Mit der Performance freier Theatergruppen vor dem Lessing-Denkmal möchte das Thalia seine Lessing-Tage mitten in die Stadt hinein tragen.

Hamburg. "Lessing, ist dir nicht kalt?", ruft ein Mädchen in dicker Jacke, Rock und Stiefeln dem Denkmal auf dem Gänsemarkt entgegen. "Lessing, du siehst gar nicht schlecht aus für dein Alter!", behauptet ein Junge lautstark von der 1881 errichteten Statue im Herzen Hamburgs.

Mit der Performance "Auf dem Gänsemarkt mittags halb eins" thematisiert der Kursus "Darstellendes Spiel" der Fachschule Sozialpädagogik in der Wagnerstraße, wie viele Passanten täglich an dem Dichter und Dramaturgen vorbeihasten. Schließlich verharren die Schüler vor der von Fritz Schaper entworfenen Bronzefigur und fragen: "Bist du nicht der Lessing?"

Ein solcher Aha-Effekt dürfte Joachim Lux, Intendant des Thalia-Theaters, mehr als recht sein. Denn mit dem szenischen Spiel freier Gruppen gestern Mittag am Gänsemarkt möchte er die Sonntag eröffneten Lessingtage bewusst auch mitten unter den Menschen der Hansestadt inszenieren. "Wir wollen nicht nur schöne Gastspiele zeigen", sagte Lux, "sondern in die Stadt hineingehen." So lässt sich bei literarischen Spaziergängen auch auf Lessings Spuren durch die Speicherstadt wandeln. Der auf den ersten Blick wenig hochkulturell anmutende Lessing-Tunnel in Altona wird mit Liebesbriefen beschallt. Und bei Hafenrundfahrten können sich die Passagiere, ganz im Geiste des Völkerverständigers, auf eine "Weltreise ohne Pass" begeben, bei der "Migrationsgeschichte(n) gestern und heute" erzählt werden.

Wie der - laut Lux - "Visionär Lessing" mit Toleranz Grenzen zu überwinden versuchte, inspirierte auch die weiteren Darbietungen auf dem Gänsemarkt. "Freundschaft ist bunt!", sangen die Viertklässler der Schule Rothestraße, während kleine Atemwolken aus ihren Mündern stoben. Das Theaterprojekt Eisenhans, in dem Akteure mit Behinderung spielen, setzte Zitate Lessings um - etwa: "Es sind nicht alle frei, die ihrer Ketten spotten."

In Ketten wurde Lessing zwar nicht gelegt. Doch verwiesen in Neon leuchtende Reifen um dessen Leib auf die Strahlkraft der Aufklärung. Die Eisenhans-Band warb mit ihrem eigens komponierten "Gänsemarkt-Blues" dafür, das Denkmal des Denkers mehr zu beachten. Und die Performance-Künstlerinnen der Uni Hamburg strickten sich nicht nur ihre eigene Wahrheit, sondern dem Dichter auch gleich einen langen Wollschal. Ein bisschen weniger kalt dürfte ihm jetzt sein - Gotthold Ephraim, auf seinem Sockel.