US-Oberst: Das wäre wie eine Messerstecherei in einer Telefonzelle

London/Hamburg. Bagdad ist vollständig eingeschlossen, die Panzer-starke 3. US-Infanteriedivision und die 101. Luftlandedivision stoßen immer wieder kurzfristig mit starken Kräften ins Herz der Hauptstadt vor. Der Kommandeur der 1. Brigade der 3. Division, Oberst Will Grimsley, beschreibt diese Vorstöße als "Stich ins Auge der irakischen Führung". Die Amerikaner scheinen jedoch nicht die komplette Einnahme, sondern eher die Einkesselung Bagdads und die strategische Isolierung der Stadt anzustreben. Dies wäre das Szenario eines "fließenden Sieges" ohne den großen Sturmangriff. Israelis raten ab Denn die völlige Einnahme Bagdads gilt als äußerst schwierig. Der Albtraum der Amerikaner sind langwierige und verlustreiche Straßenkämpfe. Nach den Worten eines US-Oberst muss man sich diese erbitterten Gefechte auf engstem Raum vorstellen wie eine "Messerstecherei in einer Telefonzelle". Auch israelische Militärexperten, die die US-Armee intensiv beraten, raten den Amerikanern eindringlich von Häuserkämpfen ab. Der Versuch einer gewaltsamen Einnahme Bagdads wäre "Selbstmord" der US-Truppen, sag Arnon Foffer vom National Defense College in Jerusalem. Der Ex-Chef des Militärgeheimdienstes Shin Beth, Ex-Generalmajor Schlomo Gasit, verweist auf die Kämpfe in Dschenin, wo vergangenes Jahr 150 leicht bewaffnete, aber entschlossene Palästinenser die israelische Armee 11 Tage aufhielten und 23 Soldaten töteten. Von den erschossenen 52 Palästinensern war die Hälfte zudem Zivilisten. 25 000 tote Zivilisten in Grosny Beim Sturm mit schweren Panzereinheiten auf die tschetschenische Hauptstadt Grosny verlor die russische Armee 1994 2000 Soldaten. Sie zog sich geschlagen zurück und bombardierte die Rebellen massiv aus der Luft. Ergebnis: 25 000 tote Zivilisten. Bei Straßenkämpfen in Bagdad würden die Alliierten einen Großteil ihres technischen Vorsprungs einbüßen. Viele ihrer überlegenen Waffen könnten sie dann nicht mehr einsetzen. Allerdings schlüge die Stunde des "Drachenauges", eines Miniaturflugzeugs, das für die Soldaten um Häuserecken späht und sie so vor einem Hinterhalt warnt. "Die Vorstellung, dass Spezialeinheiten ohne Unterschlupf und ohne das Vertrauen der Bevölkerung im Zentrum Bagdads operieren könnten, ist pures Hollywood", sagt ein ehemaliger Kämpfer der britischen Spezialeinheit SAS. Nach einer von den Briten in Nordirland entwickelten Strategie wird die einzunehmende Stadt nicht als einziges militärisches Ziel betrachtet, sondern in kleine Einheiten wie Häuserblocks, Straßen oder sogar einzelne Gebäude unterteilt. Jede Einheit wird von den Streitkräften einzeln erobert und gesichert. Die Stadt als Schachbrett Um auszuschließen, dass der Feind den Invasionstruppen in den Rücken fällt, kommt vor allem der Sicherung große Bedeutung zu. Entscheidend sei, schnell gute Kontakte zur Bevölkerung aufzubauen, erläutert Garth Whitty vom Royal United Services Institute im "Guardian": "Die Stadt wird wie ein Schachbrett gesehen." Und wie beim Schach brauche man vor allem Geduld. Schneller, aber auch riskanter ist die Strategie der "ausgewählten Dominanz". Dabei würden Spezialeinheiten wie die britischen SAS-Elitesoldaten nach Bagdad eindringen und strategisch wichtige Punkte besetzen. Im Rücken hätten sie dabei aber eine unbekannte Zahl feindlicher Kämpfer. Martin van Creveld, ein Militärstratege an der Hebräischen Universität von Jerusalem, warnt: "Welchen Widerstand wir auch in Dschenin und Gaza zu spüren bekommen haben - das ist nichts verglichen mit dem, was die Amerikaner erwartet."