Gestern Abend begannen die Lessingtage 2012 mit einer dramatischen Fassung von Navid Kermanis Roman “Dein Name“ in den Deichtorhallen.

Hamburg. Ein Treffen in der "Weltbühne", gleich muss Navid Kermani zu den Theaterleuten: Sie wollen ihm zeigen, wie sie das machen wollen in den Deichtorhallen. "Das" ist die Bühnenversion von Kermanis im vergangenen Jahr erschienenen Großwerk "Dein Name", eines Wort-Kolosses, der den Leser fordert, aber auch beschenkt. "Ich bin gespannt", sagt Kermani, "ich weiß selbst nicht genau, wie das auf der Bühne umgesetzt wird."

Am Mittwoch wurden die Lessingtage 2012 mit der Roman-Begehung in den Deichtorhallen eröffnet. Mehr als 30 Thalia-Darsteller interpretieren das romanhafte Tagebuch Kermanis, in dem er fünf Jahre seines Lebens zu Papier bringt. Kermani, der gebürtige Siegener mit iranischen Wurzeln, ist Orientalist, Essayist und Schriftsteller; sein Leben führte ihn, sein Buch führt uns von West nach Ost und umgekehrt. Kermani schreibt in "Dein Name" das Leben eines Mannes mit dem Namen "Navid Kermani" auf: Das ist ein Mann, der viel reist. Manchmal auch nur im Kopf. So spielt auch der Iran, das Land der Vorfahren, eine Rolle; Kermani spürt dem Leben des Großvaters nach. Und er berichtet - auf erzähltechnisch raffinierte Weise, die Fiktion mit Realität mischt - beinah obsessiv von den Erlebnissen seiner Hauptfigur, die zu den wichtigen Intellektuellen Deutschlands zählt.

Diese Figur, ein in Köln lebender Islam-Experte, hat ein Familienleben: kleine Tochter, erkrankte Ehefrau, Vater und Mutter, Geschwister. Sie hat Freunde und Kollegen, von denen einige sterben: Kermani, natürlich ist er diese Hauptfigur, schreibt ihnen würdevolle Nachrufe. Banales steht in Kermanis Buch neben Gewichtigem, er sagt: "Vieles ist real, manches erfunden. Ich spitze zu, ich erfinde."

Kermani, 44, ist körperlich kein allzu kräftiger, intellektuell aber ein sehr kraftvoller Mann, der selbst sehr genau liest und durchaus sauer wird, wenn andere es nicht tun: Aber welcher sich selbst ernst nehmende Autor wäre das nicht. Man kann mit Kermani locker über Literaturkritik und die Kategorie des Romans parlieren ("Sie wird gemeinhin zu eng gefasst"), leidenschaftlich wird er, wenn man ihn auf die Rezeption von "Dein Name" anspricht. Die Rezensionen zu dem für den Deutschen Buchpreis nominierten Roman waren meist positiv, manchmal wurde dem Autor der hohe Anspruch vorgeworfen. "Dabei ist das Buch weder avantgardistisch noch hermetisch", sagt er.

Was richtig ist, keine Frage. "Dein Name", erklärt Kermani, bilde im Roman das Schreiben eines Romans ab. Die Thalia-Leute nennen das, was sie mit "Dein Name" vorhaben, "eine Reise durch den Roman", wie es im Programm der Lessingtage heißt. Die Schauspieler haben sich die Themen ausgesucht undin Zusammenarbeit mit Kermani und dem Dramaturgen CarlHegemann die Texte zusammengestellt, die sie verwenden; "die Struktur des Textes wird ernst genommen", sagt Kermani. Was nichts anderes bedeutet als: die Themenvielfalt und die schier unübersichtliche Menge der Betrachtungen Kermanis so facettenreich wie möglich in Szene zu setzen. Die Veranstaltung soll den Charakter eines Happenings haben, und es sind neben Thalia-Schauspielern auch Persönlichkeiten aus der ganzen Stadt, die sich des Buchs annehmen. Und "das Unmögliche versuchen" (so die Veranstalter), nämlich "Dein Name" auch mit den Mitteln des Theaters zu interpretieren. Kermani ist glücklich mit dem Projekt. "Es ist ein Geschenk", sagt er. Man darf tatsächlich in froher Erwartung sein, was die dramatisierte Fassung angeht.

Manche sehen die deutsche Gesellschaft viel kritischer als Kermani

Und man wird mit Interesse verfolgen, was Kermani in seiner Festival-Eröffnungsrede am Sonntag im Thalia-Theater sagen wird. Es wird, so ist es angekündigt, eine patriotische Rede sein. Aber eine, die den Titel "Vergesst Deutschland" trägt. Es wird um die Zwickauer Terrorgruppe gehen, und ganz allgemein: um die Fragwürdigkeit eines Patriotismus, der oft in Gewalt umschlägt. Kermani: "Trotz unzähliger Hinweise hat der Verfassungsschutz im Falle des Terrornetzwerks nicht an einen Nazi-Hintergrund geglaubt. Was bedeutet das für unser Land?"

Kermani versteht so wenig wie jeder andere, der sich zu der Mordserie der Zwickauer Neonazis äußert, die Blindheit der Staatsorgane. Und trotzdem sagt er, dass es Menschen gibt, "die die deutsche Gesellschaft viel kritischer sehen als ich". Lessing ist übrigens ein gutes Stichwort. Der hat in einer bekannten Sentenz den Patriotismus als "heroische Schwachheit" bezeichnet, derer er gerne entbehre.

Bei den Lessingtagen 2012 spielen Navid Kermanis Denken und Kunst eine wichtige Rolle. Kann man sagen, dass seine unverhoffte theatralische Sendung ein großes Vergnügen für ihn ist? "Ich bin ein regelmäßiger Theatergänger und sogar ein verhinderter Regisseur. Als Schüler und noch als Student wollte ich immer ans Theater.", sagt Kermani. Zu Hamburg hat er übrigens eine besondere Beziehung: Seine Frau Katajun Amirpur ist seit einem halben Jahr Professorin an der Hamburger Akademie der Weltreligionen.

Die Welt im Ich - Das Ich in der Welt. Navid Kermanis Roman "Dein Name" heute, 18 Uhr, Deichtorhallen, Ende um 23 Uhr. Einlass bis 21 Uhr. Karten: 15 Euro an der Ak. oder T. 32 81 44 44. Vortrag 22.1., 11 Uhr, Thalia-Theater. Karten 11/6 Euro