Der chinesische Star-Regisseur Lin Zhaohua gastiert mit “Der Unterhändler“ bei den Lessingtagen am Thalia-Theater. Ein Besuch in Peking.

Peking. Und schon ist er wieder weg. Auf den Kreppsohlen seiner grünen leisen Treter entfleucht Lin Zhaohua über den abgewetzten Holzfußboden der kleinen Halle im People's Art Theatre in Peking. Neonlicht scheint auf Resopalverkleidungen, auf Klapptischen stehen Teekannen, Wasserflaschen, Plastikbecher. Die dekorativsten Elemente im Raum sind einige kunstvoll verzierte Kekse. Picknickflair am Rande der Hochkultur.

+++ DAS DOSSIER ZU DEN LESSINGTAGEN +++

Lin, 1936 in der chinesischen Hafenstadt Tianjin geboren, ist in der Volksrepublik ein Star. Er gilt als Erneuerer der Bühnenkunst, als Avantgardist und Sozialkritiker. Mehr als 70 Stücke hat er inszeniert. Seine Version von Shakespeares "Hamlet" war im Dezember 2010 in Peking bei Lins erstem großen Theaterfestival zu sehen. Ebenso wie das Hamburger Pendant unter der Regie von Luk Perceval. Nun, zu den Lessingtagen am Thalia-Theater, erfolgt der Gegenbesuch der chinesischen Kompanie in der Hansestadt. Heute und morgen zeigt Lin seine neue Produktion "Der Unterhändler", die in der Zeit Konfuzius' vor mehr als 2000 Jahren angesiedelt ist.

Die Heimat des Philosophen wird von Soldaten des Nachbarstaates belagert, weshalb er einen Schüler als Unterhändler schickt. Doch statt diplomatisches Geschick walten zu lassen, beginnt der Gesandte ein politisches Intrigenspiel. Der Konflikt, den Konfuzius eigentlich schlichten wollte, eskaliert und mündet schließlich in die "Zeit der Streitenden Reiche" (403-221 v. Chr.). Das Stück kreist um die Frage, ob humanistische Ideale im Krieg noch Bestand haben können. Somit passt "Der Unterhändler" bestens zu den Ideen von Menschenwürde und Toleranz, die das Thalia mit seinen zweiten Lessingtagen neu verhandeln möchte.

Lin selbst interessiert sich eher für andere deutschsprachige Autoren. 1994 inszenierte er in China Goethes "Faust", 2003 die "Lederfresse" von Helmut Krausser. Auch Heiner Müller zählt zu seinen Favoriten. Mit dem impulsiven Kulturmenschen ein Gespräch zu führen, ist eine Herausforderung. Zumal wenn sich drei Meter weiter sein Hamlet in Sein oder Nichtsein übt. "Er mag Lessings Stücke nicht so sehr, sie seien teilweise nicht so einfach zu verstehen", sagt Peng Li. Die Deutschstudentin soll das Interview übersetzen. Eine Transferleistung. Zum Glück ist Peng eine geduldige Brückenbauerin. Aber auch eine abgelenkte. "Den kenne ich aus dem Fernsehen und dem Kino", sagt Peng, rückt ihre Brille zurecht, deutet auf den chinesischen Schauspieler Pu Cunxin, der den Hamlet probt, kichert nervös und zückt ihre Digitalkamera. Der asiatische Superstar spricht Sätze, die klingen, als wolle er mit ihnen Holz hacken.

Lin läuft derweil los und holt sich eine Zigarette, steckt sie auf eine Spitze und zündet sie an, bevor er schließlich erläutert, was ihm der Kulturaustausch zwischen Deutschland und China bedeutet. Früher, erzählt er, während er sich seine faltengesäumten Augen reibt, da habe das Theater in China vor allem eine nationale Relevanz besessen. "Jetzt dient es auch der Völkerverständigung." Ende der 80er-Jahre, während der Jürgen-Flimm-Ära, war Lin schon einmal am Alstertor zu Gast, unter anderen spielte Ensemble-Mitglied Peter Maertens in seiner Inszenierung mit. Damals hätten sie Tai-Chi auf der Bühne gemacht.

Nach der Frage, ob er zwischen China und Deutschland unterschiedliche Regiehandschriften ausmachen könne, reden Peng und Lin lange miteinander. Der Tonfall hebt sich, wird spitz und laut, als würden sie streiten. Ob man sich Sorgen machen muss? "Nein", sagt Peng, "er ist zwar sehr direkt, aber ganz locker." Und was hat er nun gesagt? Die Übersetzung fällt überraschend knapp aus. Jeder Kollege arbeite individuell.

Auf Nachfrage zieht Lin dann doch einen Vergleich: "Die Deutschen denken viel, sie reden ständig über Philosophie." Das sei keine Kritik. Sein Ansatz sei nur intuitiver. Wer Lin erlebt, glaubt es sofort. Gerade noch scheint er über einem Manuskript eingenickt zu sein, da springt er auf und weist seine Darsteller ein, argumentiert, gestikuliert. Und raucht, bis die Asche zu Boden fällt.

Im Vergleich zur Bildsprache des deutschen Regietheaters wirken Lins Arbeiten traditionell, in China gelten sie als provokant. Eine Maxime dürfte ihn mit seinen westlichen Kollegen aber verbinden: "Wenn ich literarische Werke lese, müssen sie mich im Herzen berühren." Für die Entwicklung der Kulturform in China fühle er sich nicht verantwortlich, sagt er, zieht ein Fläschchen aus seiner Weste und riecht daran.

"Das benutzen alte Leute zur Beruhigung , erklärt Peng. "Das ist in China Tradition." Ein Gestriger ist Lin aber keineswegs. Bei den Proben wischt er versunken auf seinem iPhone umher. Den Trend zum Kommerz in seiner Heimat sieht er jedoch kritisch. "In Europa hat das Theater die Konkurrenz zu anderen Medien überlebt, ob die Bühnenkunst in China neben der boomenden Unterhaltungsindustrie bestehen kann, da bin ich skeptisch." Die Gefahr, dass Lin sang- und klanglos verschwindet, besteht kaum. Außer mitten im Gespräch. Auf leisen Kreppsohlen.

Der Unterhändler 28. + 29.1., 20.00, Thalia-Theater (S/U Jungfernstieg), Alstertor