Hamburg/Moskau. Olga Baburina greift sofort zum Telefon. Dreimal, viermal wählt sie die Nummer des Vaters. Er ist um diese Zeit unterwegs zur Arbeit. Gewöhnlich mit der Metro. Auch ihren Bruder versucht Baburina zu erreichen. Vergebens. Das Netz in Moskau ist völlig überlastet. So ist es an einem Morgen, an dem die Menschen in der Millionenstadt auf ein Lebenszeichen von Freunden und Verwandten am anderen Ende der Leitung hoffen. Als gestern bei einem Doppelanschlag von zwei Selbstmordattentäterinnen fast 40 Menschen in den Tod gerissen werden, frühstückt die 36 Jahre alte Baburina gerade in ihrer Drei-Zimmer-Wohnung im Zentrum der Stadt.

Sie ist Geschäftsführerin des Hamburger Chemieunternehmens Albis Plastic in Moskau und arbeitet seit drei Jahren in der Stadt. Zwölf Jahre hat sie in Hamburg gelebt. Gegen acht Uhr hört sie die Nachrichten von der ersten Explosion. Sie ahnt, dass es weitere Anschläge geben wird.

"Obwohl man anfangs fast nichts wusste - keinen genauen Ort, keine Opferzahlen, keinen Hintergrund", sagt sie. An jedem anderen Tag wäre sie nach dem Frühstück mit der Metro zur Arbeit gefahren. Diesmal geht sie zu Fuß. Zu groß ist ihre Angst, die Attentäter könnten noch einmal zuschlagen. Das Büro von Albis liegt nur etwa zehn Minuten entfernt von den U-Bahn-Stationen, in denen der Sprengstoff explodierte. Baburina hört die Sirenen der Krankenwagen. Hubschrauber kreisen über der Innenstadt. Nach und nach erreichen sie und die anderen Mitarbeiter von Albis das Büro. Viele kommen zu spät, denn auf den Straßen von Moskau herrscht Verkehrschaos.

Der Vormittag vor dem Radio im Büro bringt Gewissheit: Die Attentäterinnen sollen Rebellinnen aus dem Kaukasus sein. Die Nachricht bricht mit der Stille von fast sechs Jahren, in denen es keinen Anschlag mehr in Moskau gegeben hat. "Vielleicht demonstrieren die Menschen jetzt gegen die russische Regierung", sagt Baburina. Und für mehr Sicherheit in ihrem Land.

Schon jetzt stehen in den Metrostationen keine Mülleimer mehr - als Maßnahme gegen Terror. "Auch ich wünsche mir ein Leben ohne Angst in Moskau." Die Anschläge würden die Ressentiments der Russen gegen die Menschen im Kaukasus anheizen. "Tschetschenien ist für viele ein rotes Tuch." Die guten Wirtschaftsbeziehungen Russlands würden aber trotz der Gewalt nicht abbrechen. "Auch die Kurse an der Moskauer Börse sind nicht eingebrochen", sagt sie.

Als das Telefonnetz in Moskau wieder stabil ist, melden sich besorgte Freunde aus Hamburg. Auch mit dem Vater und dem Bruder kann Olga Baburina sprechen. Ihnen ist nichts passiert. Beide sind an diesem Tag mit dem Auto zur Arbeit gefahren.