Deutschland setzt die Ukraine unter Druck. Doch längst nicht in allen EU-Ländern herrscht eine vergleichbare harte Haltung vor.

Kiew/Berlin. Die Bundesregierung droht der Ukraine immer offener mit einem Fernbleiben ihrer Politiker bei den dort geplanten Spielen der Fußball-Europameisterschaft. Die fußballbegeisterte Bundeskanzlerin Angela Merkel macht eine Reise in das EU-Land davon abhängig, dass sich die Situation der inhaftierten und schwerkranken Oppositionsführerin Julia Timoschenko verbessert. Doch längst nicht in allen EU-Ländern herrscht eine vergleichbare harte Haltung vor.

„In Deutschland ist die Frustration darüber, was in den vergangenen Jahren mit der Ukraine passiert ist, so stark, dass es für das Land keinen politischen Rabatt mehr gibt“, führt der Wissenschaftler Kai-Olaf Lang von der Stiftung Wissenschaft und Politik als Grund dafür an. Das hänge mit der speziellen Bedeutung zusammen, die die Ukraine für die Bundesrepublik jahrelang gehabt habe. So habe sich Deutschland sehr stark dafür engagiert, die Ukraine enger mehr an die EU heranzuführen. Als Deutschland 2007 etwa die EU-Präsidentschaft inne gehabt habe, sei die Ukraine zum Modell für die neuen Beziehungen der EU zu den östlichen Nachbarn erkoren worden. „Die Ukraine sollte sozusagen Musterland werden. Das ist jetzt nicht passiert“, sagt Lang im Reuters-Interview.

Andere Länder seien über die Zustände in der Ukraine ebenfalls frustriert. Doch sei ihnen nicht daran gelegen, das Land im Zusammenhang mit dem Fall Timoschenko, den Menschenrechtsfragen und der Fußball-EM zu stark abzustrafen, sagt Lang. Es herrsche die Befürchtung, dass die Ukraine langfristig „geopolitisch abdriften“ könne.

Ein politischer Boykott der EM würde nach Ansicht des Wissenschaftlers international stark wahrgenommen und somit durchaus Wirkung zeigen. Ginge Deutschland diesen Schritt, würden sich dem auch andere Länder anschließen. „Das wäre nach innen und nach außen ein Misserfolg für die ukrainische Führung.“ Diese strebe eine perfekte Show und ein professionell ausgerichetes Event an, „bei dem man sich nicht zuletzt inszenieren kann mit hochrangigen Gästen aus aller Welt“. Deutschland sei zudem im Grunde „Partner Nummer Eins“ für die Ukraine in der EU. „Wenn Deutschland da so ein Zeichen setzt, wäre das eine empfindliche Ohrfeige für (Präsident Viktor) Janukowitsch.“

Für Merkel hatte Vize-Regierungssprecher Georg Streiter am Montag erklärt, es gebe weiter keine konkreten Reiseplanungen. Jede Planung stehe aber unter dem Vorbehalt des Schicksals Timoschenkos sowie unter „Vorbehalt der Rechtsstaatlichkeit“ in der Ukraine.

Am Wochenende waren die Forderungen nach einem politischen Boykott der Fußball-Europameisterschaft lauter geworden. Die deutsche Mannschaft trägt alle drei Vorrundenspiele in der Ukraine aus, das die EM gemeinsam mit Polen ausrichtet. Das Endspiel findet am 1. Juli in Kiew statt.