Vor 41 Jahren schrieb er: Die Kirche sollte den Zölibat überprüfen. Als Papst will er von verheirateten Priestern offenbar nichts mehr hören.

Berlin. Im September dieses Jahres kommt Papst Benedikt XVI. nach Deutschland. In kaum einem Land wird die Ehelosigkeit von Priestern so kritisch gesehen wie in der Heimat von Benedikt. Eine Überprüfung des Zölibats auf „hoher und höchster kirchlicher Ebene“ sei angebracht, ja notwendig. Doch dieser Satz stammt nicht etwa von heute und von reformeifrigen Katholiken. Renommierte Theologen formulierten ihn vor 41 Jahren. Einer von ihnen hieß Joseph Ratzinger, heute Papst Benedikt XVI. Derart kritische Worte über das Eheverbot für Priester sind von ihm längst nicht mehr zu hören.

Es ist wieder Dynamik in die Debatte gekommen, seit namhafte katholische CDU-Politiker die deutschen Bischöfe gebeten haben, die Zölibatspflicht kritisch zu hinterfragen und somit etwas gegen den eklatanten Priestermangel zu unternehmen. Gerade in Deutschland, wo immer mehr Gemeinden ohne Priester auskommen müssen, wo Pfarreien zusammengelegt werden, wo die noch aktiven Priester am Wochenende Messen wie am Fließband halten müssen, wird seit Jahren kritisch gefragt: Sollen nicht auch verheiratete Männer die Eucharistie feiern dürfen, die Beichte abnehmen, die Krankensalbung spenden?

Der Joseph Ratzinger des Jahres 1970 hätte vielleicht sogar mit „ja“ geantwortet. Die kirchenkritische Zeitschrift „Pipeline“ (Regensburg) hat das Schreiben, das Ratzinger und seine Mitstreiter – darunter Karl Lehmann und Walter Kasper – damals an die deutschen Bischöfe richteten, nun veröffentlicht. Sie betonten darin, dass es wichtig sei, über den Zölibat nachzudenken und ihn gegebenenfalls zu revidieren. Ratzinger aber ist längst kein Theologie-Professor mehr, er hat in der Hierarchie der Amtskirche Karriere gemacht. In seinem Pontifikat hat er den Zölibat stets verteidigt und gelobt.

Viele Gläubige in Deutschland dürften das anders sehen. Für manchen begabten Seelsorger ist das Eheverbot eine zu hohe Hürde. Immer wieder sorgen Priester für Schlagzeilen, die für ein Leben mit der Partnerin ihr Amt aufgeben. Daher appellierten CDU-Politiker wie Bundestagspräsident Norbert Lammert, Bildungsministerin Annette Schavan oder Alt-Ministerpräsident Bernhard Vogel an die Kirche, auch bewährte verheiratete Männer („viri probati“) zu weihen. Die Sorge um die Gemeinden treibe sie um, versicherte Lammert ein einem „Zeit“-Beitrag. Denn nichts wiege schwerer als die Not der Pfarreien ohne Priester und ohne regelmäßige Messfeier.

Lammert lieferte eindrucksvolle Zahlen gleich mit: 1960 hätten knapp 15.500 Geistliche in der Pfarrseelsorge gearbeitet, derzeit seien es deutschlandweit noch 8500. In den vergangenen zehn Jahren habe die katholische Kirche 20 Prozent ihrer aktiven Priesterschaft verloren. Gerade mal 150 Männer hätten sich 2010 für das Priesteramt entschieden. Lammert: „Wer angesichts dieser Situation weiter eisern am überkommenen Pflichtzölibat festhält, führt die Gemeinden sehenden Auges in den seelsorgerischen Notstand.“

Anders sieht das der erst im November zum Kardinal ernannte Walter Brandmüller. Der in Ansbach geborene Kirchenhistoriker ließ aus dem Vatikan eine Replik verbreiten. „Was legitimiert Sie als Politiker, zu einem innerkirchlichen Thema Stellung zu beziehen, das Sie weder von Amts wegen noch persönlich betrifft?“ In seinem Brief erläuterte er auch, Lammert und seine Kollegen würden mit ihrer Forderung Jesus selbst beleidigen. „Der ehelos lebende Priester tut als Jünger Jesu doch nichts anderes als die Lebensweise des Meisters sich zu Eigen zu machen“. Ob Brandmüller sein Vorgehen mit dem Papst abgestimmt hat? Der schroffe, polemische Ton klingt eher nicht nach Benedikt XVI. Und Lammert wird es ja schließlich sein, der den Papst bei dessen Deutschland-Besuch im September offiziell im Bundestag begrüßen wird. An einer Verstimmung kann Benedikt nicht gelegen sein.

Die Deutsche Bischofskonferenz (DBK) hat den Vorstoß aus der Politik zwar eher zurückhaltend kommentiert, aber einige ihrer Mitglieder reagieren in der Debatte um den Zölibat weit weniger harsch als Brandmüller. DBK-Chef Robert Zollitsch selbst hatte sich 2008 gegen Denkverbote beim Thema Zölibat ausgesprochen. Auch der Bamberger Oberhirte Ludwig Schick hinterfragte öffentlich den Zwang zum Zölibat. Der Fuldaer Bischof Heinz Josef Algermissen hatte das Thema „viri probati“ wieder ins Spiel gebracht, um weiterhin die sonntägliche Eucharistiefeier garantieren zu können. Die „Süddeutsche Zeitung“ zitierte den Münchner Weihbischof Bernhard Haßlberger bei einer Gesprächsrunde mit Schülern mit den Worten, dass es für Geistliche, die sich mit dem Zölibat „schwertun“, gut wäre, wenn sie Priester blieben und trotzdem eine Familie haben dürften. So hätte die Kirche „dann auch sicher wieder mehr Pfarrer“. (dpa)