Der 19 Jahre alte Schüler Mel D. wird im S-Bahnhof Jungfernstieg erstochen. Elias A., der die Tat gestand, ist gerade erst 16 Jahre alt.

Neustadt. Kurz bevor im Bahnhof Jungfernstieg Blut floss, hatte die Gang um den mutmaßlichen Totschläger noch ein amateurhaftes "Gangsta-Video" gedreht. Es zeigt 20 Jugendliche, die finster in die Kamera blicken. Auf T-Shirts steht der Name ihrer Gang - "Neustädter Jungs". Vor ihnen traben Kampfhunde hin und her. In der zweiten Reihe steht ein Junge mit kurz geschorenen Haaren, davor reimt ein Mann in die Kamera, der sich als Rapper "Prinz Fero" nennt: "Pass auf dich auf! Nachts auf der Straße kriegst du Messer in den Bauch."

Am 14. Mai wird daraus blutiger Ernst. Der Junge aus der zweiten Reihe ersticht den 19-jährigen Schüler Mel D. im S-Bahnhof Jungfernstieg. Elias A ., der die Tat gestand, ist gerade erst 16 Jahre alt, aber schon seit Januar in der Intensivtäter-Datei der Staatsanwaltschaft aktenkundig.

Von Donnerstag an muss sich Elias A., vertreten vom renommierten Strafverteidiger Uwe Maeffert, vor dem Landgericht verantworten. Wegen Totschlags. Kamil K., 17, und Sebastian S., 17, - zwei der vier Freunde -, die ihn am 14. Mai begleiteten, sind wegen gefährlicher Körperverletzung angeklagt. Weil alle Beschuldigten unter 18 sind, ist die Öffentlichkeit vom Prozess ausgeschlossen. Den Angeklagten drohen maximal zehn Jahre Haft.

Der Senat kündigte nach der Tat am Jungfernstieg eine "kritische und konsequente Analyse" an, vielleicht auch wegen der zentralen Lage des Tatorts am Jungfernstieg. Das "gefühlte Sicherheitsempfinden" sei in Gefahr, hieß es in Regierungskreisen. Vier Wochen später räumten Spitzenpolitiker der GAL und CDU Fehler in der Zusammenarbeit ihrer Behörden ein. Die Schule von Elias A. war nicht über seine Straftaten informiert worden, die Staatsanwaltschaft hatte seine Gefährlichkeit nicht den Gerichten mitgeteilt, auch sei ein Verfahren damals langsamer als nötig gelaufen, hieß es. Das alles müsse verbessert werden, auch wenn es "absolute Sicherheit" nicht gebe.

Nach einem Angriff auf Polizisten in Neuwiedenthal im Juni gründete der Senat die Kommission "Gewalt im öffentlichen Raum" - bisher ohne Ergebnis. "Ende des Jahres stellen wir fundierte Maßnahmen vor", sagt Frank Reschreiter, Sprecher der Innenbehörde. Es habe aber bereits Treffen der Senatoren Heino Vahldieck (Inneres, CDU), Till Steffen (Justiz, GAL) und Dietrich Wersich (Soziales, CDU) gegeben.

Der Opferverband Weißer Ring sieht schnelleren Handlungsbedarf: "Der Staat muss einen jungen Menschen, der so auffällig geworden ist, nachhaltig und frühzeitig sanktionieren", sagt die stellvertretende Landesvorsitzende Kristina Erichsen-Kruse. "Das Konzept gegen Jugendgewalt hat im Fall Elias A. nicht gegriffen." Auch SPD-Innenexperte Andreas Dressel sagt, man brauche keine Arbeitskreise, sondern Maßnahmen. "Beim Senat stand mal wieder heiße Luft im Vordergrund." Immerhin sei der SPD nun Einsicht in die Akten gewährt worden. Während also die Gerichte den Fall juristisch beurteilen, kümmere sich die SPD um die "politische Aufarbeitung".

Laut Anklage trafen Elias A. und seine vier Freunde am 14. Mai um 21.30 Uhr am Bahnhof Jungfernstieg auf Mel D. und seinen Kumpel Beny A. Sie sitzen zunächst auf einer Bank am Bahnsteig der S-Bahn, als Elias A. und seine Begleiter die beiden passieren. Elias A. hat sich gerade mit seinem jüngeren Bruder Raphael gestritten. "Was guckst du so?", fragt er Beny A. Der springt auf und verpasst Elias A. einen Tritt. Als Beny A. hinter die Bank flüchtet, knöpfen sich die anderen Jugendlichen Mel D. vor. Nach Ermittlungen der Staatsanwaltschaft umringen sie den Altonaer Schüler, treten und schlagen auf ihn ein. Elias A. rammt ihm ein Messer in den Oberkörper. Zehn Zentimeter tief dringt die nur sechs Zentimeter lange Klinge ein, verletzt Lunge und Herz. Mel D. schleppt sich noch eine Treppe herunter und verblutet auf dem Bahnsteig der U 2.

Elias A. ist nahe dem Großneumarkt in der Neustadt aufgewachsen, er ist der Sohn eines Afghanen und einer Serbin. Auch seine Brüder - jeder von ihnen ist ebenfalls als Intensivtäter bekannt - sind nach Erzengeln und Propheten benannt: Raphael, 15, und Gabriel, 18. Die Polizisten, die Elias A. am 17. Mai festnehmen, kennen den Jungen, der dicke Goldketten und weite T-Shirts trägt. Die Nachbarn berichten von ständigem Ärger, sie seien bespuckt, beleidigt, geschlagen worden. Am 22. Juni wird die Wohnung geräumt - nachdem der 60-jährige Vater mit einer Waffe auf zwei Wachleute zielte.

20 Einträge umfasst Elias' Akte. Schon im März 2009 zertrümmerte er einem Referendar der Schule Arnkielstraße den Kiefer; das Verfahren wurde gegen fünf Tage Sozialarbeit eingestellt. Einen Monat später schlug er den Leiter eines Supermarkts zusammen - offenbar aus Rache für ein Hausverbot.