Nürnberg. CSU-Chef Markus Söder über die Folgen von Putins Krieg, Fracking in Deutschland – und seine Kanzler-Chancen.

  • CSU-Chef Markus Söder fordert schnellere und umfangreichere Waffenlieferungen für die Ukraine
  • Bei einem plötzlichen Stopp für russisches Gas fürchtet Söder dramatische Folgen
  • Für Wladimir Putin hat er nach dessen Angriffskrieg eine konkrete Idee

Eigentlich wollte Markus Söder am Wochenende in die Golfregion fliegen, um Wasserstoff als Energiequelle zu erkunden, doch ein positiver PCR-Test zwang ihn in die Quarantäne. Im Interview mit unserer Redaktion, das vor Bekanntwerden der Corona-Infektion geführt wurde, bringt der CSU-Chef neue Formen der heimischen Energiegewinnung ins Gespräch – auch sehr umstrittene.

Herr Söder, wie lange kann Deutschland den Kriegsverbrechen in der Ukraine noch zusehen, ohne einen Importstopp für russisches Gas zu verhängen?

Markus Söder: Die Ukraine fordert von uns mehr Engagement. Die beste Form, der Ukraine zu helfen und die unmenschlichen Gräueltaten zu beenden, sind mehr und schnellere Waffenlieferungen. Es ist eines der Versäumnisse der Bundesregierung, dass sie sich hier zu bürokratisch verhält und bislang eher unzureichendes Material liefert. Wir müssen die besten Waffen liefern und mit unseren Nato-Partnern gleichziehen.

Welche Waffen meinen Sie?

Söder: Wir müssen die Bestände der Bundeswehr durchforsten, aber auch schauen, was die Industrie sofort liefern könnte. Waffen sind der Weg der schnellen und direkten Hilfe. Der Großangriff auf Kiew konnte abgewehrt werden mit Drohnen und Panzerabwehrwaffen, die vor allem von den Amerikanern bereitgestellt worden sind.

Würden Sie russische Gaslieferungen auch dann nicht stoppen, wenn Putin Massenvernichtungswaffen einsetzt?

Söder: Es ist notwendig, sich bei Energie unabhängig zu machen von Russland. Entscheidend ist hier der Zeitplan. Bremsspuren für Deutschland sind völlig akzeptabel, aber es darf uns nicht aus der Kurve tragen. Ich teile die Auffassung der Bundesregierung, dass wir kurzfristig auf Öl und Kohle aus Russland verzichten können. Bei Gas ist das wesentlich schwieriger. Wir müssen die Folgen für den Großteil der Bevölkerung bedenken.

Kennen Sie die?

Söder: Unser Land steht an der Schwelle zur sozialen und ökonomischen Überforderung. Wir hatten schon vor dem Ukraine-Krieg eine galoppierende Inflation. Die Preise für Energie und Lebensmittel sind für viele Familien eine echte Belastung. Wir müssen aufpassen, dass nicht die Mitte der Gesellschaft in einen Abstiegssog gerät.

Wenn wir jetzt Gas aus Russland über Nacht stoppen, dann erleben wir Massenarbeitslosigkeit, sozialen Abstieg und demokratische Verwerfungen. Daher sollten wir vorausschauend handeln und nicht Hals über Kopf.

Die CSU, auch Sie persönlich, haben in besonderer Weise auf Putin und sein Gas gesetzt. Machen Sie sich Vorwürfe?

Söder: Putins Zivilisationsbruch ist für die gesamte Welt erschütternd und ein Fall für das Kriegsverbrechertribunal in Den Haag. Wir alle sind getäuscht worden. Es gibt einen einzigen Grund, warum Bayern besonders stark von Gas abhängig ist: Wir mussten schnell aus der Kernenergie aussteigen, die zu zwei Dritteln unseren Strom geliefert hat.

Wo suchen Sie Ersatz für russisches Gas?

Söder: Wir brauchen möglichst breite Ersatzkapazitäten – nicht nur amerikanisches Flüssiggas, das natürlich teurer ist als das russische. Wir müssen uns auch in der Golfregion und bei den europäischen Partnern umsehen. Und wir müssen die Erschließung eigener Kapazitäten prüfen.

Heißt?

Söder: Wir dürfen Öl- und Gasgewinnung aus vorhandenen Kapazitäten in Deutschland nicht völlig ausschließen.

Mit der Fracking-Technologie? Die gilt als umweltschädlich und gesundheitsgefährdend – und ist in Deutschland verboten.

Söder: Wir müssen ergebnisoffen prüfen, was geht und sinnvoll ist. Verbote könnte man aufheben. Wir haben als Volksvertreter sogar die verfassungsmäßige Pflicht, in solch außergewöhnlichen Krisenzeiten alle Optionen unvoreingenommen im Blick zu haben. Die Amerikaner haben sich durch Fracking vom Nahen Osten völlig unabhängig gemacht. Viel wichtiger ist allerdings das längere Laufenlassen von Kernkraftwerken in Deutschland.

Welche Atomkraftwerke wollen Sie am Netz lassen?

Söder: Es ist ein schwerer ideologischer Fehler, die drei vorhandenen Kernkraftwerke zum Jahresende abzuschalten. Sie liefern Strom für zehn Millionen Haushalte. Wir sollten fünf Kernkraftwerke für fünf weitere Jahre laufen lassen, um genügend Zeit zu haben, die ehrgeizigen Ziele für die erneuerbaren Energien umzusetzen. Auch diese müssen natürlich vorangetrieben werden.

Wirtschaftsminister Habeck bestreitet, dass man die alten Meiler einfach weiter laufenlassen könnte.

Söder: Das scheint mir eine ideologisch motivierte Position zu sein, sehr stark beeinflusst von der grünen Umweltministerin. Wir haben die Betreiber und die Aufsichtsbehörden befragt, und die sagen eindeutig, dass es geht. Wenn wir uns ohne Schäden für die deutsche Wirtschaft unabhängig machen wollen von russischer Energie, dann brauchen wir die Kernkraft leider noch eine Weile als Brücke.

Unterstützen Sie Habeck beim Ausbau der Windkraft?

Söder: Wir setzen noch mehr auf Sonne und Wasser, aber auch auf Wind. Deswegen wünschen wir uns weitere Verbesserungen für Solar- und Wasserkraft. Wir empfinden es als seltsam, dass nur beim Wind der Naturschutz hinter dem Klimaschutz stehen solle und nicht die Wasserkraft gleich behandelt wird. Diese Privilegierung muss es auch bei anderen Energieformen geben.

Erfüllt Bayern das Ziel, zwei Prozent der Landesfläche für Windkraft bereitzustellen?

Söder: Wir wollen mehr Wind. Ich glaube, dass wir die zwei Prozent schaffen können mit einer Reform von 10H. Ich halte das allerdings in der Praxis für eine wenig aussagekräftige Zahl und sie sagt über die Realität der Energiegewinnung wenig aus.

10H bedeutet, dass Windräder mindestens zehnmal so weit von bewohnten Häusern entfernt sein müssen wie sie hoch sind. Habeck droht, diese bayerische Regel zu kippen.

Söder: Aber wir reformieren und schaffen deutliche Ausnahmen mit dem Ziel, 500 plus x Windräder für Bayern zu erreichen. Der Bund hat natürlich die Möglichkeit, Abstandsregeln einseitig zu kippen. Aber dann wird sich jede Bürgerinitiative, die es gibt, mit den Grünen auseinandersetzen. Schon jetzt kommen 60 Prozent aller Klagen gegen Windräder von Naturschutzverbänden. Wir müssen den Windkraftausbau mit den Bürgern machen und nicht gegen sie.

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Soll heißen?

Söder: Wenn wir neue Windräder aufstellen, sollten wir die Bürger daran beteiligen. Ich verstehe nicht, warum die grünen Minister mit den Windrädern nun Artenschutzverbände statt der Bürger finanziell besser stellen wollen. Bürger, die an einem Windrad wohnen, sollten zu Partner gemacht werden und nicht Funktionäre aus Verbänden.

Die Bürger können dazu beitragen, die Abhängigkeit von russischer Energie zu verringern – indem sie weniger Auto fahren oder die Heizung nicht mehr so weit aufdrehen. Ist das zu viel verlangt?

Söder: In Deutschland sind viele Bürger als Pendler auf das Auto angewiesen. Wenn die Energiewende zu Lasten des ländlichen Raumes geht, werden weite Teile Deutschlands abgehängt. Und wir sind auch nicht in einer Zeit, in der man nur noch zu bestimmten Uhrzeiten heizen darf.

„Frieren für den Frieden“ ist doch keine Antwort für eine Hochleistungsnation. Das klingt nach einem energiepolitischen Stuhlkreis, aber nicht nach einer stabilen Regierung. Und wir sollten unseren Bürgerinnen und Bürgern durchaus zutrauen, dass sie selbst wissen, wie sie sich verantwortungsvoll verhalten.

Gehört zu einer Hochleistungsnation, dass man auf Autobahnen schneller fährt als 130?

Söder: Ich glaube nicht, dass ein Tempolimit viel bringt. Auf den meisten Autobahnabschnitten gibt es schon Geschwindigkeitsbegrenzungen. Wir wollen mehr Elektromobilität – das ist die bessere Lösung.

Sind die Entlastungspakete der Ampel in Ihrem Sinne?

Söder: Es gibt drei Fehler. Erstens: Für die Wirtschaft ist nicht genug dabei. Der Energiepreis wird bei uns zum absoluten Standortnachteil. Wir brauchen einen Industriestrompreis mit einer gesenkten Stromsteuer nach dem europäischen Mindestmaß. Zweitens: Das Neun-Euro-Ticket für drei Monate für Bus und Bahn ist wenig praxistauglich. Was soll nach den drei Monaten anders sein?

Besser wäre gewesen, den Kommunen noch einmal richtig Geld für den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs zu geben. Drittens sind die Entlastungen für Geringverdiener bisher nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Und bei der Energiepauschale sind die Rentner vergessen worden. Die Entlastungspakete müssen also dringend nachgebessert werden.

Sie haben eine Vergangenheit als Finanzminister. Woher soll das Geld für die ganzen Entlastungen kommen?

Söder: Es droht eine Überschuldung Deutschlands. Wir setzen Unmengen Geld über enorme Schulden ein, aber nicht zielgerichtet auf die eigentlichen Probleme hin. In einer Phase von Hyperinflation und Turboschulden die Steuern zu erhöhen, wäre ein Fehler. Wir dürfen die Wirtschaft nicht zusätzlich belasten. Zudem muss Technologie gefördert werden. Es ist schon seltsam, dass der Bund Hunderte Milliarden Schulden macht und gleichzeitig bei Forschung streicht.

Die erste Wahl dieses Jahres – im Saarland – hätte für die Union kaum schlechter laufen können. Wo bleibt der Friedrich-Merz-Effekt?

Söder: Die Niederlage im Saarland hatte vor allem mit regionalen Effekten zu tun. Angela Merkel war 18 Jahre an der Spitze der CDU, und da ging auch manche Landtagswahl verloren. Ich finde, dass Friedrich Merz die CDU nach diesem schweren Jahr gut stabilisiert hat. Wir entwickeln in schweren Zeiten ein klares Profil und arbeiten sehr gut zusammen.

Im Mai wählt Nordrhein-Westfalen. Wie kann Merz zum Erfolg beitragen?

Söder: Nordrhein-Westfalen hat für die gesamte Union eine besondere Bedeutung. Es ist auch die Heimat von Friedrich Merz. Ich weiß, dass er sich sehr stark und erfolgreich im Wahlkampf engagieren wird.

Vor einem Jahr haben Sie sich mit Armin Laschet ein Duell um die Kanzlerkandidatur geliefert. Stehen Sie noch in Kontakt?

Söder: Wir sind uns bei der Sicherheitskonferenz kurz begegnet.

Wie kommt Ihnen die Auseinandersetzung im Rückblick vor?

Söder: Persönlich kann ich gut damit leben. Es ist Schnee von gestern.

War das Ihre letzte Chance auf die Kanzlerkandidatur?

Söder: Ja. Ich bin nur für Bayern im Einsatz. Ein CSUler hat ohnehin nur einmal im Leben die Chance. Ich habe in zweieinhalb Jahren alles erlebt, was man als Politiker erleben kann: eine globale Seuche, jetzt einen Krieg, eine mögliche Kanzlerkandidatur. Manche unken, jetzt fehle nur noch eine Alien-Invasion.

Schwer zu glauben, dass dieses Thema für Sie erledigt ist.

Söder: Doch. Ich gehöre einfach am besten nach Bayern.

Also steht Friedrich Merz als nächster Kanzlerkandidat fest?

Söder: Das entscheidet die CDU. Aber natürlich ist der Parteivorsitzende immer erster Anwärter.

Dieser Artikel erschien zuerst auf www.waz.de