Mit Raketen aus dem Ausland sollen bald Hubschrauber abgeschossen werden. Einfluss von Muslimbrüdern droht zu wachsen.

Aleppo/Antakya. Ein ausgebrannter Panzer neben der Straße, den eine unter der Fahrbahn versteckte Bombe in den Graben wuchtete. In den Häuserwänden klaffen Löcher vom Granatenbeschuss. Die Straßen sind mit riesigen Felsbrocken und Steinschutt versperrt. Vor zehn Tagen kontrollierten hier, in der Nähe von Hawar, noch Soldaten der syrischen Armee alle Fahrzeuge. Heute sind es die Kämpfer der Freien Syrischen Armee (FSA), die die Wagen freundlich durchwinken. Innerhalb einer Woche konnten die Rebellen das befreite Gebiet ausweiten und stehen nun zehn Kilometer vor Aleppo, der größten Stadt Syriens.

Ob Sammeltaxis oder Lkw, die Tomaten, Aprikosen oder Elektrogeräte transportieren, alle müssen durch das Gebiet der "Terroristen", wie der syrische Präsident Baschar al-Assad die FSA nennt. Die Fahrer kümmert es wenig. Ärgerlich sei nur, dass die Fahrtroute zwischen Aleppo und der 45 Kilometer entfernten türkischen Grenze ständig wechselt und über holprige Pisten führe. "Mal wird hier geschossen, mal dort gekämpft", sagt Farouk fast belustigt. Er fährt die Strecke seit zwölf Jahren. "Man muss sich eben durchfragen."

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In Dana, etwa fünf Kilometer vom syrischen Grenzübergang Bab al-Hauwa entfernt, ist man optimistisch. "Wir werden Assad und sein Regime besiegen", sagt Ahmed, ein junger Kämpfer. "Wir warten nur auf Raketen, mit denen wir Hubschrauber abschießen können." In einigen Wochen sollen sie geliefert werden, meint der 24-Jährige zuversichtlich. "Dann können wir auch tagsüber kämpfen", wirft Mohammed ein, der gerade dazukommt. Er ist Lehrer an der hiesigen Schule. Die Kampfhubschrauber der syrischen Armee sind für die FSA die größte Bedrohung. Sie verfügen über schwere Maschinengewehre und Raketen. Deshalb starten die Rebellen ihre Operationen in der Regel nie vor Sonnenuntergang. "Sobald sie uns am Boden sehen, eröffnen sie das Feuer", erzählt Ahmed. "Im freien Gelände, in dem es fast keinen Schutz gibt, ist das tödlich." Aber wie durch ein Wunder, meint Mohammed, der Lehrer, sei das Dorf noch nie beschossen worden. "Nur die Stellungen der FSA, außerhalb in den Bergen. Die Piloten müssen gute Menschen sein, heißt es bei uns im Ort schon."

Sein Dorf mag Glück gehabt haben, andere Städte und Dörfer in Syrien hatten das nicht. Sie wurden von Regierungstruppen gnadenlos beschossen und vielfach in Schutt und Asche gelegt. Etwa 15 000 Menschen, davon die meisten Zivilisten, sind bisher im 16-monatigen Bürgerkrieg umgekommen. Und täglich kommen neue Opfer hinzu.

"Bald werden wir den Grenzübergang Bab al-Hauwa einnehmen", sagt der junge Rebell Ahmed. Ein FSA-Offizier, der seinen Wagen tankte, kommt hinzu und bestätigt: "Lange werden wir nicht mehr warten. Die Waffen, die wir dazu brauchen, sind unterwegs." Woher sie kommen, will der über 40 Jahre alte Soldat jedoch nicht verraten. Katar und Saudi-Arabien hatten vergangene Woche angekündigt, die syrischen Rebellen finanziell und mit Waffenlieferungen zu unterstützen. Laut Medienberichten sind auch Vertreter des US-Geheimdienstes CIA vor Ort, um Oppositionsgruppen auszuwählen, die man bewaffnen will.

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"Wir müssen auf Hilfe aus dem Ausland nicht warten", behauptet der FSA-Offizier, der seinen Namen nicht nennen will. "Wir holen uns selbst, was wir brauchen." Er meint wohl die Waffenlager der syrischen Armee, die von der FSA kürzlich geplündert wurden. Am 23. Juni bedienten sich die Rebellen in einer Kaserne in Deir al-Zour, eine Stadt im Osten des Landes. Aber für die FSA, die in der Region Aleppo operiert, war die Eroberung des Stützpunkts des Bataillons 1041 der syrischen Luftabwehr ein Volltreffer. In Darat Ezzah, nur zwei Kilometer von Dana entfernt, gab es alles, was ein Rebellenherz begehrt. Neben reichlich Gewehren und Munition auch Flugabwehrgeschütze sowie Panzerabwehrraketen, die man von der Schulter aus abschießt und die ihr Ziel selbst suchen.

Der Grenzübergang von Bab al-Hauwa ist wie eine kleine isolierte Insel. Die diensthabenden Beamten arbeiten und wohnen dort gleichzeitig, denn ihren Arbeitsplatz verlassen können sie nicht. Es sei denn mit dem Hubschrauber. 500 Meter vor dem Übergang befindet sich eine Stellung der syrischen Armee mit einigen eingegrabenen Panzern. Die letzte und einzige Stellung, die den Grenzposten vom FSA-Territorium trennt und vor einer möglichen Eroberung schützt. Jede Nacht werden die syrischen Truppen von FSA-Einheiten angegriffen. Auf der türkischen Seite, in der Stadt Antakya, wird fieberhaft an der Organisation des bewaffneten Kampfes gegen die Regimetruppen im Raum Aleppo gearbeitet. "Wir versuchen möglichst viele neue Bataillone aufzustellen", erklärt Mohammed Hamoudi, der selbst eine 90 Mann starke Einheit in Lattakia anführt. Hamoudi gehört nicht offiziell zur FSA-Führung. Er ist aber Teil des inneren Zirkels und trifft sich regelmäßig mit dem FSA-Chef Mustafa al-Scheich. 80 Prozent aller Kämpfer der syrischen Opposition, so behauptet Hamoudi, würden den Oberbefehl der FSA akzeptieren. "Wir brauchen Disziplin und koordiniertes Vorgehen", sagt er aufgewühlt. Hamoudi hat heute 5000 Schuss Munition über die Grenze gebracht und ist wieder in die Türkei zurückgekehrt. Er wäre lieber weiter zu seiner Einheit gefahren, aber in Antakya gebe es Wichtiges zu besprechen. "Wie ich, sind al-Scheich und der Rest der FSA-Führung überzeugte Säkulare, die Demokratie, freie Wahlen und eine Trennung von Staat und Religion wollen. Aber es gibt islamistische Kräfte, die mehr und mehr überhandnehmen."

Der Feldkommandeur meint damit in erster Linie die Muslimbruderschaft. Sie dominiert bereits den zivilen Syrischen Nationalrat (SNC), der seinen Sitz in Istanbul hat. "Nun wollen sie auch militärisch bestimmen", sagt Hamoudi. Auch ihm hätten sie schon große Summen angeboten, falls er mit seinem Bataillon unter dem Banner der Muslimbruderschaft kämpft. Natürlich werde die Muslimbruderschaft aus den Golfländern finanziert. Seiner Meinung nach wird sie bald die am besten ausgerüstete Miliz haben, die gegen die Truppen von Präsident Assad kämpft.

Als das Gespräch auf radikal-militante Salafisten kommt, wird der Ärger Hamoudis noch größer. "Sie bekommen ihr Geld aus Katar und Saudi-Arabien", behauptet der Kommandeur. "Im Norden Syriens gibt es nur wenige salafistische Bataillone, dafür aber mehr im Süden." Er meint damit die Region um Homs, unweit der Grenze zum Libanon. Sie kämen aus dem Nachbarland, um das ungläubige wie gotteslästerliche Regime Assads zu stürzen. Die Dschihadisten kommen aber inzwischen aus aller Herren Länder. Der Kampf ist längst nicht mehr allein Sache der Syrer.