Die Waffenruhe in Syrien ist trotz der Uno-Beobachtermission brüchig. In anderen Ländern droht das Scheitern des Wandels.

Hamburg. Die Situation sei "düster", die Waffenruhe "wackelig", von Zweifeln ist die Rede, wenn der Sondergesandte der Vereinten Nationen, Kofi Annan, über die Uno-Beobachtermission in Syrien spricht. Es dringen Meldungen nach außen, dass die Truppen von Herrscher Baschar al-Assad jedes Dorf, in dem ein Beobachter war, mit Vergeltungsakten bestrafen wollen. Weiterhin liefert sich die Armee Gefechte mit Rebellen - trotz offiziellen Waffenstillstands. Das zeigen Satellitenaufnahmen und Quellen der Uno.

Die Zahl der zivilen Opfer steigt. 3000 Menschen sollen bereits umgekommen sein, manche sprechen von mehr als 11 000 Toten, genaue Angaben sind schwer zu ermitteln. Und der Ruf nach militärischer Intervention in Syrien wird lauter.

Welche Risiken würde ein Angriff der Nato auf die Truppen Assads bergen? Ist Syrien vergleichbar mit Libyen vor einem Jahr? Droht ein Scheitern des demokratischen Wandels in der arabischen Region? Vor Kurzem trafen sich Wissenschaftler, Journalisten, Politikberater zum 150. Bergedorfer Gesprächskreis der Körber-Stiftung. Das Treffen fand in Kairo statt, im Vertrauen, ohne Öffentlichkeit. Mit dabei war neben den Experten aus der Region auch der ehemalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker. Das Abendblatt hatte die Gelegenheit, einige Teilnehmer der Tagung zur aktuellen Situation im arabischen Raum zu befragen. Aus den Antworten entwirft sich ein Bild, in dem die anfängliche Euphorie über den Sturz der Diktatoren einer Ernüchterung weicht. Dennoch bleibt die Zuversicht - und es zeigen sich konkrete Forderungen.

Aus Sicht von Rafif Jouejati benötigt die "Freie Syrische Armee" der Aufständischen vor allem eine sichere Pufferzone, damit sie sich dort organisieren, Kämpfer trainieren und ausstatten kann. Jouejati ist Sprecherin des Lokalen Koordinierungskomitees in Syrien (LCCS). Derzeit lebt sie in Washington. Neben Zonen für humanitäre Versorgung forderten die Menschen dort auch eine internationale Intervention, um Korridore einzurichten, in denen Hubschrauber und Luftwaffe des Regimes an Flächenbombardements gehindert würden.

Iman Bugaighis ist Kritikerin einer Intervention in Syrien durch internationale Truppen. Bugaighis war Sprecherin des Nationalen Übergangsrates in Tripolis. Anders als in Libyen sei Syrien zu nah an Israel, um zu intervenieren, sagte sie dem Abendblatt. Bugaighis hob hervor, dass das libysche Flugabwehrsystem deutlich schwächer aufgestellt war, als das in Syrien der Fall sei. Eine militärische Intervention berge ein höheres Risiko. Libyen sei isoliert ge-wesen im Kampf gegen die Nato und die Widerstandskämpfer. Syrien aber, warnt Bugaighis, habe Verbündete in der Region: vor allem den Iran.

Vielleicht steht Syrien dennoch das bevor, was andere Staaten in der arabischen Region schon erreicht haben: eine Revolution. Aber die Beispiele Ägypten und Tunesien zeigten, dass erst das zweite Jahr nach dem Sturz der Diktatur das schwierige Jahr sei, hebt Klaus Wehmeier hervor. Er ist stellvertretender Vorsitzender im Vorstand der Körber-Stiftung und diskutierte bei dem Treffen in Kairo mit. Wehmeier reist häufiger in die Region. In den arabischen Staaten gehe es nun darum, Wahlen zu organisieren, demokratische Institutionen aufzubauen, den Einfluss der alten Kader in Militär, Verwaltung und Polizei zu beschneiden. Und es geht um eine stabile Wirtschaft sowie die Sicherung von Arbeitsplätzen. Bisher gibt es vor allem in Tunesien wenig Erfolg.

Ein Erfolg war die sogenannte Arabellion in Tunesien und Ägypten vor allem für islamische Parteien - von gemäßigten Kräften bis hin zu Islamisten. Man dürfe sich im Westen einem Dialog mit islamischen Parteien aber nicht verschließen, sagt Wehmeier. Genauso müssten der Schutz von religiösen Minderheiten und die Gleichberechtigung der Frauen gewahrt werden. Abdulkhaleq Abdulla kritisiert den Obersten Rat der Streitkräfte in Ägypten (Scaf), der derzeit noch immer das Land regiert, übergangsweise, wie es heißt. Abdulla ist Professor für Politikwissenschaft an der United-Arab-Universität in Kairo. Er kritisiert vor allem den politischen Kuhhandel, den der Militärrat mit den sunnitischen Muslimbrüdern betreibt, die im Januar als stärkste Fraktion in das erste demokratisch gewählte Parlament Ägyptens einzogen und zusammen mit den radikalen Salafisten eine 70-Prozent-Mehrheit formen. Sie wollen bei Frauen-, Ehe- und Scheidungsrecht die Uhren zurückdrehen.

Doch der Militärrat, für viele Symbol der alten Eliten der Diktatur, steuert das politische Geschehen in Ägypten. Ende Mai wird in Ägypten ein neuer Präsident gewählt. Der Militärrat hat mehrere Kandidaten ausgeschlossen - auch von den strenggläubigen Salafisten und den Muslimbrüdern.

Im Protest gegen den Militärrat demonstrierten nun erstmals seit Monaten auch Islamisten gemeinsam mit Liberalen und Jugendgruppen auf dem Tahrir-Platz im Zentrum Kairos. Eines zeigt der Protest auch: Das Land ist wenig stabil kurz vor der Wahl. Und scheitert die Demokratisierung in Ägypten, so ist sich Professor Abdulla sicher, sei auch die Perspektive für die ganze arabische Region düster. Ägypten, sagt er, sei der Trendsetter.