Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg musste sich im Bundestag Fragen zu seiner Doktorarbeit stellen. Einen Titel ist er los.

Gestern konnte man sehen, was Contenance bedeutet. Was das für ein Kapital ist, wenn es einem nicht nur gelingt, angesichts extremer Anfeindungen höflich zu bleiben, sondern wenn man es dann sogar noch schafft, die Höflichkeitsfloskeln so herauszubringen, dass die Gegner beim besten Willen keinen Sarkasmus heraushören können. Diese Mitgift ist Karl-Theodor zu Guttenberg gestern Nachmittag sehr zugutegekommen.

Überpünktlich hatte der wegen seiner Doktorarbeit unter scharfem Beschuss stehende Bundesverteidigungsminister um 13.45 Uhr auf der Regierungsbank Platz genommen. Um diese Zeit wusste er noch nicht, dass die Universität Bayreuth am Abend verkünden würde, dass sie ihm den Doktortitel aberkennt. Angstlosigkeit sollte dieses frühe Erscheinen den Abgeordneten der SPD, der Grünen und der Linken signalisieren. Allerdings fuhr Guttenberg dann während der nächsten Viertelstunde unablässig auf seinem Stuhl vor und zurück, was doch auf eine erhebliche Nervosität schließen ließ.

Punkt zwei ging es dann los. Bundestagspräsident Wolfgang Thierse hatte den Tagungsordnungspunkt noch gar nicht aufgerufen, da stand Guttenberg bereits am Mikrofon. Bereit, sich grillen zu lassen, denn zu nichts anderem sollte die Fragestunde ja dienen, aber offenbar auch entschlossen, weiter im Amt zu bleiben. Und irgendwie ging die Sache aus wie das Hornberger Schießen.

An der von Guttenberg durchgehaltenen Höflichkeit, die der 39-Jährige gekonnt mit kleinen Büßergesten garnierte, hat sich die Opposition gestern die Zähne ausgebissen. Er ließ sich nicht provozieren und wiederholte gebetsmühlenartig, ja, er habe Fehler gemacht, aber, nein, mit Absicht habe er diese Fehler nicht begangen. Ein Plagiat, so der Minister, setze ja voraus, dass man bewusst und vorsätzlich täusche, das habe er, Karl-Theodor zu Guttenberg, nicht getan. Er selbst werfe sich nun vor, damals so hochmütig gewesen zu sein, dass er geglaubt habe, die familiären Anforderungen und die Leidenschaft für die Politik mit der angestrebten Promotion unter einen Hut bringen zu können. "Für mich stellte das offensichtlich eine Überlastung dar", räumte er ein. Und dass ihm "die Quadratur des Kreises" damals nicht gelungen sei. "Dazu stehe ich." Aber, so Guttenberg an die Adresse der Opposition, "das ist ja kein Grund, dass man hämisch übereinander herfällt". Ob man nicht versuchen könne, das zu verstehen? Immerhin habe er doch bereits "schmerzhafte Konsequenzen gezogen" und sich auch bei der Öffentlichkeit aufrichtig und herzlich für sein Versagen entschuldigt.

Eine geschlagene Stunde ging es in diesem Stil dahin. Ob er denn glaube, als Bundesverteidigungsminister künftig noch Vorbild für irgendeinen Soldaten sein zu können, musste sich K.T., wie ihn seine Freunde nennen, fragen lassen. Oder was denn all diejenigen von der Sache halten sollten, die sähen, dass sie ihre Dissertationen nicht zu Ende bringen könnten, und trotzdem nicht betrügen würden? Und überhaupt: "Dass Sie uns nicht erzählen können, dass Sie nicht gewusst haben, was Sie tun!" Thomas Oppermann nannte Guttenberg einen Hochstapler und Lügner. "Sie haben getäuscht, Sie haben betrogen, Sie haben gelogen", rief der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion dem Minister zu. "Ich finde es unerträglich, dass die Bundeskanzlerin die Entscheidung getroffen hat, dass ein akademischer Hochstapler und Lügner weiter dem Kabinett angehören darf." Guttenberg habe mehr als 100 Seiten Text von anderen Autoren "in die Arbeit kopiert". Zudem habe er insgesamt sechs Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags benutzt. Das seien keine "handwerklichen Fehler", sondern die planmäßige Übernahme fremden Gedankenguts. Guttenbergs wissenschaftliches Arbeiten sei von dessen Arbeit als Minister nicht zu trennen, denn Ehrlichkeit und Wahrhaftigkeit seien nicht teilbar. Der CSU-Politiker habe mit seinem "Schummeln und Mogeln" außerdem einen gewaltigen Flurschaden für die Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses angerichtet. "Sie haben die Bodenhaftung verloren", rief Oppermann dem Minister empört zu. "Da hat die Bundeskanzlerin einen schweren Fehler gemacht. Sie opfert die Wahrheit der Macht. Aber damit werden Sie nicht durchkommen."

Sogar das ließ Guttenberg erstaunlich ruhig über sich ergehen. Mit leicht hängendem Kopf und gefalteten Händen. Nur ein einziges Mal schien ihm der Geduldsfaden zu reißen. Als zum wiederholten Mal das Wort "Plagiat" fiel, entfuhr Guttenberg der Satz, strafrechtlich gebe es den Tatbestand der üblen Nachrede und dass "man" aufpassen müsse, "nicht in diesen Bereich zu kommen".

Das fand der SPD-Innenpolitiker Dieter Wiefelspütz so himmelschreiend, dass er später vor laufenden Kameras erklärte, der Minister sei "sogar so frech gewesen, zu sagen, er wolle nicht der üblen Nachrede ausgeliefert sein". Ausgerechnet! Dabei sei doch inzwischen erwiesen, dass Guttenberg in seiner Dissertation mehr als 200 Urheberrechtsverletzungen begangen habe, ein Rücktritt im Fall Guttenberg "die einzig denkbare Konsequenz" sei.

Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin, der den Minister während der Fragestunde konstant boshaft mit "Herr Doktor zu Guttenberg" angesprochen hatte, wirkte anschließend ebenfalls frustriert. Bei Guttenbergs Doktorarbeit handele es sich um "ein vorsätzliches Plagiat", bellte Trittin im Bundestagsfoyer in die Mikrofone.

Zu diesem Zeitpunkt saß Karl-Theodor zu Guttenberg noch im Plenum. Dankbar für die Glückwünsche der Parteifreundin Ilse Aigner, die sich kameradschaftlich zu ihm setzte. Alle anderen Kabinettskollegen hatten die Regierungsbank während der Fragestunde gemieden. Auch die Bundeskanzlerin, was Dieter Wiefelspütz mit der Bemerkung kommentierte, diesen Vorgang habe sich Angela Merkel wohl "nicht antun" wollen.

Der CDU-Bundestagsabgeordnete Peter Altmaier übernahm es dann, die "Affäre" Guttenberg für beendet zu erklären. "Wir haben einen Minister gesehen, der sehr sachlich, sehr kompetent und mit großer Betroffenheit Rede und Antwort gestanden hat. Er ist ein Beispiel dafür, wie man mit eigenen Fehlern umgehen kann." Auf die Frage, ob er, Peter Altmaier, denn tatsächlich glaube, dass Guttenberg nicht mit Absicht bei anderen abgeschrieben habe, antwortete Altmaier, man sei hier im Deutschen Bundestag und nicht in der Kirche. Im Übrigen sei Karl-Theodor zu Guttenberg ein exzellenter Verteidigungsminister. "Er ist für uns der richtige Minister am richtigen Platz."

Im Vergleich zu seinem sonstigen tadellosen Aussehen wirkte dieser Minister gestern allerdings ein kleines bisschen derangiert. Das blütenweiße Hemd sah etwas durchgeschwitzt aus, und der babyblaue Schlips, den er offenbar zum Zeichen seiner Unschuld umgebunden hatte, schien regelrecht zu baumeln. Aber alles in allem konnte man ihm ansehen, dass er glaubte, das Schlimmste überstanden zu haben. Er werde nun wieder "vergleichsweise ruhig" seiner eigentlichen Tätigkeit nachkommen, ließ er die Journalisten denn auch frohgemut wissen. Und dass er auf jeden Fall im Amt bleiben werde.

Dass die Opposition daran laute Zweifel anmeldete - aus Sicht des schleswig-holsteinischen SPD-Bundestagsabgeordneten Dieter Rossmann hatte man im Plenum einen "gefallenen Helden" erlebt, "der noch einmal Bella Figura gemacht hat, aber pirouettendrehend untergehen wird" -, erstaunte niemanden. Überraschender war es da schon, dass auch auf der Besuchertribüne deutliche Skepsis herrschte. Georg Rolke, der die Abschlussklasse der Herbolzheimer Werkrealschule nach Berlin begleitet hatte, meinte nach der Fragestunde, er sei fest davon überzeugt, dass Guttenberg doch noch über die Plagiats-Affäre stürzen werde. "Der stolpert über seine eigene Eitelkeit." Man müsse sich allerdings fragen, warum Guttenberg den Doktortitel so unbedingt gewollt habe. "Wir hätten", fügte Rolke süffisant hinzu, "doch auch gern 'Herr Baron' zu ihm gesagt."