Zum ersten Mal in der Geschichte des Landes dürfen die Ägypter ihren Präsidenten frei wählen. Zwölf Kandidaten stehen zur Abstimmung.

Kairo. In Ägypten sind die Menschen den zweiten Tag in Folge in die Wahllokale geströmt, um zum ersten Mal in der Geschichte des Landes in einer freien Abstimmung über ihren Präsidenten zu entscheiden. Am arbeitsfreien Donnerstag bildeten bereits am Morgen mehrere Hundert Bürger eine Schlange vor einem der Abstimmungslokale in der Hauptstadt. "Ich war gestern schon da, dann war es aber so voll, dass ich heute nochmals gekommen bin“, erzählt Chaled Abdu. "Ich muss an dieser Entscheidung über den Präsidenten teilnehmen und hoffe, dass das zu Stabilität und zu der Veränderung führt, die nötig ist.“ Der 25 Jahre alte Ingenieur fasste damit eine Stimmung in Worte, die die Wahl bereits am ersten Tag geprägt hatte.

Trotzdem blieb die Beteiligung am Mittwoch ersten Schätzungen zufolge unter der der Parlamentswahl zu Anfang des Jahres, als die gemäßigten Muslimbrüder die meisten Sitze im Abgeordnetenhaus errangen. Beobachter machten neben dem Werktag die langen Wartezeiten und die sengende Hitze dafür verantwortlich, dass weniger Menschen ihre Stimme abgaben.

+++ Ägypter wählen in erster freier Wahl ihren Präsidenten +++

Bei der Wahl stehen zwölf Kandidaten zur Abstimmung. Der künftige Präsident, der die sechs Jahrzehnte lange Vorherrschaft von Staatschefs aus den Reihen des Militärs beenden soll, wird wohl erst nach der Stichwahl im Juni feststehen.

Zu den Kandidaten mit guten Erfolgschancen gehört der frühere Chef der Arabischen Liga und Ex-Außenminister Amr Mussa. Als weitere aussichtsreiche Bewerber gelten der von den radikal-islamischen Salafisten unterstützte frühere Muslimbruder Abdel Moneim Abol Fotuh und Mubaraks letzter Ministerpräsident Ahmed Schafik. Gut im Rennen dürfte auch der Muslimbruder Mohamed Nursi liegen.

Hoffnung auf eine bessere Zukunft

Die Militärführung, die nach dem Sturz Mubaraks offiziell die Macht übernommen hat, will diese am 1. Juli dem frei gewählten Präsidenten übergeben. Die Bekanntgabe des Wahlsiegers ist für den 21. Juni angekündigt – nach einer Stichwahl.

Die Muslimbruderschaft will im Falle eines Sieges eine moderate Version des islamischen Rechts einführen. Ihr Kandidat ist Mohammed Morsi. Der zweite religiös orientierte Favorit ist Moneim Abolfotoh, dessen Programm auch von liberalen, linken und christlichen Bürgern unterstützt wird.

Eine große Sorge der Menschen ist auch die Furcht vor Unruhen nach der Wahl, weil die Verlierer das Ergebnis nicht anerkennen. Viele Islamisten drohten bereits damit, eine neue Protestwelle loszutreten, sollte Schafik gewinnen. Denn er könne nur durch Wahlbetrug siegen, sagten sie.

Am Mittwoch gab es zunächst aber nur wenige Berichte über offene Verletzungen der Wahlbestimmungen. Bei den meisten Verstößen machten Anhänger der Kandidaten verbotenerweise Wahlwerbung in der Nähe der Wahllokale. Drei internationale Beobachterorganisationen überwachen die Wahl, darunter auch das amerikanische Carter-Center. Der ehemalige US-Präsident Jimmy Carter besuchte selbst ein Wahllokal in der Kairoer Altstadt.

"Der Druck wird weiter anhalten“

Gewählt wird der fünfte Präsident seit dem Sturz der Monarchie vor 60 Jahren. Seit 1952 ist Ägypten von Präsidenten regiert worden, die aus dem Militär hervorgegangen waren: Mohammed Nagib, Gamal Abdel Nasser, Anwar Sadat und – 29 Jahre lang – Mubarak.

Keine Chance, in die Stichwahl zu kommen, hat nach Einschätzung von Beobachtern der Kandidat, der den revolutionären Kräften am nächsten kommt: der Menschenrechtsanwalt Chaled Ali. "Wir werden einen gewählten Präsidenten haben, aber es gibt weiter die Streitkräfte und das alte Regime ist nicht abgeschafft,“ sagte einer der Führer der Protestbewegung gegen Mubarak, Ahmed Maher. "Aber der Druck wird weiter anhalten. Wir werden nicht schlafen. Das Volk ist endlich aufgewacht. Wer immer der nächste Präsident sein wird, wir werden ihn nicht in Ruhe lassen.“

Mit Material von dpa/dapd/rtr