Mit einem Ansturm auf die Wahllokale hat in Ägypten die erste demokratische Präsidentenwahl in der Geschichte des Landes begonnen.

Kairo. Zum ersten Mal in der Geschichte des Landes dürfen die Ägypter ihren Präsidenten frei wählen. Schon zum Auftakt der zweitägigen Abstimmung strömten am Mittwoch viele der rund 50 Millionen Wahlberechtigten zu den Wahllokalen. Vor den Wahlkabinen bildeten sich lange Schlangen. Während der teilweise stundenlangen Wartezeit gingen die Debatten, wer nun der Richtige sei, weiter. Zwar bewerben sich 13 Kandidaten um das wohl einflussreichste politische Amt des Landes, letztendlich wird es aber wohl auf ein Duell zwischen den Kräften des alten Regimes und der Islamisten hinauslaufen.

Ein Erstrundensieg galt als unwahrscheinlich, am 16. und 17. Juni wird es voraussichtlich eine Stichwahl der beiden Erstplatzierten geben. Anhänger der Kandidaten mit Verbindungen zu dem vor mehr als 15 Monaten gestürzten Mubarak-Regime hoffen nach Monaten der zunehmenden Kriminalität, der wirtschaftlichen Probleme und der blutigen Kämpfe auf Stabilität. Anderen jagt der Gedanke an eine Rückkehr der Funktionäre des Alten Regimes Angst ein.

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Die Islamisten, insbesondere die Muslimbruderschaft, sehen in den Wahlen eine Möglichkeit, nach Jahrzehnten der Unterdrückung ihre Vorstellungen von einer muslimischen Gesellschaft in die Tat umzusetzen. Ihre Kritiker fürchten sich allerdings vor der Errichtung einer Theokratie. Die Bruderschaft, die bereits das Parlament beherrscht, versuchte die Ängste zu besänftigen. Sie strebe nicht danach, Saudi-Arabien nachzuahmen und Frauen zum Tragen eines Schleiers zu zwingen oder brutale Strafen wie die Amputation von Gliedmaßen einzuführen.

„Du kannst mir nicht sagen: ’Stimme dafür oder du bist ein Sünder!’“, sagte Wael Ramadan zu einem neben ihm Wartenden vor einem Wahllokal in dem armen Kairoer Stadtteil Basateen. „Wir haben das niemals gesagt“, protestierte der andere Mann. „Doch. Habt ihr“, erwiderte Ramadan.

„Die Revolution hat viel verändert. Gute Dinge und schlechte Dinge“, sagte Ramadan anschließend. „Das Gute ist die Freiheit. Wir sind hier und tun uns die Warterei in der Schlange an, um einen Präsidenten zu wählen. Meine Stimme zählt. Es ist jetzt ein Recht“, sagt der 40 Jahre alte Angestellte einer Telekommunikationsfirma. „Nun wollen wir einen Präsidenten mit einer Vision.“

Hoffnung auf eine bessere Zukunft

Die Militärführung, die nach dem Sturz Mubaraks offiziell die Macht übernommen hat, will diese am 1. Juli dem frei gewählten Präsidenten übergeben. Die Bekanntgabe des Wahlsiegers ist für den 21. Juni angekündigt – nach einer Stichwahl.

Die Muslimbruderschaft will im Falle eines Sieges eine moderate Version des islamischen Rechts einführen. Ihr Kandidat ist Mohammed Morsi. Der zweite religiös orientierte Favorit ist Moneim Abolfotoh, dessen Programm auch von liberalen, linken und christlichen Bürgern unterstützt wird.

Die weltlichen Favoriten sind alte Bekannte aus dem Mubarak-Establishment: Der frühere Ministerpräsident Ahmed Schafik und der frühere Außenminister Amr Mussa. Ihre Gegner sagen, dass sie wenig am autokratischen System ändern wollen.

Eine große Sorge der Menschen ist auch die Furcht vor Unruhen nach der Wahl, weil die Verlierer das Ergebnis nicht anerkennen. Viele Islamisten drohten bereits damit, eine neue Protestwelle loszutreten, sollte Schafik gewinnen. Denn er könne nur durch Wahlbetrug siegen, sagten sie.

Am Mittwoch gab es zunächst aber nur wenige Berichte über offene Verletzungen der Wahlbestimmungen. Bei den meisten Verstößen machten Anhänger der Kandidaten verbotenerweise Wahlwerbung in der Nähe der Wahllokale. Drei internationale Beobachterorganisationen überwachen die Wahl, darunter auch das amerikanische Carter-Center. Der ehemalige US-Präsident Jimmy Carter besuchte selbst ein Wahllokal in der Kairoer Altstadt.

„Der Druck wird weiter anhalten“

Gewählt wird der fünfte Präsident seit dem Sturz der Monarchie vor 60 Jahren. Seit 1952 ist Ägypten von Präsidenten regiert worden, die aus dem Militär hervorgegangen waren: Mohammed Nagib, Gamal Abdel Nasser, Anwar Sadat und – 29 Jahre lang – Mubarak.

Keine Chance, in die Stichwahl zu kommen, hat nach Einschätzung von Beobachtern der Kandidat, der den revolutionären Kräften am nächsten kommt: der Menschenrechtsanwalt Chaled Ali. „Wir werden einen gewählten Präsidenten haben, aber es gibt weiter die Streitkräfte und das alte Regime ist nicht abgeschafft,“ sagte einer der Führer der Protestbewegung gegen Mubarak, Ahmed Maher. „Aber der Druck wird weiter anhalten. Wir werden nicht schlafen. Das Volk ist endlich aufgewacht. Wer immer der nächste Präsident sein wird, wir werden ihn nicht in Ruhe lassen.“

Mit Material von dpa/dapd