Kiew/Berlin. Die Zeiten, als Wolodymyr Selenskyj als Ex-Comedian belächelt wurde, sind schon lange vorbei. Der Präsident der Ukraine im Porträt.

  • Seit 2019 ist der Ex-Schauspieler Wolodymyr Selenskyj Präsident der Ukraine
  • Anfangs belächelt, wurde er vor allem seit Beginn des Ukraine-Kriegs zur starken Persönlichkeit
  • Doch wer ist der Mann, der so erbittert gegen Wladimir Putin kämpft? Die wichtigsten Infos

Er will nicht weglaufen. Von Panik will sich Ukraines Präsident Wolodymyr Selenskyj nicht anstecken lassen. Der 44-Jährige bewahrt die Ruhe, er lebt sie in Kiew vor; eine Haltung, auf die es vor allem seit dem russischen Einmarsch in die Ukraine ankommt. "Das Schicksal des Landes entscheidet sich jetzt.“ Davon ist Selenskyj überzeugt.

Der Ukraine-Krieg rückt gerade ihn, den früheren Komiker, in ein neues Licht. Seine Rolle verlangt ihm Mut ab, viel Mut. Es ist bekannt, dass er für Russlands Präsident Wladimir Putin der Feind Nummer 1 ist.

Selenskyi wuchs mit den Aufgaben

Noch wenige Tage vor Ausbruch des Kriegs hatten die USA eine „Todesliste“ des Kreml veröffentlicht. Darauf sollen zahlreiche Menschen aus der Ukraine stehen, die „getötet oder in Lager geschickt“ werden sollen.

Doch Selenskyj harrt aus. Nur seine Familie ließ er in Sicherheit bringen. Irgendwo an einem unbekannten Ort hoffen Ehefrau Olena und die zwei Kinder Aleksandra und Kiril, ihn bald wiedersehen zu können. Manche versagen, wenn sie gefordert sind. Andere wachsen über sich hinaus. Nach Lage der Dinge gehört Selenskyj zur zweiten Kategorie.

Seine bisher größte Rolle war die des Wassyl Holoborodko in der Serie "Diener des Volkes"; eines Geschichtslehrers, der eher zufällig Präsident wird. Fiktiv gelang Selenskyj das spielend. Und in der Realität? Besser als von vielen erwartet.

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Selenskyj: Ein Witz brachte ihm die Präsidentschaft

Vielleicht ist gerade er selbst am meisten verblüfft, Selenskyj, der Nicht-Politiker. Selenskyj, der Gegenentwurf zu einem Politprofi. Im Wahlkampf vor vier Jahren witzelte er, "ich habe eine juristische Ausbildung – und das ist ein Plus". Kunstpause. "Ich habe aber keine politische Erfahrung – und das ist ein großes Plus." Damit hat er kokettiert.

Wer ist dieser Mann? Geboren wurde er 1978 in der Ostukraine, in Krywyj Rih. Seine Mutter Rimma ist ehemalige Ingenieurin, sein Vater Alexander Mathematiker und Programmierer. Es ist eine jüdisch-ukrainische Familie. Allein seine Herkunft zeigt also, dass Putins Argumentation, bei der ukrainischen Regierung handle es sich um ein Nazi-Regime, nichts als eine Erfindung russischer Propaganda ist.

In der Unizeit zeigte sich Selenskyjs komödiantisches Talent. Nach dem Studium wurde er Schauspieler, Synchronsprecher, Drehbuchautor, Fernsehmoderat und Filmproduzent. Im Grunde machte er sei Hobby zum Beruf.

Selenskyj: "Wie kann ich ein Nazi sein?"

Er ist kein Politiker aus Berufung. Aber er bewährt sich in Amt und trotzt der russischen Propaganda, die ihn als Nazi hinstellt. „Man sagt Ihnen, wir (Ukrainer) seien Nazis. Aber kann ein Volk, das mehr als acht Millionen Menschen im Kampf gegen den Nationalsozialismus verloren hat, den Nationalsozialismus unterstützen?“, sagte er in einer Ansprache.

Nach Kreml-Angaben ist Russland bereit, mit der Ukraine zu vehandeln.
Nach Kreml-Angaben ist Russland bereit, mit der Ukraine zu vehandeln. © dpa

Dann wurde er persönlich: „Wie kann ich ein Nazi sein? Erklären Sie das mal meinem Großvater, der den ganzen Krieg in der Infanterie der sowjetischen Armee mitgekämpft hat und als Oberst in einer unabhängigen Ukraine gestorben ist.“

Drei Brüder seines Großvaters wurden im Holocaust ermordet. Selenskyj betonte die Freundschaft zwischen den Russen und den Ukrainern. „Sie kennen unser Volk“, sagte er. Der Präsident appellierte an die Russen, die Vernunft und nicht die Waffen sprechen zu lassen.

Selenskyj schlug Putin zwei Treffen vor

Selenskyj hat alles getan, um die Russen von einem Krieg abzuhalten. Am Tag vor der russischen Invasion hatte er vergeblich versucht, Putin anzurufen. Als er niemanden erreichte, wandte er sich mit einer Fernseh-Ansprache direkt an die Menschen in Russland – in russisch, seiner Muttersprache.

Zweimal schon hat er dem russischen Staatschef ein Treffen angeboten. Mag sein, dass Putin darauf eingeht. Hinter den Kulissen wird um den Verhandlungsort gerungen. Minsk? Warschau? Budapest? Zu Verhandlungen kam es schließlich tatsächlich – doch ein Treffen mit Selenskyj schloss Putin aus.

Fast parallel dazu rief Putin die ukrainische Armee zum Putsch auf. Sie solle die Macht in Kiew übernehmen – und Präsident Selenskyj und sein Umfeld stürzen. „Nehmt die Macht in Eure Hände. Mir scheint, Verhandlungen zwischen Euch und uns wären einfacher.“ Die Mitglieder der ukrainischen Regierung bezeichnete Putin als „Bande von Drogenabhängigen und Neonazis“ und „Terroristen“. Weitere Lügen der Propaganda.

Aus der Sicht der Russen ist Selenskyj Teil des Problems, aus der Sicht des Westens Teil der Lösung. In jedem Fall ist die Präsidentschaft die Rolle seines Lebens.

(fmg)

Dieser Artikel ist zuerst auf morgenpost.de erschienen.