Der Fall

Mittagspause im Seniorensitz an der Finkenau. Bewohner halten ein Schwätzchen, gehen spazieren, sitzen im Foyer; dort sind meist auch Gäste zu Besuch. Plötzlich kommen stämmige Herren daher. Sie tragen einen Sarg hinaus. Vorbei an den Senioren, mitten durch den Haupteingang - eine alltägliche Szene.

Anwohner beschwerten sich jetzt massiv beim Leser-Botschafter. "Ich bin nicht pingelig, aber das ist schon extrem: Beinah täglich müssen wir mit ansehen, wie Verstorbene durch den Haupteingang, der direkt gegenüber unserer Wohnung liegt, abtransportiert werden, und zwar zu allen Tageszeiten, teilweise in Säcken auf Tragen, wo man die Umrisse der Toten erkennen kann", sagt Hotelkauffrau Sandra Schaefers (25). "Auch zu Zeiten, in denen zahlreiche Bewohner der Einrichtung dort in der Halle sitzen. Es ist einfach unfassbar, dass man nicht so pietätvoll ist und die Verstorbenen mit der notwendigen Diskretion auf ihre letzte Reise schickt."

Eine andere Augenzeugin sagt dazu: "Das muss doch für Bewohner belastend sein." Anwohnerin Sandra Schaefers weiß: "Manchmal sitzt man ahnungslos beim Frühstück, und plötzlich wird am Fenster ein Sarg oder ein Sack mit einer Leiche vorbeigetragen, das berührt einen. Ich hatte einmal eine Freundin zu Besuch, der wurde sogar schlecht, als sie das sah."

Die Recherche

Das Heim an der Finkenau hat rund 200 Bewohner. Auch einige von ihnen stört es, wenn Verstorbene derart sichtbar weggebracht werden. "Die Thematik, das Spannungsverhältnis zwischen der Verbringung verstorbener Bewohner aus unseren Einrichtungen und dem Pietätsgefühl der Nachbarn beschäftigt uns grundsätzlich in unserer Arbeit", sagt Johannes Kamm, Geschäftsführer des Betreibers Pflegen und Wohnen. Es gibt einen Nebeneingang. Warum transportiert man von dort nicht die Verstorbenen ab? Kamm dazu: "Dieser Ausgang kommt nach unseren Wertmaßstäben für den Abtransport verstorbener Bewohner nicht in Betracht. Daneben befindet sich ein Raum mit Müllcontainern, auch ist dies der Lieferanteneingang." Verstorbene dürfen laut Gesetz nur in Särgen transportiert werden, nicht in Säcken. Dazu Kamm: "Uns ist bisher nicht bekannt geworden, dass die Toten auf Tragen in Säcken bei uns weggebracht wurden."

Das Ergebnis

Geschäftsführer Kamm von Pflegen und Wohnen verspricht: "Wir als Hausrechtsinhaber werden jetzt als Anordnung festlegen, dass verstorbene Bewohner möglichst zu späten Zeiten und dezent abzuholen sind, nachmittags oder abends." Begründung: "Das Pietätsgefühl unserer Bewohner sowie auch der Anwohner nehmen wir ernst."

Claus Dieter Wulf, Präsident des Bundesverbandes Deutscher Bestatter, zeigte sich schockiert, dass Verstorbene in Säcken auf Tragen abtransportiert worden sein sollen. "Wir werden diesen Vorwürfen jetzt nachgehen und dagegen vorgehen, wenn wir solche Bestattungsunternehmer ausfindig machen", versicherte er dem Leser-Botschafter.

So erreichen Sie den Leser-Botschafter: Schicken Sie bitte Ihre Alltagsärger-Fälle, kurz skizziert, mit Ihrer Telefonnummer per E-Mail an: Leserbotschafter@abendblatt.de oder an: Leser-Botschafter Ralf Nehmzow, Chefredaktion Hamburger Abendblatt, Axel-Springer-Platz 1, 20350 Hamburg.