Berlin. Die Corona-Pandemie hat ein Nachspiel: Menschen mit Impfschäden und Long Covid fühlen sich allein gelassen. Ein politischer Alarmruf.

Es sind Zahlen, die keinen kalt lassen. Die Weltgesundheitsorganisation WHO schätzt, dass zehn Prozent der Corona-Infizierten Long Covid entwickeln können. Ein Teil von ihnen leidet wiederum dauerhaft unter körperlicher und geistiger Ermüdung. "Gut möglich, dass wir also allein in Deutschland von mindestens einer Million Betroffener sprechen", sagte die Grünen-Politikerin Katrin Göring-Eckardt dem Nachrichtenportal T-Online. Ein Weckruf.

Die Bundestags-Vizepräsidentin war eine Woche lang auf Tour und hat mit Betroffenen, Ärztinnen und Ärzten geredet. Die Patienten fühlen sich mithin nicht ernst genommen. Mal heißt es, sie müssten sich zusammenreißen. Mal werden Klagen als psychosomatisch abgetan. So ergeht es auch einer weiteren Problemgruppe: den Menschen mit Impfschäden (Post Vac). Ein Nachspiel der Corona-Pandemie.

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Bisher fehlt eine allgemeine medizinische Definition von Long Covid und Post-Vac, sodass sich Hausärzte mit Symptomen und Diagnose schwer tun. Dazu kommt, dass die Finanzierung der Versorgung strittig ist.

Corona: Lauterbach verspricht bessere Versorgung

Schon Anfang Februar stellte Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) eine bessere Versorgung in Aussicht. Eingelöst hat er sein Versprechen nicht. Das Geld dafür ist noch nicht bewilligt.

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Lauterbach bleibt nichts anderes übrig, als an sie Appelle zu richten. Es wäre "wertvoll, wenn die Firmen hier eine Beteiligung zeigen würden, denn die Gewinne sind ja exorbitant gewesen“, sagte er dem ZDF.

Impfhersteller sollen sich an Versorgungskosten beteiligen

Derzeit verhandelt er mit dem Haushaltsausschuss im Bundestag über ein Programm. Es geht darum, die Folgeerkrankungen zu untersuchen, Ansprüche schneller anzuerkennen, Therapien anzubieten. Ein solches Programm würde "die Experten in diesem Bereich so vernetzen, dass die Wahrscheinlichkeit einer wirklich guten Therapie in Deutschland wachsen würde“, so Lauterbach.

Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) will ein Programm auflegen, um Menschen mit Long Covid und mit Impfschäden zu helfen.
Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) will ein Programm auflegen, um Menschen mit Long Covid und mit Impfschäden zu helfen. © Kay Nietfeld/dpa

Im Prinzip sollten die Krankenkassen die Behandlungskosten und die Länder die Versorgungskosten übernehmen. "Aber tatsächlich haben wir auf beiden Seiten Probleme", räumt Lauterbach ein. Unter Behandlungskosten versteht man die Ausgaben für die Betreuung und Therapie eines Kranken. Für die allgemeine medizinische Versorgung stehen die Länder gerade.

Auf 10.000 Impfungen maximal ein Fall mit schweren Schäden

Lauterbachs Idealvorstellung ist, "dass wir endlich lernen, wie wir Long Covid und Post-Vac behandeln können, wie wir das hinbekommen." Und darüber hinaus die Fälle schneller anerkannt werden, "sodass die Menschen nicht so lange darauf warten müssten, überhaupt als Post-Vac anerkannt zu werden."

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Ein Reizpunkt ist die Versorgung von Menschen mit Impfschäden. Hersteller wie Biontech haben sich aus der Haftung herausverhandelt. Das Geschäft mit den Corona-Impfstoffen ist für sie risikolos. Es bringt Gewinne, aber keine finanziellen Spätlasten. In der Pflicht ist einzig und allein der Staat.

Corona: Impfhersteller sollen sich an Kosten beteiligen

Lauterbach bleibt nichts anderes übrig, als an sie Appelle zu richten. Es wäre "wertvoll, wenn die Firmen hier eine Beteiligung zeigen würden, denn die Gewinne sind ja exorbitant gewesen“, sagte er dem ZDF. Es ist erklärungsbedürftig, dass damals das Verursacherprinzip ausgehebelt wurde.

Laut den Daten des Paul-Ehrlich-Institutes oder der europäischen Zulassungsbehörde kommt auf 10.000 Impfungen maximal ein Fall mit schweren Schäden. Statistisch ist das eine niedrige Quote, aber da Millionen Menschen geimpft wurden, kommen denn doch viele Fälle zusammen.

EU und Spahn wollten schnelle Erfolge und sahen vom Verursacherprinzip ab

Das geht auf die Kappe von Lauterbachs Amtsvorgänger Jens Spahn (CDU). Eine ganz andere Sache ist, ob Lauterbach in der gleichen Situation nicht genau so gehandelt hätte. "Ich glaube, das ist der damaligen Situation geschuldet."

Der springende Punkt ist: In der Corona-Pandemie wollten alle Staaten so schnell wie möglich Vakzine haben; schon die Reihenfolge war ein Politikum, wer zuerst und wer zuletzt kommt. Die Impfungen galten als der "Game Changer". Entwicklung, Zulassung und Produktion verliefen in Rekordtempo. Die Unternehmen sollten liefern, und zwar schnellstmöglich.

Staaten kauften sich Zeit, die Impfhersteller Rechtsschutz

Im Rahmen der Verträge mit der EU ließen sie sich im Gegenzug weitestgehend aus der Haftung befreit. Die Staaten erkauften sich Zeit und die Unternehmen wiederum Rechtsschutz "Vielleicht war das auch richtig", sinniert Lauterbach, "denn es ist besser, dass der Staat haftet, als dass mit Firmen lange Vergleiche oder Prozesse geführt werden müssen." Die Not war groß, und die Pharmakonzerne waren in der besseren Verhandlungssituation.

Ob die Unternehmen sich im Nachhinein freiwillig an den Kosten beteiligen? Das ist eher fraglich. Wenn sie es in Deutschland tun, müssen sie es auch europaweit tun. Wenn sie in Europa in Haftung gehen, können sie es schlecht dem Rest der Welt verwehren; und insbesondere in den USA wäre die Entschädigungssummen erfahrungsgemäß deutlich höher. Das Mainzer Unternehmen Biontech – der Pionier schlechthin – könnte auch kaum allein entscheiden, sondern ist in einer Kooperation mit dem US-Pharmariesen Pfizer.

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