Hamburg. Der designierte Chefarzt Dr. Jens Niehaus räumt mit Verdauungsmythen auf. Worauf Sie ab sofort achten sollten.

Gänsebraten, Kartoffelklöße, Rotkohl. Dazu das ein oder andere Glas Rotwein. Und zwischendurch Schmalzgebäck, Christstollen und Weihnachtskekse. Unser Magen hat an den Festtagen viel zu tun. Doch was hilft wirklich, um ein deftiges Essen gut zu verdauen? Vermindert Schnaps das Völlegefühl oder ist ein Espresso die bessere Wahl? In dieser Spezial-Folge der „Digitalen Sprechstunde“, dem Podcast von Hamburger Abendblatt und Asklepios, räumt Dr. Jens Niehaus, ab Januar Chefarzt der Abteilung für Gastroenterologie an der Asklepios Klinik Wandsbek, mit Verdauungsmythen auf und gibt Tipps, damit Sie unbeschwert – zumindest was den Magen betrifft – ins neue Jahr starten können.

Magen-Darm-Trakt ist eine „echte Diva“

Die wichtigste Frage also zuerst: Wirkt Schnaps nun nach einer schweren Mahlzeit als „Verteilerchen“ oder belastet er den Magen nur zusätzlich? „Nun, dazu gibt es zwei Meinungen. Meine persönliche und die der Wissenschaft“, sagt der Internist und Gastroenterologe. Seine sei aber die populärere, schiebt der künftige Chefarzt gleich hinterher.

Denn die Forschung halte von Schnaps als Digestif wenig bis gar nichts, weil die Magenschleimhaut durch den hohen Alkoholgehalt zusätzlich verärgert werden könnte. „Ich dagegen glaube: Wenn es bei einem Schnäpschen bleibt, kann das durchaus helfen. Die Salzsäureproduktion im Magen wird angeregt, Speisen dadurch besser verdaut.“

Grundsätzlich sei es eine gute Idee, sich etwas zu zügeln, sich kleinere Portionen aufzutun und vor allem bewusst zu kauen. „Schlingen Sie bloß nicht das Essen in sich hinein“, rät der Experte. Denn der Magen-Darm-Trakt sei sehr empfindlich, „man muss siech den wie eine Diva vorstellen“. Deshalb solle man dem Magen unbedingt während des Essens die Zeit geben, das Signal der Sättigung zu senden. „Viele essen aber so schnell, die merken dann erst drei Gänsekeulen und vier Kartoffelklöße später - wenn der Magen also schon kurz vorm Kollaps steht - dass das wohl ein bisschen zu viel war“, so der Mediziner, der selbst gern kocht und grillt.

Die Verdauung beginnt im Mund

Die Verdauung beginne im Mund, gutes Kauen sei der erste Schritt. „Wenn alles schon ganz gut zerkleinert ankommt, hat der Magen natürlich weniger Arbeit, es weiter zu zerbröseln“, sagt Dr. Jens Niehaus, der seit April 2017 Sektionsleiter der Gastroenterologie in Wandsbek ist und vorher als Leitender Oberarzt am Asklepios Klinikum Harburg gearbeitet hat. Sollte es zu Blähungen kommen, könnten Fenchel und Anis helfen. „Allerdings bin ich fest davon überzeugt, dass der Magen-Darm-Trakt eng mit der menschlichen Psyche verbunden ist. Wenn man also fest an etwas glaubt, dann entfaltet das auch seine Wirkung.“

Dr.  Jens Niehaus ist ab Januar Chefarzt der Gastroenterologie  in Wandsbek.
Dr. Jens Niehaus ist ab Januar Chefarzt der Gastroenterologie in Wandsbek. © Thorsten Ahlf | Thorsten Ahlf

Viele verspürten nach einem Festtagsessen mit reichlich Fleisch und Fett den Drang, sich hinzulegen und ein Nickerchen zu halten. „Das Gefühl kann ich verstehen, aber von einem Schläfchen rate ich ab“, sagt der Mediziner. Denn in der Horizontalen bestehe auch gern die Gefahr, „dass die Speisen nach oben rutschen und Sodbrennen die Folge ist“. Besser sei nach dem Essen Bewegung - möglichst an der frischen Luft. „Ich selbst schätze gutes Essen sehr, gehe danach aber in der Regel immer draußen eine Runde spazieren - auch bei Regen“, so der Arzt, der in Costa Rica aufgewachsen ist und Mitte der 1980er-Jahre nach Hamburg kam.

Doch bei welchen Beschwerden sollte man dringend einen Arzt aufsuchen? „Die Patienten spüren in der Regel selbst, wann es ernst ist und eine Wärmflasche nicht mehr hilft“, sagt der Gastroenterologe. Es gebe eine Reihe von Symptomen, die signalisierten, dass auf Festtage ernste Zeiten folgen könnten. „Wenn Magenschmerzen mit Erbrechen, Durchfall, Fieber oder Kaltschweißigkeit einhergehen, dann sind das alles Warnsignale.“ Grundsätzlich gelte: Wenn die Schmerzen binnen kürzester Zeit immer heftiger würden, sei das ein Grund zur Sorge. „Manchmal, aber das bemerken die Patienten selbst nicht unbedingt, wird auch die Bauchdecke ganz hart.“

Mehr Magen-Darm-Beschwerden im Winter

Tatsächlich kämen im Winter mehr Patienten als im Sommer zu ihm und seinem Team in die Klinik. „Das hängt allerdings weniger mit schwerem Essen zusammen als mit dem erhöhten Konsum von Alkohol in der dunklen Jahreszeit“, so der Arzt. Zwei große Gruppen von Patienten gebe es da: jene, bei denen der Magen-Darm-Trakt blute, und jene, bei denen man eine Entzündung der Bauchspeicheldrüse vermute. Eine Reihe von Untersuchungen stünden zur Verfügung. „Bei Magen-Darm-Blutungen setzen wir auf die Endoskopie. Dabei können wir ja wie mit einer Taschenlampe in den Magen reinschauen“, erklärt der designierte Chefarzt. Bei allen anderen Erkrankungen sei Ultraschall die Untersuchung der Wahl. „Das mögen auch die Patienten, denn es tut gar nicht weh und bringt schnell gute Erkenntnisse.“

Hilft es grundsätzlich, wenn man schwere Mahlzeiten nicht zu spät am Abend einnimmt? „Klar, früher ist besser als später, das stimmt natürlich“, so Dr. Jens Niehaus, „aber ehrlich gesagt kommt es am Ende immer auch auf die Menge an.“ Er selbst spüre auch einen großen Unterschied zwischen frischem, selbst gekochtem Essen und Fertiggerichten. „Bei diesen Dingen aus der Dose fühlt man sich oft schon nach zwei Löffeln pappsatt. Da weiß man eben gar nicht, was genau da alles drin ist.“

Und wenn es zu Schnaps schon mindestens zwei Meinungen gibt, was ist dran an dem Mythos, dass ein Espresso die Verdauung fördert? „Da fragen Sie den Falschen“, sagt der Mediziner, der im Laufe seiner Karriere auch in den USA und in Großbritannien gearbeitet hat, lachend. „Ich trinke gar keinen Kaffee. Allerdings ist bewiesen, dass Kaffee Stoffe enthält, die die Magensäureproduktion anregen.“ Außerdem glaube er fest daran, dass sich manche Bräuche nicht umsonst teils schon vor Jahrhunderten etabliert hätten. „Was die Schulmedizin sagt, ist schön und gut und wichtig. Aber wenn es alte Hausmittel gibt, die helfen - umso besser.“

Er selbst habe in seiner Jugend in Costa Rica lieber Jurist als Arzt werden wollen. Doch als 18-Jähriger habe er ein Praktikum im Krankenhaus gemacht. „Ich habe die Tür geöffnet und plötzlich wusste ich: Hier bin ich richtig - und das Gefühl ist bis heute geblieben.“