hat nicht nur repräsentative Aufgaben: Er hat ein Vetorecht gegen Gesetze sowie Mitspracherechte in der Außenpolitik.

Warschau. Polen wählt ein neues Staatsoberhaupt. Zehn Wochen nach dem tragischen Tod von Präsident Lech Kaczynski trat am Sonntag auch dessen Zwillingsbruder Jaroslaw Kaczynski im Rennen um das höchste Staatsamt an. Trotz der Bedeutung des Votums für das mitteleuropäische Land lief die Wahl nur schleppend an. In den ersten beiden Stunden gaben lediglich 1,87 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme ab, wie die Staatliche Wahlkommission in Warschau mitteilte. Die Wahl verlief bis zum frühen Nachmittag ohne größere Zwischenfälle.

Als Favorit gilt der proeuropäische Parlamentschef Bronislaw Komorowski (58), Kandidat der liberalkonservativen Regierungspartei Bürgerplattform PO. Sein größter Herausforderer Jaroslaw Kaczynski (61) tritt für die nationalkonservative Opposition an. Um das Präsidentenamt bewerben sich insgesamt zehn Kandidaten. Erreicht keiner der Bewerber die absolute Mehrheit, kommt es am 4. Juli zur Stichwahl zwischen den beiden Erstplatzierten.

„Das ist eine wichtige Wahl“, sagte Kaczynski beim Verlassen des Wahllokals im Warschauer Stadtteil Zoliborz. Der Vorsitzende der größten Oppositionspartei Recht und Gerechtigkeit PiS war kurzfristig als Kandidat für die Nachfolge seines toten Bruders eingesprungen. Als Regierungschef (2006-2007) hatte er mit seiner konfrontativen Außenpolitik Polen in Europa isoliert. Auch innenpolitisch war seine Amtszeit von heftigen Konflikten geprägt. Nach dem Tod des Bruders bei einem Flugzeugabsturz erschien Jaroslaw Kaczynski allerdings wie verwandelt - er rief wiederholt seine Gegner zum Kompromiss und Dialog auf. Seine Hand bleibe ausgestreckt, sagte Kaczynski auf der Abschlusskundgebung am Freitag in Danzig.

Regierungschef Donald Tusk hält die Wandlung seines politischen Gegners vom „Scharfmacher zur Friedenstaube“ jedoch für einen Trick. Kaczynski sei ein „Spezialist für Konflikte und kleine Bürgerkriege“, sagte Tusk auf der letzten Kundgebung Komorowskis in Zoppot. Komorowski steht für das proeuropäische Lager, das mehr Abstand zur USA will und die EU als Schwerpunkt polnischer Außenpolitik betrachtet. Er misst guten Beziehungen zu Deutschland große Bedeutung bei.

Lech Kaczynski war am 10. April bei einem Flugzeugabsturz in Russland ums Leben gekommen. Seitdem führt Komorowski kommissarisch die Geschäfte des Präsidenten. Der kurze Wahlkampf verlief im Zeichen tiefer Trauer. Ursprünglich sollte ein neues Staatsoberhaupt erst im Herbst gewählt werden. Wahlberechtigt sind mehr als 30 Millionen Polen. Sie können ihre Stimme zwischen 6.00 Uhr und 20.00 Uhr abgeben.

In den Hochwassergebieten stellten die Behörden den Menschen Transportmittel zur Verfügung, um ihnen die Teilnahme an der Wahl zu ermöglichen. In die Gebiete, die immer noch unter Wasser stehen, wurden Militäramphibien geschickt. Aus der Gemeinde Ropa im Südosten des Landes wurde eine Rekordbeteiligung gemeldet: fast neun Prozent der Wahlberechtigten gingen bereits vor 8.00 Uhr zu den Urnen.

Anders als in Deutschland hat das polnische Staatsoberhaupt laut Verfassung einen wesentlichen Einfluss auf die Sicherheits- und Außenpolitik. Er ist auch der Oberbefehlshaber der Streitkräfte und entscheidet über die militärischen Auslandseinsätze.

In der Vergangenheit war es wiederholt zu Kompetenzstreitigkeiten zwischen Tusks Regierung und Präsident Lech Kaczynski gekommen. Das nationalkonservative Staatsoberhaupt blockierte mehrere Reformprojekte der Regierung mit seinem Veto. Ein Sieg von Komorowski würde der liberalkonservativen Regierung mehr Spielraum für die Modernisierung des Landes geben. Beim Sieg von Jaroslaw Kaczynski droht in den nächsten fünf Jahren eine Fortsetzung der Blockadepolitik.