Berlin. Die Gespräche über eine große Koalition gehen in die Endphase. In den meisten Punkten herrscht schon Einigkeit zwischen Union und SPD.

Andrea Nahles nahm kein Blatt vor den Mund. Die Verbesserungen bei der Rente, auf die Union und SPD sich in ihren Koalitionsverhandlungen geeinigt hätten, kämen „Millionen von Menschen“ zugute, sagte die Fraktionschefin der Sozialdemokraten im Bundestag. Sie könne aber auch voraussagen, dass die Beschlüsse „Milliardensummen“ kosten würden.

Wie teuer genau die sozialpolitischen Kapitel in einem schwarz-roten Koalitionsvertrag dieses Mal werden könnten, ist noch nicht ganz klar. Dass es teuer wird, ist aber sicher. Schon vor vier Jahren, bei der letzten großen Koalition, hatten beide Seiten hohe Kosten für kommende Generationen verursacht. Die aktuellen Beschlüsse zu Rente, Gesundheit und Pflege und ihre Wirkungen:

Mütterrente

Die CSU hat sich erneut durchgesetzt: Mütter (und Väter), die vor 1992 Kinder bekommen haben und sie quasi hauptberuflich erzogen haben, sollen statt der aktuell zwei Jahre noch ein drittes Jahr für ihre Rente angerechnet bekommen. Bedingung: Sie haben drei und mehr Kinder. Dann soll es für jedes Kind drei Rentenpunkte geben. Die Monatsrente steigt dadurch um 30 Euro pro Monat und Kind. Für Mütter mit einem oder zwei Kindern ändert sich nichts, sie gehen dieses Mal leer aus. Kosten: 3,5 Milliarden Euro.

Parteichefs zuversichtlich vor entscheidenden Groko-Verhandlungen

weitere Videos

    Grundrente

    Wer mindestens 35 Jahre lang Beiträge in die Rentenkasse gezahlt hat (Erziehungs- und Pflegezeiten mitgezählt), soll eine neue „Grundrente“ bekommen. Sie soll zehn Prozent über dem Grundsicherungsniveau (Hartz IV) liegen. Wer sie haben möchte, muss nachweisen, dass er bedürftig ist. Das bedeutet: Anderes Einkommen und Vermögen wird dabei berücksichtigt und angerechnet. Selbstgenutztes Wohneigentum soll aber unangetastet bleiben. Organisieren soll die Grundrente die Rentenversicherung.

    Rentenpflicht für Selbstständige

    Drei Millionen Selbstständige, die nicht abgesichert sind – etwa durch eine berufsständische Versorgung –, müssen künftig für ihr Alter vorsorgen. Sie können dabei zwischen der gesetzlichen Rentenversicherung und anderen Vorsorgearten wählen. Letztere müssen aber gegen Insolvenzen abgesichert sein und zu einer Rente oberhalb der Grundsicherung (Hartz IV) führen.

    Rentenhöhe und -beitrag

    Es soll zwei Haltelinien geben. Erstens: Der Rentenbeitrag soll bis zum Jahr 2025 höchstens bis auf 20 Prozent vom Bruttolohn steigen; derzeit sind es 18,6 Prozent. Zweitens: Das Rentenniveau (übersetzt: das Verhältnis von Durchschnittsrente zu Durchschnitts-Nettolohn) soll nicht unter 48 Prozent sinken. Das ist nach aktuellen Prognosen durchaus erreichbar. Union und SPD wollen diese Werte aber gesetzlich garantieren. Das kann, wenn die Konjunktur schlechter wird, viel Steuergeld kosten. Wie es mit der Rente nach 2025 weitergehen wird, soll eine Kommission bis 2020 beraten.

    Die sozialpolitischen Pläne von Union und SPD haben für die Rentenkasse zwei skurrile Folgen. Erstens: Der Plan von Union und SPD, dass sich die Arbeitgeber wieder zur Hälfte an den Krankenkassenbeiträgen beteiligen sollen, bedeutet Mehrausgaben für die Rentenversicherung. Weil sie den Arbeitgeberanteil für Rentner übernimmt, muss sie künftig 1,4 Milliarden Euro mehr an die gesetzlichen Krankenkassen zahlen.

    Zweites Detail: Weil der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung um 0,3 Prozentpunkte sinken soll, verändert sich das Verhältnis von Durchschnittsrente zu Durchschnittslohn, also das Rentenniveau. Um das Niveau wie versprochen bei 48 Prozent zu halten, muss die Bundesregierung etwa 500 Millionen Euro mehr als geplant in die Rentenkasse geben.

    Pflege

    Pflegeeinrichtungen sollen sofort 8000 neue Pflegefachkräfte einstellen können. Auch eine Ausbildungsoffensive soll die schwierige Personallage entspannen. Nachts sollen Heime tendenziell mehr Personal bereitstellen. Eine bessere, gleichmäßigere Bezahlung soll es durch flächendeckende Tarifverträge und eine Angleichung des Pflegemindestlohns in Ost und West geben. Die Angebote für Pflegepausen für Angehörige sollen erweitert werden.

    Bürgerversicherung

    Das Wort „Bürgerversicherung“ taucht in dem Entwurf für das Gesundheits­kapitel im Koalitionsvertrag noch immer nicht auf. Damit bleibt offen, ob Kassenpatienten im Vergleich zu Privatpatienten besser gestellt werden. Die SPD hatte das zur Bedingung für eine Koalition gemacht. Auch die Öffnung der gesetzlichen Krankenversicherung für Beamte wird bisher nicht erwähnt.

    Geeinigt haben sich beide Seiten darauf, die Bedarfsplanung zur Verteilung von Arztpraxen „kleinräumiger, bedarfsgerechter und flexibler“ zu gestalten. Mediziner sollen auch mehr finanzielle Anreize bekommen, sich auf dem Land niederzulassen. Die Union würde gern den Versandhandel mit rezeptpflichtigen Medikamenten verbieten. Die SPD will ihn weiter erlauben. Damit dringend benötigte Apotheken vor Ort nicht schließen, sollen sie mehr Geld bekommen.

    Krankenhäuser

    Damit sich Krankenhäuser modernisieren und umstrukturieren können, sollen sie noch mehr Geld bekommen. Umstritten ist, wie viel: Die SPD will eine Milliarde Euro zur Verfügung stellen, die Union 500 Millionen Euro. Die Personalkosten und die medizinischen Kosten in Krankenhäusern sollen aus verschiedenen Quellen kommen. Lohnerhöhungen für Pfleger sollen von den Kassen komplett bezahlt werden.

    Elektronische Patientenakte

    Die seit vielen Jahren angekündigte elektronische Patientenakte soll jetzt kommen. Die Sicherheit der Daten soll sichergestellt werden. Die gespeicherten Daten sollen im Eigentum der Patienten bleiben.

    Krankenkassenbeitrag

    Fest steht bislang nur, dass der Beitrag für die gesetzlichen Krankenkassen zum 1. Januar 2019 „in gleichem Maße von Arbeitgebern und Beschäftigten geleistet“ wird. So steht es im Entwurf für den Koalitionsvertrag. Zerstritten sind Union und SPD noch in der Frage, was das bedeutet. Die Union will den aktuellen Zusatzbeitrag (durchschnittlich ein Prozent vom Bruttolohn) erhalten. Er soll aber von Arbeitgebern und Arbeitnehmern bezahlt werden. Die SPD will den Zusatzbeitrag abschaffen und die einzelnen Kassen den gesamten Beitrag selbst festlegen lassen.

    Unklar ist, welchen Beitrag kleine Selbstständige künftig an ihre gesetzliche Krankenkasse zahlen. Die Union will den Beitrag auf 1490 Euro reduzieren – das würde den Kassen 500 Millionen Euro geringere Einnahmen pro Jahr bescheren. Die SPD will 850 Euro, was eine Milliarde Euro kosten würde.