Zwar entschied der Oberste Gerichtshof in Großbritannien am Mittwoch, dass der Wikileaks-Gründer nach Schweden überstellt werden darf, doch bis er tatsächlich dort ankommt, könnten noch Monate vergehen.

London. Kein Ende im Rechtsstreit um die Auslieferung von Julian Assange: Zwar entschied der Oberste Gerichtshof in Großbritannien am Mittwoch, dass der Wikileaks-Gründer nach Schweden überstellt werden darf, doch bis er tatsächlich dort ankommt, könnten noch Monate vergehen.

Assanges Anwältin forderte am Mittwoch mehr Zeit, um das Urteil zu prüfen und möglicherweise den Fall neu aufzurollen. Der Präsident des Gerichtshofs, Nicholas Phillips, gab ihr zwei Wochen, um ihren Fall darzulegen, womit eine Auslieferung frühestens ab der zweiten Junihälfte möglich wäre. Auch wenn der Oberste Gerichtshof an seinem Urteil festhält, könnte sich der Fall noch weiter in die Länge ziehen. Nämlich dann, wenn Assange anschließend noch vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte Berufung gegen das Urteil einlegt.

Dort dürfte er nach Ansicht von Juristen allerdings wenig Aussicht auf ein Aufhebung haben. Es sei denn, er könnte glaubhaft machen, dass seine körperliche Sicherheit und sein psychologisches Wohlbefinden in Schweden gefährdet wären, sagte die Anwältin Karen Todner, deren Kanzlei in der Vergangenheit eine Reihe hochkarätiger Auslieferungsverfahren abgewickelt hat.

In Großbritannien kam der Fall mit dem Urteil des Obersten Gerichtshofs – jedenfalls vorerst – zu einem Ende. Eine Lösungsfindung im Fall Assange sei „nicht einfach“ gewesen, räumte Phillips ein. Besonders die Frage, ob die schwedischen Behörden seine Festnahme korrekt angeordnet hatten, war zum Streitpunkt zwischen Anklage und Verteidigung geworden. Das Gericht entschied am Mittwoch für die schwedische Seite und erklärte, man sei zu dem Schluss gekommen, dass „der Auslieferungsantrag rechtmäßig eingereicht“ worden sei.

In Schweden wird Assange von zwei Frauen Belästigung und Vergewaltigung vorgeworfen. Er bestreitet die Vorwürfe und stemmte sich bis zuletzt dagegen, für eine Vernehmung nach Schweden zurückzukehren. Er wurde bisher in dem Fall nicht offiziell angeklagt. Sein Fall sei politisch motiviert und er befürchte, keinen fairen Prozess zu erhalten, erklärte er. Assange hatte Berufung gegen die Entscheidung des Hohen Gerichts in London eingelegt, wonach seine Auslieferung nach Schweden rechtens sei, und war vor den Obersten Gerichtshof gezogen. Seiner Ansicht nach erfüllt der ausgestellte Haftbefehl nicht die Anforderungen des britischen Rechts.

Entscheidung mit fünf zu zwei Stimmen

Wie kompliziert der Fall tatsächlich ist, zeigte sich auch in dem jüngsten Urteil des höchsten britischen Gerichts. Mit fünf zu zwei Gegenstimmen befanden die Richter den Haftbefehl gegen Assange für rechtens.

Kurz nach der Urteilsverkündung erhob sich aber Assanges Anwältin Dinah Rose überraschend mit dem Hinweis, dass die richterliche Entscheidung auf Beweisen basiere, die im Berufungsverfahren nicht berücksichtigt worden seien. Daher bat sich Rose Zeit aus, um das Urteil prüfen zu können.

Assange und seine Unterstützer haben angedeutet, dass die Vorwürfe wegen sexueller Vergehen nur als Vorwand für eine Auslieferung an die USA dienten, wo er nach eigener Aussage wegen der Wikileaks-Veröffentlichungen im Geheimen angeklagt werde.

Australische Regierung will Verfahren „genau beobachten“

Der Anwalt der beiden Schwedinnen, Claes Borgström, zeigte sich erleichtert über das Urteil. Allerdings fügte er hinzu, es sei schwierig zu verstehen, warum die Verteidigung die Möglichkeit erhalten hatte, den Fall neu aufzurollen. Zugleich wies Borgström Vermutungen zurück, die Auslieferung des 40-jährigen Australiers diene nur dazu, diesen an die USA zu übergeben. „Es gibt kein größeres Risiko für ihn, von Schweden übergeben zu werden, als von Großbritannien“, sagte der Anwalt.

Die australische Regierung kündigte nach dem Entscheid an, sie würde das Verfahren gegen Assange in Schweden „genau beobachten“. Assange selbst erschien am Mittwoch nicht im Gerichtssaal, weil er angeblich im Verkehr stecken geblieben war. Den Großteil der vergangenen eineinhalb Jahre hat er im Anwesen eines Unterstützers in England verbracht.

Chronik des Verfahrens gegen Wikileaks-Gründer Julian Assange

Anfang August 2010: Julian Assange reist zu Vorträgen nach Schweden und gibt mehrere Interviews. Aus Polizeiunterlagen geht hervor, dass er innerhalb einer Woche mit zwei Frauen Geschlechtsverkehr hat.

20. August: Die Stockholmer Staatsanwaltschaft erlässt Haftbefehl gegen Assange. Es gehe um zwei Ereignisse, heißt es. Im einen Fall werde ihm Vergewaltigung, im anderen Belästigung vorgeworfen. Einen Tag später wird der Haftbefehl jedoch wieder aufgehoben. Die Behörde erklärt, der Vergewaltigungsverdacht sei unbegründet, es werde aber weiter wegen Belästigung ermittelt.

18. Oktober: Die schwedische Einwanderungsbehörde lehnt einen Antrag Assanges auf Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis ab. Der Australier wollte in Schweden die Zentrale von Wikileaks aufbauen, um dort von einem gesetzlichen Informantenschutz zu profitieren.

23. Oktober: Wikileaks veröffentlicht etwa 400.000 Geheimdokumente zum US-Einsatz im Irak. Nach einer Pressekonferenz Anfang November in Genf verschwindet Assange aus der Öffentlichkeit. Interviews gibt er nur noch über das Internet.

18. November: In Stockholm wird erneut Haftbefehl gegen Assange wegen Vergewaltigung, sexueller Belästigung und Nötigung erlassen. Der Australier legt Berufung ein, die wird aber abgelehnt.

29. November: Wikileaks beginnt mit der Veröffentlichung weiterer Geheimdokumente der USA. Australien prüft, ob Assange damit gegen nationale Gesetze verstoßen hat. Ecuador bietet dem Australier Asyl an. Einen Tag später kündigen die USA an, eine Strafverfolgung wegen Spionage zu prüfen. Interpol schreibt Assange zur Fahndung aus.

2. Dezember: Ein erneuter Antrag Assanges auf Aufhebung seines Haftbefehls wird vom Obersten Gerichtshof Schwedens abgelehnt. Er soll wegen der erhobenen Vorwürfe polizeilich befragt werden.

7. Dezember: Assange stellt sich in London der Polizei, wird dem Haftrichter vorgeführt und bleibt zunächst in Untersuchungshaft. Gegen eine Auslieferung nach Schweden setzt er sich zur Wehr.

14. Dezember: Ein Londoner Gericht beschließt die Freilassung Assanges auf Kaution. Er muss eine elektronische Fußfessel tragen, sich an einer bekannten Adresse aufhalten und sich regelmäßig bei der Polizei melden. Wegen eines Einspruchs aus Schweden kommt er aber erst zwei Tage später auf freien Fuß.

17. Dezember: Die australische Regierung erklärt, Assange habe nicht gegen Gesetze seines Heimatlandes verstoßen.

7. Februar 2011: In einer gerichtlichen Anhörung wehrt sich Assange, der seit Dezember auf dem Anwesen eines Unterstützers in Großbritannien lebt, erneut gegen seine Auslieferung nach Schweden.

24. Februar: Ein Londoner Richter erklärt die Auslieferung Assanges für rechtens. Die Anwälte des Wikileaks-Gründers legen später Berufung gegen die Entscheidung ein.

30. Mai: Der Oberste Gerichtshof Großbritanniens macht den Weg für eine Auslieferung Assanges frei. Fünf der sieben Richter erachteten das Auslieferungsgesuch als gesetzeskonform und wiesen Assanges Einspruch dagegen ab. Die Anwälte des Australiers haben zwei Wochen Zeit, um das Urteil zu prüfen und gegebenenfalls Einspruch einzulegen.