Aber die Kanzlerin muss dem Euro-Gipfel strenge Finanzmarktregeln folgen lassen

Angela Merkel ist gelernte Physikerin, Wissenschaftlerin also, und entsprechend sind ihre Reden - oft kühl, manchmal bis zur Langeweile. So fiel auf, dass sie in den letzten Wochen und Tagen die Schublade Pathos für ihre Verhältnisse ganz weit aufzog. Sie wiederholte nicht nur mantramäßig ihren Satz "Stirbt der Euro, stirbt Europa", sondern wähnte die Welt "am Abgrund" und erinnerte an ihren Amtseid, "Schaden vom deutschen Volk abzuwenden".

Ob das, was sie in der Nacht zum Donnerstag den EU- und Euro-Partnern abtrotzte, schon ein historischer Erfolg war, muss sich erst erweisen. Es ist auf jeden Fall ein ordentliches Ergebnis. Nicht nur die Steuerzahler müssen bluten, auch die Banken. Die Notenpresse der Europäischen Zentralbank wird, soweit man heute weiß, nicht angeworfen. Die ominösen Hebel, die an die Tricks der in Verruf geratenen Finanzmärkte erinnern, machen womöglich aus den Milliarden des Rettungsschirms eine satte Billion, eine Zahl mit zwölf Nullen - kaum vorstellbar für den Normalbürger.

Ob das funktioniert oder ob man wieder nur Zeit gewonnen hat, und wenn ja, wie viel, muss sich erweisen. Über die richtigen Wege zur Rettung des Euro gibt es mehr Meinungen als Experten. Dazu gehören auch wir Journalisten, die am Tag danach immer klüger sind - und sich am Ende wie viele Schlaumeier aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft nicht um den Unsinn scheren, den sie womöglich vorher verzapft haben. Und zwar reichlich gefahrlos, während Frau Merkel mit ihrem Handeln wenn nicht vor der Geschichte, so doch vor dem Wähler bestehen muss. Und damit geht es auch um ihren Job.

Die Kanzlerin hatte sich, klug genug, mit einem Mandat fast des gesamten Bundestages ausstatten lassen - mehr, als eine Große Koalition auf die Beine stellen kann. Das war kein Zeichen von Schwäche, sondern Demokratie pur in einer existenziellen Frage, die alle Bürger anging. Und das machte sie erst wirklich stark, den Bedrängungen durch wahlkämpfende Präsidenten wie Frankreichs Sarkozy oder des bizarren Berlusconi aus Italien zu widerstehen. Die wären gerne bequemere Wege gegangen - zulasten der EZB oder des deutschen Steuerzahlers, der im Zweifel sowieso am meisten für die Brüsseler Vereinbarung geradestehen muss.

Das Gipfelergebnis, und darin beruht sein eigentlicher Erfolg, ist geeignet, wieder Zuversicht bei Sparern und Märkten zu wecken. Ob es ein Strohfeuer ist, hängt auch davon ab, ob Merkel und ihre Euro-Partner dabei stehen bleiben oder etwa die 2008 nach der ersten Finanzkrise verpassten Chancen endlich nutzen, Banken und Spekulanten festere Regeln vorzuschreiben. Unsinnige Finanzprodukte gehören verboten, Verluste dürfen nicht sozialisiert werden, während Gewinne privatisiert werden.

Die Trennung der Geldinstitute in traditionelle Banken und risikoreicheres Investmentbanking, wie sie etwa SPD-Chef Gabriel vorgeschlagen hat, ist so unsinnig nicht. Auch die Gründung einer europäischen Rating-Agentur gehört dazu, um nicht länger Spielball der einschlägigen US-Unternehmen zu bleiben. Das alles wird nicht helfen, wenn die EU-Staaten, allen voran die bekannten Wackelkandidaten, aber auch Italien und Frankreich, nicht zu solider Haushaltsführung, das heißt knallharter Sparpolitik, zurückkehren. Sonst heißt es schon bald: Wie gewonnen, so zerronnen.