Hamburg. Stürze haben im Alter oft eine kardiologische Ursache. Was Altersmedizin leistet und welche Rolle Herzspezialisten dabei spielen.

Die 80 Jahre alte Großmutter stürzt zu Hause schwer. Übersät mit blauen Flecken, wird die ältere Dame in die Notaufnahme eingeliefert. Gebrochen hat sie sich zum Glück nichts, stellen die Ärzte fest. Doch beim nächsten Mal könnte es schlimmer ausgehen, denn dass sie hinfalle, das komme leider häufig vor, sagt die Patientin. In der Geriatrie beginnt die Suche nach der Ursache. War es ein Stolpern, weil der Flokati ungünstig lag? Oder haben die vermehrten Stürze, doch vielleicht, wie oft im Alter, mit dem Herzen zu tun?

In der Kardio-Geriatrie arbeiten Herzspezialisten und Altersmediziner zusammen

„Der Fall dieser Patientin, bei der wir recht schnell Herzgeräusche gehört und Herz-Rhythmus-Störungen festgestellt haben, zeigt ganz gut unsere Arbeit im Zentrum für Kardio-Geriatrie auf“, sagt Dr. Jochen Gehrke. Der Chefarzt der Geriatrie ist gemeinsam mit seinem Kollegen Professor Dr. Alexander Ghanem, Chefarzt für Innere Medizin, in einer neuen Folge der „Digitalen Sprechstunde“ zu Gast, dem Podcast von Hamburger Abendblatt und Asklepios. Beide sprechen über das Zentrum für Kardio-Geriatrie an der Asklepios Klinik Nord/Heidberg, wo Altersmediziner und Herzspezialisten eng zusammenarbeiten.

Der Vorteil? „Man sieht den Patienten ganzheitlicher. Die Spezialisierung in der Medizin ist zwar richtig und wichtig, aber manchmal fordert sie auch ihren Tribut, wenn Dinge übersehen werden“, sagt Professor Ghanem. „Für den konkreten Fall der alten Dame bedeutet das: Wenn wir plötzlich eine Herzklappenerkrankung feststellen, dann erscheint der vermeintliche Stolpersturz, der womöglich eher eine Synkope, also eine kurze Bewusstlosigkeit war, in einem ganz anderen Licht“, ergänzt Dr. Jochen Gehrke. Deshalb sei es hilfreich, bei dem Verdacht auf eine kardiologische Ursache gleich auch den Experten ans Krankenbett rufen zu können. „Wie wir dann weiter vorgehen, das entscheiden wir gemeinsam.“

Kernfrage: Was ist machbar und was ist zumutbar?

Doch die Herangehensweise unterscheide sich durchaus. Während viele Kardiologen oft erst einmal darauf schauen, was grundsätzlich medizinisch machbar ist, steht für die Altersmediziner meist im Vordergrund, was noch zumutbar ist. „Wir Geriater verstehen uns gern als Schutzschild der älteren Patienten. Es gilt schon abzuwägen, ob ein Eingriff bei einem 85-Jährigen immer sinnvoll ist“, so Dr. Jochen Gehrke.

Seine Devise laute: So wenig wie möglich, so viel wie nötig. So habe es ab Frühsommer 2019, als Professor Ghanem neu nach Heidberg kam, auch knapp drei Monate gedauert, bis sie sich „eingegroovt“ hätten. Dass beide von Haus aus Kardiologen seien, habe zwar geholfen, aber: „Anfangs waren wir schon bei etwa jedem dritten Fall unterschiedlicher Meinung“, sagt Professor Ghanem. „Besser wurde es, nachdem wir abends dann mal den ersten Wein miteinander getrunken haben“, schiebt Dr. Gehrke lachend hinterher.

Neben der fachlichen Exzellenz muss auch das Zwischenmenschliche stimmen

Eine so enge Zusammenarbeit sei nur möglich, wenn neben der fachlichen Exzellenz auch das Zwischenmenschliche stimme. „Das ist eine Typfrage. Es mag Kardiologien geben, die allein aus ökonomischen Gründen immer eine Herzklappen-OP vorschlagen“, sagt Alexander Ghanem, dessen Vater ebenfalls Arzt ist, und der an der Universität Bonn studiert, promoviert und habilitiert hat. „Ich bin eher jemand, der sich zurücknehmen kann. Dr. Gehrke kennt die Patienten vielleicht schon eine Woche oder noch länger. Auf jeden Fall kennt er sie besser als ich. Insofern verlasse ich mich auf sein Urteil.“

Außerdem gehe es darum, wie der Patient mit einer möglichen Intervention klar komme. „Mag ja sein, dass der Eingriff super läuft, aber als Kardiologe bekomme ich außerhalb eines solchen Zentrums ja gar nicht mit, wie die Nachbehandlung verläuft.“

Zentrum als Vorbild für andere Kliniken

Gemeinsam würden sie dem jeweiligen Patienten zunächst alle Optionen aufzeigen: Klappenintervention mit Katheter oder doch Medikamente? Oder eine große OP? Die Entscheidung werde gemeinschaftlich getroffen. „Es ist schon immer so, dass wir am Ende den Arztbrief beide guten Gewissens unterschreiben können“, sagen die Kollegen. „Wir versuchen auch, die älteren Patienten so gut wie möglich mit Physiotherapie oder Ergotherapie auf eine Intervention vorzubereiten“, sagt Chefarzt Dr. Jochen Gehrke, der vor wenigen Wochen Vater eines kleinen Jungen geworden ist.

Professor Alexander Ghanem, Vater von einjährigen Zwillingen und einer dreijährigen Tochter, sagt, dass beide Ärzte hoffen, ihr Zentrum für Kardio-Geriatrie könne eine „Blaupause für andere Kliniken“ sein. „Es reicht ja nicht, jetzt mal so ein Zentrum ins Leben zu rufen.“ Die Altersmedizin, sagt Geriater Dr. Jochen Gehrke, werde immer wichtiger. „Umso entscheidender ist, dass die fachübergreifende Versorgung der Patienten optimal gesichert ist.“

Die digitale Sprechstunde

„Die digitale Sprechstunde“ ist die Gesundheits-Gesprächsreihe von Hamburger Abendblatt und Asklepios. Jede Woche erklärt ein Experte im Gespräch mit Vanessa Seifert ein Krankheitsbild und gibt Auskunft über Vorsorge und Möglichkeiten der Therapie. Diese Folge und alle bisherigen Episoden hören Sie auf www.abendblatt.de/digitale-sprechstunde/

In der nächsten Folge spricht Dr. Ursula Scholz, Chefärztin des Asklepios Brustzentrums, über Brustkrebs. Fragen? Mailen Sie an sprechstunde@abendblatt.de