Berlin. Alexander Graf Lambsdorff ist Deutschlands Botschafter in Moskau. Wie er mit dem wohl schwierigsten Diplomaten-Job der Welt umgeht.

Deutscher Botschafter in Russland: Es gibt derzeit wohl keinen schwierigeren Diplomaten-Job als die Vertretung in Moskau. Klartext reden, ohne Porzellan zu zerschlagen, lautet der Arbeitsauftrag. Mitten im Ukraine-Krieg die Drähte zu Präsident Wladimir Putin, Außenminister Sergej Lawrow oder Verteidigungsminister Sergej Schoigu zu halten – allein das ist eine politische Herkulesaufgabe.

Seit August 2023 ist Alexander Graf Lambsdorff (FDP) von Außenministerin Annalena Baerbock mit dieser Aufgabe betraut. Der 57-Jährige ist ein erfahrener Diplomat und hat auch schon eine Vergangenheit mit Russland. Für seinen aktuellen Posten findet er vor allem Inspiration im Wirken von Hans-Dietrich Genscher, der von 1974 bis 1992 deutscher Außenminister war und damit während des Kalten Krieges ebenfalls eine diplomatisch höchst komplizierte Zeit zu händeln hatte.

„Genscher hatte es damals mit dem sowjetischen Außenminister Andrej Gromyko zu tun, dessen Spitzname ‚Mister Njet‘ war“, sagte Lambsdorff dieser Redaktion im vergangenen Jahr vor seinem Wechsel nach Moskau. Gromyko, der mit hängenden Mundwinkeln und steinerner Miene westliche Politiker oft zur Verzweiflung brachte, stand fast 30 Jahre an der Spitze des Außenministeriums der UdSSR. „Genschers Philosophie war: Wenn wir den Gesprächsfaden abreißen lassen, dann merken wir auch nicht, wenn sich irgendetwas ändert. So sehe ich das auch.“

Alexander Graf Lambsdorff steht in Russlands Außenministerium in der Kritik

Von „scharfkantiger Rhetorik“ hält Lambsdorff nichts. „Ich sehe meine Aufgabe darin, der russischen Seite unmissverständlich, aber diplomatisch zu kommunizieren, wie die Bundesregierung die Dinge sieht“, formuliert er seinen politischen Spagat in Moskau. Dadurch brachte er aber auch schon einmal das russische Außenministerium gegen sich auf: Im Dezember hatte Lambsdorff in einem Weihnachtsgottesdienst in Moskau den Opfern der Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten gedacht und Kriege als „nicht unausweichlich“ bezeichnet.

Die Sprecherin des Außenministers Sergej Lawrow, Maria Sacharowa, reagierte daraufhin auf ihrem Telegram-Kanal und beschuldigte Deutschland für den Krieg: „Es ist sehr schade, dass der deutsche Botschafter vergessen hat, seiner Regierung für die regelmäßigen Waffenlieferungen ins Gebiet des ukrainischen Konflikts zu danken.“

Lambsdorff ist aus vielen Auftritten in Talkshows bekannt

Auch während seiner Zeit im Bundestag machte der Neffe des ehemaligen Bundeswirtschaftsministers und FDP-Chefs Otto Graf Lambsdorff schon immer wieder von sich reden. Als stellvertretender FDP-Fraktionsvorsitzender mit Schwerpunkt Außenpolitik saß er oft in deutschen Talk-Shows und vertrat pointierte Positionen. So hatte er zum Beispiel schon vor seinem Aufstieg auf den Botschafterposten immer wieder bemängelt, dass die Bundesregierung Kiew nicht in dem Maße unterstütze, wie sie es tun könnte.

2021 war Alexander Graf Lambsdorff noch in Berlin bei den Verhandlungen zum Koalitionsvertrag der Ampel dabei.
2021 war Alexander Graf Lambsdorff noch in Berlin bei den Verhandlungen zum Koalitionsvertrag der Ampel dabei. © AFP | Ina Fassbender

Bereits im September 2020 nannte Lambsdorff die Erdgas-Pipeline

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    „eine geopolitische Dummheit und ein diplomatisches Debakel“. Die Rhetorik des heutigen Botschafters hört sich inzwischen wesentlich geschmeidiger an.

    Schon 1997 hätte Lambsdorff an die Botschaft nach Moskau wechseln sollen

    Schon vor seinem Wechsel nach Moskau bemühte sich der 57-Jährige darum, mit vielen verschiedenen Stellen zu reden, um ein möglichst differenziertes Bild Russlands entwickeln zu können. „Ich rede viel mit Wissenschaftlern und Experten aus Denkfabriken und Universitäten“, sagt Lambsdorff, der auch mit Brüssel und der Europäischen Union im stetigen Austausch ist. „Angesichts der komplizierten Lage in Russland geht es mir darum, Ideen einzusammeln.“

    Dabei wäre Lambsdorff fast schon einmal früher an der Moskwa gelandet. Im Winter 1996 paukte der junge Diplomat zwei Monate Russisch in Nowosibirsk. „Ich war 1997 als Wirtschaftsattaché für die deutsche Botschaft in Moskau vorgesehen, bin dann aber von Außenminister Klaus Kinkel in sein Team in Bonn geholt worden“, erklärt der FDP-Politiker. Von 2003 bis 2004 arbeitete er als Länderreferent für Russland im Auswärtigen Amt.

    „Ich scheue mich auch nicht vor einem Gläschen Wodka“

    Die Liebe zur russischen Küche hat sich Lambsdorff bewahrt. Er isst gern Borschtsch, Sakuski und Pelmeni. „Die Russen haben – das weiß kaum jemand – auch sehr ordentlichen Wein“, meint er. „Ich scheue mich auch nicht vor einem Gläschen Wodka.“

    Eines seiner Vorbilder ist Rüdiger von Fritsch, der frühere deutsche Botschafter in Moskau. Lambsdorff erinnert sich noch genau an ein Briefing, das von Fritsch 2018 einer Delegation von FDP-Bundestagsabgeordneten gab. „Von Fritsch lieferte einen von Sympathie geprägten Blick auf Russland und hatte gleichzeitig eine glasklare analytische Sicht auf die Politik der russischen Regierung“, schwärmt Lambsdorff.

    Lambsdorff prognostizierte schon früh „Russische Destabilisierungsversuche“

    Als Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) Lambsdorff das Angebot für Moskau unterbreitete, seien ihm zwei Dinge durch den Kopf gegangen. „Erstens eine gewisse Dankbarkeit, dass die Ministerin mir das zutraut. Zweitens der Gedanke, dass sich eine Geschichte fortsetzt“, schildert er. Lambsdorffs Vater war von 1982 bis 1985 Leiter der Kulturabteilung an der deutschen Botschaft in Moskau. „Deswegen habe ich schon als Teenager Anfang der 80er Jahre Moskau oft besucht.“

    Ukraine-Krieg – Hintergründe und Erklärungen zum Konflikt

    „Russische Destabilisierungsversuche“ wie die Beeinflussung von Wahlen oder jetzt zuletzt der Abhör-Skandal rund um mögliche deutsche Taurus-Lieferungen an die Ukraine prognostizierte Lambsdorff schon vor seinem Wechsel nach Moskau. Im vergangenen Jahr sagte er dieser Redaktion über solche Angriffe: „Vor diesem Hintergrund müssen wir klarmachen, dass auf einer solchen Grundlage politische Zusammenarbeit äußerst schwierig ist. Das heißt aber nicht, dass man nicht im Einzelfall fachbezogen Absprachen treffen kann – etwa beim Nuklearabkommen mit dem Iran, Getreideexporten aus der Ukraine oder im Klimaschutz.“

    An diesem Montag wurde er wegen der abgehörten Bundeswehr-Spitzenrunde ins russische Außenministerium einbestellt. Moskau nutzt die Gespräche der deutschen Militäroffiziere über den möglichen Einsatz des Taurus in der Ukraine für seine Propaganda und schürt damit Stimmung gegen den Westen. In der vergangenen Woche wohnte er der Trauerfeier für den verstorbenen Kreml-Kritiker Alexej Nawalny bei, was der russischen Regierung ebenfalls nicht gefallen haben dürfte.