Der Zwischenfall verschärft das ohnehin gereizte Verhältnis Ankaras zu Syrien. War der Abschuss eine Reaktion auf einen syrischen Deserteur?

Ankara/Damaskus. Es war doch alles nur ein Versehen, keine Absicht. Das jedenfalls beteuert das syrische Außenministerium. Der Abschuss eines türkischen Kampfflugzeugs sei "kein Angriff" gewesen, heißt es. Der Jet sei abgeschossen worden, weil er in den syrischen Luftraum eingedrungen sei. Es gebe keine Feindseligkeit gegenüber der Türkei. Syrien habe lediglich seine Souveränität verteidigt.

Doch damit ist der Vorfall nicht beigelegt. Im Gegenteil: Der Abschuss des Militärflugzeugs hat das seit Monaten angespannte Verhältnis zwischen beiden Ländern weiter belastet. Das Nato-Mitglied Türkei warf dem syrischen Militär vor, es habe die Maschine vom Typ F4-Phantom am Freitag ohne jede Vorwarnung über internationalen Gewässern abgeschossen. Der Militärjet war in der Nähe der syrischen Küstenstadt Latakia ins Meer gestürzt. Von den beiden Piloten fehlte auch am Wochenende noch jede Spur. Türkische Bergungsmannschaften orteten das Wrack auf dem Meeresgrund in einer Tiefe von 1000 Metern, berichtete die türkische Internetseite "Zaman", ohne auf weitere Einzelheiten einzugehen.

Die Türkei rief wegen des Abschusses den Nato-Rat an; das Gremium der Botschafter aller 28 Nato-Staaten berät morgen über den Fall. Die Türkei bezieht sich auf Artikel 4 des Nato-Vertrags. Dieser sieht vor, dass die Verbündeten beraten, wenn einer von ihnen der Auffassung ist, dass "seine politische Integrität, politische Unabhängigkeit oder Sicherheit" bedroht ist.

+++ Türkei schaltet Nato ein: Eskaliert der Syrien-Konflikt? +++

Das Kampfflugzeug war nach übereinstimmenden Angaben beider Länder kurzzeitig in den syrischen Luftraum eingedrungen. Die Ursachen dafür waren nicht klar. Der türkische Außenminister Ahmet Davutoglu sagte im türkischen Fernsehen, die Maschine sei auf einem unbewaffneten Übungsflug gewesen. "Es gab keine Operation gegen Syrien", hob Davutoglu hervor. Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan will sich morgen in einer Ansprache an die Bevölkerung wenden. Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) hatte "große Sorge" geäußert und die besonnene Reaktion der Türkei begrüßt. Auch Uno-Generalsekretär Ban Ki-moon forderte zu "Zurückhaltung" auf.

Die Beziehungen zwischen den einstigen Verbündeten haben sich verschlechtert, seit das Regime in Damaskus die Oppositionsbewegung gegen Präsident Baschar al-Assad gewaltsam niederschlagen lässt. Mehr als 30 000 Flüchtlinge aus Syrien haben in der Türkei inzwischen Zuflucht gefunden. Syrien wirft dem Nachbarland vor, dass es Waffenlieferungen für die Rebellen passieren lässt. Die Regierung in Ankara bestreitet das. Tatsächlich kommen Geld und Waffen für den Widerstand gegen Assad vor allem aus den arabischen Golfstaaten. Doch es ist ein offenes Geheimnis, dass diese Hilfe auch über türkisches Gebiet fließt. Darüber hinaus wies die Türkei Ende Mai alle syrischen Diplomaten aus. Der Grund war das Massaker in al-Hula mit mehr als 100 Toten. Daraufhin erklärte Syrien auch türkische Diplomaten zu unerwünschten Personen.

Allerdings ist ein gezielter Angriff Syriens auf den türkischen Jet unwahrscheinlich. Die heftig kritisierte Regierung von Herrscher al-Assad hat schon genug innere Konflikte zu lösen - es geht mit Gewalt gegen Aufständische in Syrien vor. An einem außenpolitischen Konflikt - zumal mit einem mächtigeren Gegner wie der Türkei - hat Syriens Regime sicher wenig Interesse.

Der wahre Grund könnte ein ganz anderer sein: Einen Tag zuvor war ein syrischer Militärpilot mit seiner MiG-21 nach Jordanien desertiert. Im Assad-Regime dürfte das für Zorn gesorgt haben. Ein ehemaliger syrischer Militär, der heute in Beirut lebt, will über konkrete Informationen verfügen, dass Flak-Schützen den türkischen Kampfjet vom Himmel holten, weil sie glaubten, dass sich erneut einer der Ihren davonstehlen wollte.