Berlin. Mathias Anbuhl, Generalsekretär des Deutschen Studentenwerks, warnt vor Existenzängsten. Weitere Entlastungen vom Bund seien notwendig.

An deutschen Hochschulen hat das Wintersemester begonnen. Nach zwei Pandemiejahren finden Vorlesungen wieder in Präsenz statt, doch die Studentengeneration rutscht in die nächste Krise. Matthias Anbuhl, Generalsekretär des Deutschen Studentenwerks (DSW), erklärt, wie sich die Belastung bei jungen Menschen niederschlägt und welche Probleme noch warten.

Erst Corona, nun die Energiekrise. Wie wirkt sich das – auch psychisch – auf die Studierenden aus?

Matthias Anbuhl: „Die psychosozialen Beratungsstellen der Studierendenwerke werden förmlich überrannt, an vielen Standorten hat sich die Wartezeit vervielfacht. Auch die Gründe, warum die Studierenden die Beratungsstellen aufsuchen, haben sich verändert. Vor der Pandemie waren es zumeist ‚klassische‘ Probleme, wie Arbeitsstörungen, Prüfungsängste und Schwierigkeiten beim Studienabschluss. Inzwischen ist die Situation deutlich gravierender.“

Inwiefern?

Anbuhl: „Es geht unter den Studierenden mittlerweile um soziale Isolation, Vereinsamung und die grundsätzliche Infragestellung des Studiums. Und in hohem Maße auch um depressive Verstimmungen, Hoffnungslosigkeit, bis hin zu suizidalen Gedanken. Bund und Länder müssen unbedingt Mittel für den Ausbau der psychosozialen Beratung der Studierendenwerke bereitstellen.“

Generalsekretär des Deutschen Studentenwerks, Matthias Anbuhl.
Generalsekretär des Deutschen Studentenwerks, Matthias Anbuhl. © Foto: Kay Herschelmann

Die Bundesregierung hat zwei Heizkostenzuschüsse für Bafög-Empfängerinnen beschlossen. Alle Studierenden erhalten eine Einmalzahlung von 200 Euro und diejenigen mit Nebenjob bekommen die Energiepauschale. Reicht das?

Anbuhl: „Gerade die 200 Euro Direktzahlung sind ein wichtiger Baustein, weitere müssen folgen. Denn das Ende der Fahnenstange ist noch nicht erreicht. Die Einmalzahlung muss nun möglichst rasch bei den Studierenden ankommen. Von der geplanten Strom- und Gaspreisbremse werden sie auch profitieren. Mir ist zudem wichtig: Das Bafög muss schnell erhöht werden. Die jüngste Anhebung der Bedarfssätze um 5,75 Prozent ist von der Inflation gleich wieder aufgefressen worden, und von der Wohnpauschale von derzeit 360 Euro kann man sich in kaum einer Hochschulstadt ein WG-Zimmer leisten.“

Lesen Sie auch: Studentin in der Inflation – „Die finanzielle Unsicherheit macht mir Angst“

Was kann man dagegen tun?

Anbuhl: „Wir brauchen beim Bafög zwingend einen automatischen Inflationsausgleich und eine regelmäßige Anpassung an die Entwicklung von Preisen und Einkommen. Und der Grundbedarf von aktuell 452 Euro muss auf das von der Ampel-Koalition beschlossene Bürgergeld von 502 Euro erhöht werden. Aus unserer Sicht müsste der neue Notfallmechanismus, der ins Bafög eingeführt wird, schon jetzt greifen.“

Gehen Sie davon aus, dass Menschen ihr Studium zunehmend abbrechen oder gar nicht mehr anfangen könnten?

Anbuhl: „Laut einer aktuellen Studie des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung vom August 2022 kam es bisher wegen der Pandemie glücklicherweise nicht zu signifikant höheren Studienabbrüchen als vorher. Dennoch bin ich besorgt: Das studentische Budget ist in aller Regel extrem auf Kante genäht, nun droht diese Naht zu reißen. Wenn Mieten und Nebenkosten weiter steigen, dürften Existenznöte die Folge sein. Im Frühjahr werden die rund 60 Prozent der Studierenden, die auf dem freien Wohnungsmarkt leben, voraussichtlich mit stark gestiegenen Nebenkostenabrechnungen konfrontiert werden. Das kann den finanziellen Druck noch einmal stark erhöhen. Klar ist: Studienabbrüche aus Geldmangel kann sich unsere Gesellschaft nicht leisten, weder volkswirtschaftlich noch bildungspolitisch. Und es wäre fatal, wenn Studierwillige und Studienberechtigte aus wirtschaftlichen oder finanziellen Gründen von einem Studium wegen der multiplen Krisen absehen.“

Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de.