Mindestens 38 Menschen starben bei den Anschlägen in Moskau. Ziele waren Metro-Stationen. Russland droht Tätern mit Vernichtung.

Moskau. Die Woche begann blutig in Moskau. Zwei Terroranschläge auf die Metro, das überlebenswichtige unterirdische Verkehrssystem der russischen Metropole, kosteten mindestens 38 Menschen das Leben. Bis zum Montagabend war ein Ende des Sterbens noch nicht abzusehen, in den Krankenhäusern rangen Schwerverletzte mit dem Tode.

"Wir verstanden erst gar nicht, was passiert war. Zuerst dachten wir, über dem Waggon sei die Decke eingebrochen, alle schrien", erzählte ein Mädchen, das unverletzt davongekommen war, weil es im Nachbarwaggon saß, als eine Sprengladung beim Halt an der Metro-Station Lubjanka zwei Dutzend Menschen in den Tod riss. "Erst als wir auf die Straße hinausliefen, erfuhren wir von der Explosion."

Die Behörden sprachen später von einer Hexogen-Sprengladung, die eine Sprengkraft von vier Kilogramm TNT entwickelt habe. Die Wirkung wurde grausam verstärkt, weil der Sprengkörper mit Schrauben, Muttern und Kugeln aus Kugellagern bestückt war, die menschliches Gewebe wie Schrapnelle zerreißen.

Während am Lubjanka-Platz, dem Sitz des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB, die ersten Hilfskräfte eintrafen, Miliz den Platz absperrte und die Eingänge zur Metro schloss, setzte sich das Drama vier Stationen entfernt fort. In der Metro-Station Park Kultury (Kulturpark, früher als Gorki-Park bekannt) zündeten Attentäter 40 Minuten später eine weitere Bombe.

Der Sprengkörper am Park Kultury glich dem an der Lubjanka, war aber mit 1,5 bis zwei Kilogramm TNT etwas schwächer.

Präsident Dmitri Medwedew, erschüttert angesichts der zahlreichen Opfer, versicherte, Russland werde seine harte Linie zur Unterdrückung des Terrors fortsetzen, "ohne Kompromisse und bis zum Ende". Premier Wladimir Putin brach seinen Besuch in Krasnojarsk ab und kehrte nach Moskau zurück. "Die Terroristen werden vernichtet werden", versprach er, wenn auch nicht zum ersten Mal.

Die Metro ist die Lebensader Moskaus, und sie ist in hohem Grade verwundbar. Sie hundertprozentig zu schützen ist unmöglich. Das wussten die Attentäter, und deshalb schlugen sie hier in der Hauptverkehrszeit zu.

Da bisher bereits mehrere Anschläge von tschetschenischen Extremisten verübt worden waren, richtete sich der Blick auch in diesen Fällen auf den Nordkaukasus. Die Behörden vermuten eine "kaukasische Spur", berichtete Interfax unter Berufung auf einen Experten der Sicherheitsorgane. "Wir verfolgen alle Versionen, aber an erster Stelle steht zweifellos die kaukasische Spur", sagte er. Der Experte vermutete denn auch, dass es sich bei den beiden Anschlägen um Racheakte des nordkaukasischen Untergrundes handeln könnte. Die russischen Sicherheitsorgane hatten in jüngster Zeit mit Ansor Astemirow, Salambek Achmadow und Abu Chaled wichtige Führungsfiguren getötet. In Inguschetien war dieser Tage eine Gruppe von 20 "Bojewiki", Kämpfern, erschossen worden. Es sei als Signal zu verstehen, dass einer der Anschläge praktisch vor der Tür des Inlandsgeheimdienstes FSB verübt wurde. Der Geheimdienst residiert auf der Lubjanka in einem rötlich-gelben wuchtigen Gebäude, das auf eine grausige Vergangenheit zurückblickt. Die ehemalige Zentrale der russischen Versicherungsgesellschaft war nach 1917 zum Stützpunkt des bolschewistischen Geheimdienstes geworden. Hier wurden vor allem in den Dreißigerjahren massenhaft Menschen ermordet und gepeinigt. Der russische Inlandsgeheimdienst FSB (Federalnaja Sluschba Besopasnosti) blieb in dem Gebäude und wurde wieder zu einem weit verzweigten, einflussreichen Instrument des Machterhalts.

Die Anschläge direkt vor seiner Nase sind ein Schlag ins Gesicht des Geheimdienstes, der eine wesentliche Rolle im Kampf gegen islamische Extremisten im Nordkaukasus spielt. Direkt vor seiner Haustür sprengten Attentäter die Metro in die Luft. Hier, wo jeden Morgen die einfachen Mitarbeiter des Geheimdienstes die Untergrundbahn verlassen, um ihre Büros aufzusuchen, schlugen sie zu.

Der zweite Anschlag, ausgeführt eine knappe halbe Stunde später, zielte vermutlich auch auf das militärische Rückgrat Russlands. Die Metro-Station Park Kultury (Kulturpark) ist in den Morgen- und Abendstunden als Umsteigebahnhof nicht nur bis an ihre Grenzen ausgelastet. Unweit der Metro-Station ist die "mit dem Leninorden, dem Orden der Oktoberrevolution, dem Rotbannerorden und dem Suworow-Orden ausgezeichnete Akademie der Streitkräfte der Russischen Föderation" zu Hause.

Am Nachmittag bestätigte sich die Vermutung, dass es sich bei den Selbstmordattentätern um Frauen - vermutlich aus dem Nordkaukasus - gehandelt hat. Am Tatort Park Kultury wurden ein zweiter, nicht explodierter Sprengstoffgürtel und Körperteile gefunden, die auf eine kaukasische Herkunft deuten. Sind die sogenannten schwarzen Witwen oder Schachidki (Märtyrerinnen) zurückgekehrt? Erstmals verübten zwei Frauen im Juni 2000 einen Selbstmordanschlag - unüblich für die moslemische Lebensweise der Tschetschenen - , als sie sich vor einer russischen Polizeistation in Tschetschenien in die Luft sprengten.

Auch unter den Geiselnehmern im Moskauer Dubrowka-Theater im Oktober 2002 waren mehrere Frauen. Ihre schwarze Gewandung prägte den Begriff "schwarze Witwen", zumal es sich meist tatsächlich um Witwen oder um Frauen handelte, die männliche Angehörige der Familie im Kampf gegen das russische Militär verloren hatten.