Der Schriftsteller Rafik Schami ist wütend auf Syriens Präsidenten Assad - und hat klare Vorstellungen von der arabischen Demokratie.

Hamburg. Wer die Herzen der Kinder erobert hat, braucht nicht viel, um die ihrer Eltern zu öffnen. Der Schriftsteller Rafik Schami, ein in Deutschland promovierter Chemiker, hat Bücher wie "Der Fliegenmelker" geschrieben, "Das Schaf im Wolfspelz" oder "Das Geheimnis des Kalligraphen". Seine Ironie ist so fein, sein Wortschatz entfaltet eine solche Wucht, dass er alle denkbaren Preise abgeräumt sowie Bestseller-Platzierungen erreicht hat und in 24 Sprachen übersetzt wurde. Man kann mit dem großen Erzähler aber auch die Tagespolitik diskutieren. Im Falle Syriens: Mord, Totschlag, Massaker, Vergleiche von arabischen Diktatoren mit den Nazis - Rafik Schami gibt Auskunft.

Syriens Hauptstadt Damaskus pulsiert tief in seinem Herzen. Von dort bahnt sich eine Wut auf Präsident Baschar al-Assad ihren Weg auf die Zunge des Schriftstellers. Dabei hat er "Deutschland im Blick", wie es in einem autobiografischen Buch heißt. "Die syrische Botschaft in Deutschland hat noch nie etwas Kulturelles veranstaltet. Da arbeiten fast nur Agenten des Geheimdienstes. Jetzt wurden einige Syrer wegen ihrer Geheimdiensttätigkeit auch in Deutschland verhaftet. Darunter waren Studenten und Kaufleute. Das hat viele schockiert - mich nicht", sagte Schami im Gespräch mit dem Abendblatt.

Assads Vater hat 15 Geheimdienste aufgebaut. Und wer hat dieses Geschäft den Syrern beigebracht? "Die Stasi und der russische Geheimdienst KGB." Russland gilt als letzter Freund Assads. Schami ist 1971 als Student aus Damaskus mehr oder minder geflohen. Die Wandzeitung, an der er mitarbeitete, wurde verboten. Seine Erinnerung ist bitter: "Es war makaber, russische Kommunisten in Eintracht und inniger Freundschaft - inklusive Küsschen - mit ägyptischen, syrischen oder algerischen Diktatoren zu sehen, während arabische Kommunisten in den Kellern der jeweiligen Geheimdienste und in Folterlagern in der Wüste starben."

Schami geht mit dem Clan des Präsidenten hart ins Gericht: "Syrien war aus Herrschersicht eine Farm der Sippe Assad: hier die Hühner, dort die Pferde. Die konnten sich nicht vorstellen, dass ihre Sklaven einen Aufstand machen." Das Aufbegehren richte sich gegen Assad, aber auch gegen die eigene Elterngeneration, die sich mit den Verhältnissen arrangiert habe. "Man liest nur über die neue Mode von Frau Assad und dass Doktor Assad in London studiert hat. Als ob das ein Ausweis für Freiheitsliebe und Kultiviertheit wäre. Goebbels hatte auch seinen Doktor gemacht."

+++ Rafik Schami: Assad konnte sich Aufstand seiner Sklaven nicht vorstellen +++

Mit einer "Killerarmee" gehe der Präsident auf sein Volk los. Die Berichte aus Syrien sind kaum überprüfbar. Der frühere CDU-Politiker und Buchautor Jürgen Todenhöfer bezweifelt die Angaben der Oppositionellen. Todenhöfer konnte belegen, dass einige der im Internet hochgeladenen Videos manipuliert waren. Schami kontert: "Es werden jeden Tag 40, 50 Videos bei YouTube hochgeladen, die zeigen, wie Homs zerstört wird, wie Assads Soldaten Syrer töten. Es hat in der Tat drei, vier gefälschte Videos gegeben, die ihren Weg in die Nachrichten fanden. Aber die große Mehrzahl ist authentisch." Über Todenhöfer hat er sein Urteil gefällt: "Ich kann keinem Mann glauben, der mit Assad Tee trinkt und von den Revolutionären als Terroristen spricht. Und schon gar nicht, wenn er einen syrischen Nationalsozialisten namens Ali Haidar als gemäßigten Oppositionellen nennt." Der Schriftsteller hat eine klare Vision von der Zukunft der arabischen Gesellschaft. Sie ist so überraschend wie einleuchtend: Demokratie. Menschenrechte achten, Staat und Religion trennen. "Der Konsum ist westlich, die Computer sind westlich - warum sollte man Syrien nicht nach westlich-demokratischen Regeln organisieren können? Es werden Leute kommen, die sagen: Aber Frauen erhalten nur die halben Rechte. Das ist Mittelalter und nicht Syrien im Jahre 2012."

Das wirkt etwas weltfremd angesichts der Friedensdiplomatie, der Uno-Resolutionen, der Bemühungen der arabischen Länder. Umso verblüffender ist Schamis Idee von einem Übergang Syriens von der faktischen Diktatur in eine offenere Gesellschaft. Er setzt voll auf den Sondergesandten der Vereinten Nationen: "Kofi Annan ist ein Profi. Ihn kann Assad nicht leicht hereinlegen wie die Arabische Liga." Derzeit herrsche eine Patt-Situation. "Assad kann die Revolution nicht ersticken. Die Aufständischen können ihn nicht stürzen." Für den Präsidenten wäre jedoch ein Asyl in Russland oder im Iran denkbar. Schami kann sich sogar eine Beteiligung der Herrscher-Familie an einer Friedenslösung vorstellen: "Die Opposition müsste mit den Moderaten aus der zweiten Reihe im Assad-Clan eine Übergangsregierung bilden." Utopisch? Für jemanden, der erfolgreich Kinderbücher schreibt, ist Fantasie Tagespolitik.

Rafik Schami liest auf Einladung der Heymann-Buchhandlung heute um 16 Uhr in der Hamburger Zentralbibliothek aus seinem neuen Buch "Das Herz der Puppe". Die Lesung ist ausverkauft.