Am Sonntag wird in Polen ein neuer Staatspräsident gewählt

Warschau. Trauer und die Flut überschatten die Wahl des neuen Präsidenten in Polen. Schon der Wahlkampf stand im Zeichen der Pietät und des Schocks angesichts des Flugzeugabsturzes, bei dem im April neben Präsident Lech Kaczynski Politiker aller Parteien, insgesamt 96 Menschen, ums Leben gekommen waren. Am Freitag, am Geburtstag der Zwillinge, knüpfte Bruder Jaroslaw noch einmal an die Ereignisse an: Er besuchte das Grab des Bruders und seiner Frau in der Kathedrale auf der Krakauer Wawel-Burg. Marta, die Tochter der Verstorbenen, begleitete ihn.

Jaroslaw Kaczynskis ist nun angetreten, "die Mission meines Bruders zu vollenden". Doch offenbar mit Abstrichen. War es früher die Strategie der streitlustigen Kaczynskis gewesen, das Polen der letzten 20 Jahre als großen Augiasstall darzustellen, um alles, was nach Postkommunismus, Vetternwirtschaft, Korruption roch, auszurotten, den Bürgern den "richtigen" Patriotismus einzuimpfen und gegenüber Polens Nachbarn aufzutrumpfen, so hörte man davon jetzt wenig. Jaroslaw Kaczynski gab sich inhaltlich gemäßigt und im Politikstil geläutert. Viele wollen ihm diese Wandlung nicht abnehmen.

Das Milieu der liberalen Intellektuellen mobilisierte noch einmal die Ängste vor den Kaczynskis von früher. So gilt nun Parlamentspräsident Bronislaw Komorowski, ein Vertrauter von Regierungschef Donald Tusk, als Favorit für das höchste Staatsamt. Dessen prominente Anhänger, von dem Regisseur Andrzej Wajda bis zu den Ex-Premiers Mazowiecki und Cimoszewicz, warnten vor einem Rückfall in die Kaczynski-Ära, in den "polnisch-polnischen Krieg".

Der Kandidat der Regierung, Komorowski, sprach im Wahlkampf am liebsten von "Modernisierung" und davon, dass Polen "den Westen einholen" müsse. Das wolle er als Präsident nicht "blockieren" - noch eine Anspielung auf die Amtszeit Präsident Kaczynskis. Dieser hatte im Machtkampf mit der Regierung immer wieder sein Veto eingesetzt, was zu einem Reformstau geführt hatte.

Vor allem war es ein Personenwahlkampf, den Polen erlebte. Komorowski vermittelt das Gefühl, ein verantwortungsbewusster, im Leben erprobter, optimistischer und zupackender Familienvater zu sein. Fünf Kinder haben die Komorowskis großgezogen, was nicht einfach war, da der Vater immer wieder - seit den Bürgerprotesten von 1968 - mit dem Gesetz in Konflikt geriet: mit dem Gesetz des kommunistischen Unrechtsstaates. Gegen diesen demonstrierte und konspirierte er, bis er 1982 im Gefängnis landete.

Zehn Kandidaten treten bei dieser Richtungswahl an. Auf gut zehn Prozent dürfte Grzegorz Napieralski kommen, der Kandidat der Linksallianz - Jahrgang 1974 -, den man nicht recht als "Postkommunisten" bezeichnen kann. Weit abgeschlagen sind in den Umfragen der katholisch-nationale Marek Jurek und der frühere radikale Bauernführer Andrzej Lepper.