Hamburg. Schwules Sündenbabel bis Modeschuppen: Wo Madonna feierte – und Mick Jagger rausgeworfen wurde. Ein Club erlebte mehrere Schießereien.

„Oh, schon hell“: Nach einer langen Partynacht in Hamburg kann es immer passieren, dass die Tür, die hinter einem im Morgenlicht zufällt, nie wieder aufgeschlossen wird. Denn zur Clubkultur gehört auch ein steter Wandel, freiwillig oder erzwungen. In wie vielen Konzert- und Tanzschuppen in den vergangenen 60 Jahren die Lichter ausgegangen sind, ist nicht abzuzählen. Was bleibt, sind Erinnerungen, manche noch frisch, viele verblasst. Golem, Café Keese, Voilà, Brainstorm, Tempelhof. Headbanger‘s Ballroom, Punishment, After Shave, Posemuckel, Cleopatra, Grafitti, Rubin, Schallwerk. Wer erinnert sich noch?

Manchmal hat ein Club Glück (im Unglück) und wechselt über die Jahre nur die Adressen, wie Knust, Kir, Molotow, Cotton Club oder in Kürze PAL (die Neueröffnung am Congressplatz verzögert sich, wie gerade mitgeteilt wurde), Fundbureau und Waagenbau. Oder eine Adresse wechselt nur den Clubnamen, so wie das heutige Moondoo auf der Reeperbahn, das vorher mindestens zehn andere Namen trug, seit die Beatles dort im Top Ten spielten: La Cage, Titty Twister und Glam fallen einem noch ein.

Mit Pech aber ist ein Clubort wie das Sounds in Wandsbek, wo The Police 1979 ihr erstes Konzert in Hamburg gaben, für immer verloren. Umgewidmet zum Fitness-Studio oder Restaurant. Abgerissen und in einer neuen Rolle neu bebaut, gern als Hotel. Platt gemacht und mit Beton verfüllt für Brücken und Verkehrsprojekte. Oder einfach nur dem langen, langen Verfall als Bau- und Investitionsruine preisgegeben. Die Schicksale von einigen der legendärsten, prägendsten, verrücktesten und populärsten Feieradressen aus vergangenen Zeiten sind so vielfältig wie die jeweiligen Clubs an sich. Und doch ähneln sie sich, wie ein nostalgisch-sentimentaler Besuch an zehn Topadressen der Szene zeigt, um zu schauen, was bis heute aus ihnen geworden ist. Über allen schwebt als Zustandsbeschreibung der Türsteherspruch, den absolut niemand gern hören mag: „Heute nicht“.

Mehr zum Thema

Star-Club (Große Freiheit 39)

Der Star war der Club: Kein anderer Schuppen hat Hamburgs Ruf als Livemusikstadt so entscheidend geprägt wie der Star-Club auf der Großen Freiheit 39. Im April 1962 eröffnet, spielten dort die Rock-‘n‘-Roll- und Rhythm-&-Blues-Stars, die in den 50ern noch nicht nach Hamburg kommen durften: Chuck Berry, Little Richard, Fats Domino und Ray Charles, nicht zu vergessen vielversprechende junge Bands wie The Beatles, The Rattles, The Searchers und später Cream, Jimi Hendrix, Colosseum, Spooky Tooth und die noch als Earth bekannte Band Black Sabbath. Mit dem Auftritt von Hardin & York am 31. Dezember 1969 endete die Geschichte des Star-Clubs aber auch schon. Diskotheken wie das Grünspan ein paar Meter weiter waren angesagter.

„Party wie auf Malle“: An dieser Stelle standen bis 1983 Star-Club und Salambo. Nach einem Brand wurde das Gebäude drei Jahre später abgerissen für diesen Neubau.
„Party wie auf Malle“: An dieser Stelle standen bis 1983 Star-Club und Salambo. Nach einem Brand wurde das Gebäude drei Jahre später abgerissen für diesen Neubau. © Tino Lange | Tino Lange

Ex-Geschäftsführer Horst Fascher versuchte im Dezember 1978, den Star-Club an neuer Stelle am Alten Steinweg 43 wiederzubeleben, scheiterte aber schnell. An die alte Adresse hingegen zog Anfang der 70er-Jahre das Live-Sex-Cabaret Salambo, bis das Gebäude im Februar 1983 aus ungeklärter Ursache abbrannte. Drei Jahre später wurde die Ruine abgerissen und ein Neubau errichtet, in dem sich von 1990 bis 2011 das Rock-Café St. Pauli befand. Hier feierten angeblich Metallica und Iron Maiden ihre Aftershow-Partys. Jetzt ist an der Großen Freiheit 39 auf der so genannten Kiez Alm eher „Party wie auf Malle“ das Motto oder man trinkt ein Bierchen in der Kneipe Highway. An den Star-Club erinnert immerhin noch ein Gedenkstein mit den Namen diverser Musiklegenden im Hof. Eine, die nicht im Star-Club spielte, studierte die Namen vor ein paar Jahren gedankenverloren: Bob Dylan.

Anstehen für Jazz und Folk: Onkel Pö am Lehmweg 1979.
Anstehen für Jazz und Folk: Onkel Pö am Lehmweg 1979. © ullstein bild | Wolfgang Steche

Onkel Pös Carnegie Hall (Lehmweg 44)

Rentnerband und Dixieland. Pineau und Pils. Otto und Udo. Die Geschichte von Onkel Pö, der verqualmten Jazzbutze am Mittelweg in Pöseldorf und ab 1970 am Lehmweg in Hoheluft-Ost gehört zu den absoluten Klassikern der Hamburger Clubkultur. Hier spielten seinerzeit alle, die im Jazz was zu sagen hatten, von Chet Baker über Art Blakey bis Dizzy Gillespie – und natürlich Al Jarreau, der im Pö (offiziell Onkel Pös Carnegie Hall, sagte aber keiner) seiner Weltkarriere maximalen Schub gab. Auch die „Hamburger Szene“ mit Udo Lindenberg, Lorenz „Lonzo“ Westphal, Otto Waalkes und Rentnerband ging hier spät nach Hause und am 15. Februar 1981 gab sich eine junge Band die Ehre, die noch den ganzen Planeten erobern sollte: U2.

Pasta und Pizza statt Pineau und Pils: Von 1970 bis 1985 war diese Ecke am Lehmweg für Onkel Pös Carnegie Hall reserviert. 
Pasta und Pizza statt Pineau und Pils: Von 1970 bis 1985 war diese Ecke am Lehmweg für Onkel Pös Carnegie Hall reserviert.  © Tino Lange | Tino Lange

Neujahr 1986 schlossen sich die Türen der „Karnickelhalle“ endgültig, sie hatte ihre große Zeit lange überlebt, und die PA-Anlage des Clubs hatte dem Gemäuer über die Jahre übel mitgespielt. Zwar klingeln am Lehmweg immer noch die Gläser, aber scheppern tut nur noch das Geschirr: Nach dem Pö zog erst das Restaurant Legendär ein, später eine Schweinske-Filiale und derzeit ein Ableger der Gastro-Kette Mama. Aber solange Udo Lindenberg noch „Alles klar auf der Andrea Doria“ singt, bleibt der Club präsent: „Bei Onkel Pö spielt ‘ne Rentnerband seit zwanzig Jahren Dixieland ...“

Marquee und Tanzhalle St. Pauli (Friedrichstraße 37/Silbersackstraße 27)

Ein gemischtes Doppel: Heute ist der Bereich zwischen dem Ausgang der Friedrichstraße und der Balduinstraße/Ecke Silbersacktwiete ein eher unangenehmer Drogenumschlagplatz. Aber vor vielen Jahren waren sich dort kurz zwei benachbarte Clubs architektonisch sehr ähnlich, musikalisch aber völlig unterschiedlich. In der Friedrichstraße residierte von 1991 an bis 2002 das Marquee, wo es im ehemaligen Sado-Maso-Büdchen harten Rock live von Faith No More, The Offspring, Kyuss und Guano Apes auf die Nuss gab. 60 Meter weiter trat 2001 die Tanzhalle St. Pauli die Nachfolge des Sam Basil an, und das mit mörderischen Elektro-Beats, die das Motto der monatlichen Reihe „Würdelos Altern“ wörtlich nahmen. Und wenn die Sonne aufging, fing der „Astoria Frühclub“ erst an.

Dieser Schuppen hat alles erlebt: 2001 eröffnete dort die Tanzhalle St. Pauli, 2013 übernahm das Rockcafé, seit 2016 ist das Gebäude ungenutzt.
Dieser Schuppen hat alles erlebt: 2001 eröffnete dort die Tanzhalle St. Pauli, 2013 übernahm das Rockcafé, seit 2016 ist das Gebäude ungenutzt. © Tino Lange | Tino Lange

Und doch haben sich die Rock- und Elektro-Hütten später ein Stück vereint. Das Marquee schloss wie gesagt 2002 und wurde abgerissen, heute befindet sich an der Adresse ein Wohnungsneubau. Gerockt wurde stattdessen in der Tanzhalle: Dort zog 2013 das Rockcafé St. Pauli ein, das in den Jahren davor an der Großen Freiheit das Adressenerbe des Star-Clubs verwaltete. Mit 150 Konzerten im Jahr und Partys und einem fantastisch mondänen Backstagebereich wurde der Club zum Liebling auch von Bands, die sonst in Hallen spielten, Danko Jones zum Beispiel. 2016 aber wurden die Verstärker endgültig abgestöpselt, seitdem wartet der langsam verfallende Bau auf seinen Abriss und einen geplanten Hotelneubau, der vielleicht nie kommen wird.

Palladium (Bramfelder Straße 42)

Barmbek-Nord ist, was Clubkultur betrifft, nicht wirklich mit Überfluss gesegnet. Sinnbildlich dafür steht ein graffitiverschmiertes, verrottetes Gebäude an der Bramfelder Straße: Dort wurden 1958 die Radiant Barmbek Lichtspiele eröffnet, aus denen schon 1963 der Tanzpalast Fürstenhof wurde: Schwof zu Schlager, Pop und Disco vom Plattenteller und live von Marianne Rosenberg, Jürgen Drews und Baccara. Anfang der 90er wurde es auf der ersten großen Techno-und House-Welle in Deutschland auch in Barmbek so wild wie in Clubs wie Tunnel, Voilà, Front, Unit oder Pleasure Dome: Aus dem Fürstenhof wurde das Palladium, ein Tempel für Tausende. Bis 1996 nahmen die Feiernden und die Türsteher die Devise „Beats und Ballern“ allerdings zu genau. Nach mehreren Schießereien und Waffenfunden im Hof kam der Club hinter Schloss und Riegel.

Das ehemalige Palladium an der Bramfelder Straße in Barmbek-Nord verfällt seit 1996.
Das ehemalige Palladium an der Bramfelder Straße in Barmbek-Nord verfällt seit 1996. © Tino Lange | Tino Lange

Mehrfach versuchte der letzte bekannte Eigentümer, den Club zu sanieren und wieder zu eröffnen, aber das Budget reichte nie und Investoren blieben aus. Auch Ideen, den von der Straße aus gesehen übersichtlichen, aber tatsächlich beachtlich großen Komplex mit Wohnungen, Fitnesscenter und Gastronomie umzubauen versandeten. Und so verblasst die Erinnerung an das Palladium ebenso wie die Einrichtung hinter dem Kino-Kassenhäuschen am Eingang: Discokugel, Empore, Sitzgruppen und Schnapsflaschen stauben seit bald 30 Jahren vor sich hin und singen Marterias „Kids“: „Keiner fälscht mehr Stempel, alle gehen schwimmen. Jeder steht jetzt auf der Liste, niemand geht mehr hin.“ Aber: Dort reiften die ersten Pläne von Palladium-DJ Mirko von Schlieffen und Stammgast Christopher von Deylen, ein Musikprojekt zu gründen: Schiller.

Front (Heidenkampsweg 32)

Was das Berghain in seinen frühen Jahren in Berlin war, war von 1983 bis 1997 das Front in Hammerbrook: Ein Sündenbabel schwuler Feierkultur (passenderweise im Kontorhaus Leder-Schüler) und als einer der ersten deutschen House-Clubs weltweit empfohlen. Im brutalistischen, graunebligen Ambiente mit blinkender „Danger“-Warnung gaben Gast-DJs wie Frankie Knuckles, aber vor allem die stilbildenden Residents Klaus Stockhausen und Boris Dlugosch den Ton an. Allerdings sah man die nicht durch die Bunkerschlitze der DJ-Kanzel. Frauen waren übrigens außer an Freitagen auch gern willkommen. Der Keller hat zwar schon vorher viel erlebt (dort residierten vor dem Front der Cotton Club und das Danny‘s Pan, wo Otto Waalkes, Mike Krüger, Reinhard Mey und viele weitere junge Talente heranreiften), aber was vor allem in den ersten Jahren im Front abging, ist mit hemmungsloser Exzess nur hinreichend beschrieben. Irgendwie muss das Gerücht, dass über die Belüftung die Schnüffeldroge Poppers verströmt wurde, ja entstanden sein.

Das Kontorhaus Leder-Schüler an der Ecke Heidenkampsweg/Nordkanalstraße beherbergte zahlreiche Clubs, so auch von 1983 bis 1997 das Front.
Das Kontorhaus Leder-Schüler an der Ecke Heidenkampsweg/Nordkanalstraße beherbergte zahlreiche Clubs, so auch von 1983 bis 1997 das Front. © Tino Lange | Tino Lange

Und seinerzeit war Hammerbrook tatsächlich ein Szene-Hotspot. Im gleichen Gebäude wie das Front residierte oberirdisch auch der Rockclub Zillo (später Tonwerk) und fußläufig wummerten in der Amsinckstraße in den 80ern Reggae und Soul im Third World und in den 90ern unter der Bahntrasse am Anckelmannsplatz Techno im Pleasure Dome. Im Ex-Front zogen über die Jahre Clubs wie Shake! und Tropicana ein. Das ist alles vorbei. Das Kontorhaus Leder-Schüler, von Chile-Haus-Erbauer (und NS-Antisemit) Fritz Höger 1928 errichtet, sollte eigentlich zum Hotel umgebaut werden. Aber die Machbarkeitsstudien ergaben, dass das Baudenkmal marode und einsturzgefährdet ist. 2019 wurde es geräumt und wartet seitdem auf den Beginn der Abbrucharbeiten. Über dem ehemaligen Eingang des Front weiß ein Graffiti: „Das Ende hat begonnen.“

Heinz Karmers Tanzcafé (Budapester Straße 5)

Das Karmers ein Rattenloch zu nennen, wäre noch schöngefärbt. Die versiffte Schänke an der Budapester Straße war in den 80er- und 90er-Jahren eine von vielen, die St.-Pauli-Fans und Nachtschwärmern vor dem Absturz den letzten Auftrieb nahmen. Alles klebte, alles bappte in dem kleinen Würfel, in dem es noch brülllauter zuging als auf der zugigen Kreuzung davor. Doch als die Hamburger Schule, die damals noch übersichtliche Indieszene, den Schuppen Mitte der 90er in Beschlag nahm, war Heinz Karmers Tanzcafé plötzlich ebenso populär wie alte Trainingsanzüge. Das Abgelebte wurde abgöttisch abgeliebt, und wenn keine Musik aus dem Kassettenrecorder lief, spielten Boy Division und Tocotronic, die zum beweglichen Inventar gehörten, live auf dem besudelten Untergrund: „Ich möchte Teil einer Jugendbewegung sein“, diese Jugendbewegung nahm das Karmers bei seiner Schließung 1997 sprichwörtlich auseinander.

Hier war Tocotronic in den 90ern Teil einer Jugendbewegung: Wo Touristen im Hotel-Neubau übernachten, stand einst Heinz Karmers Tanzcafé.
Hier war Tocotronic in den 90ern Teil einer Jugendbewegung: Wo Touristen im Hotel-Neubau übernachten, stand einst Heinz Karmers Tanzcafé. © Tino Lange | Tino Lange

Was folgte, war das offensichtlich übliche Bild in der Geschichte der Hamburger Stadtentwicklung. Ein Club verschwindet, ein Hotel entsteht. So erging es dem Hip-Hop-Club Powerhouse wenige Meter weiter in der Simon-von-Utrecht-Straße (East Hotel) und auch Heinz Karmers Tanzcafé. Allerdings dauerte es ein wenig, bis am eingeebneten Karmers-Standort Neues entstand: 23 Jahre später im November 2020 eröffnete das Premier Inn.

Click/Phonodrome/Echochamber/Weltbühne (Nobistor 24)

Die Club-Geschichte des ehemaligen C&A-Kaufhauses am Nobistor ist so kurz wie heftig: Von 2002 bis Neujahr 2006 folgten dort mehrere Clubs den Pionierschritten des dort in den 90ern kurz ansässigen Techno-Clubs Unit: Unten ballerte es böse im Phonodrome (später KdW), in der Mitte zelebrierte man Berliner Minimalismus im Click, oben groovte das Echochamber. Und irgendwo mittendrin gelangte man über eine defekte kleine Rolltreppe in den Mikro-Liveclub Weltbühne. An den Wochenenden glich der Komplex einem wummernden, wackelnden und zitternden Bienenstock, im Treppenhaus mischten sich die Schlangen und an den breiten Fensterfronten setzte sich der Schweiß ab. Hier wurde der später im Club Südpol verfilmte Roman „Sowas von da“ (2011) von Weltbühnen-Mitbetreiber Tino Hanekamp über eine letzte Partynacht geboren.

Bienenstock: Von 2002 bis Neujahr 2006 tanzte man am Nobistor im ehemaligen C&A-Kaufhaus in den Clubs Click, Echochamber, Weltbühne und Phonodrome. Sie mussten dem Erweiterungsbau der Helios Endo-Klinik weichen.
Bienenstock: Von 2002 bis Neujahr 2006 tanzte man am Nobistor im ehemaligen C&A-Kaufhaus in den Clubs Click, Echochamber, Weltbühne und Phonodrome. Sie mussten dem Erweiterungsbau der Helios Endo-Klinik weichen. © Tino Lange | Tino Lange

Die Abrissbagger legten nahezu direkt nach den finalen Feiern los. Bereits 1994 hatte die private Endo-Klinik das Grundstück erworben und begann 2007 mit dem 2009 eingeweihten Erweiterungsneubau, der mit seiner strahlendhellen, nüchternen Fassade das genaue Gegenteil des verwitterten und verschmierten C&A-Clubklotzes ist. Aber einige der damaligen Clubbetreibenden schlossen sich zusammen und eröffneten im Feldstraßenbunker in der ehemaligen Edeldisco J‘s den Live- und Partyclub Uebel & Gefährlich. Die letzte Partynacht endet am Morgen vor der nächsten. So was von.

Moloch (Stockmeyerstraße 43)

Am Donnerstag in den Club und Montag wieder raus. Oder waren es Freitag und Sonntag? Die Gesetze von Zeit, Raum und Schwerkraft waren von 2014 bis 2019 aufgehoben im Moloch im Oberhafenquartier. Mit endlosen Rave-Marathons, aber auch fairen Preisen, alternativem Anspruch und charmant-trashiger Deko innen wie außen setzte der vom Gängeviertel-Kollektiv betriebene Club Maßstäbe und gab den Puls in dem Kreativquartier mit seinen zahlreichen Studios und Ateliers vor. Ähnlich wie der Südpol in der Süderstraße schaffte es „Mutti“, wie Stammgäste das Moloch-Team nannten, ein großes Publikum fernab der üblichen Ausgehviertel St. Pauli und Schanze anzuziehen und dabei trotzdem unter dem Radar der Öffentlichkeit zu bleiben. Was gewisse Freiheiten beim Ausleben persönlicher Lebensstile ermöglichte.

In und um dieses jetzt ausgehöhlte Backsteinklötzchen im Oberhafenquartier wurde von 2014 bis 2020 im Moloch und in der Anderswelt wild gefeiert.
In und um dieses jetzt ausgehöhlte Backsteinklötzchen im Oberhafenquartier wurde von 2014 bis 2020 im Moloch und in der Anderswelt wild gefeiert. © Tino Lange | Tino Lange

Aber es kam, wie es kommen musste. Die immer weiter heranrückende Wohnbebauung in der HafenCity zog vermehrt Lärmbeschwerden von Zugezogenen nach sich. Und geeignete Schallschutzmaßnahmen wären sowohl finanziell als auch baulich eine Herausforderung gewesen, die das Moloch lieber nicht eingehen wollte. Stattdessen wurde das Areal seit 2016 mehr oder weniger sanft mit Soft-Closing-Partys und dem temporären Club Anderswelt bis 2020 stillgelegt. Heute ist das, was vor der Pandemie Hamburgs vielleicht bester Club war, entweder eingerüstet und entkernt oder planiert für die Bauarbeiten am Oberhafentunnel unter der Bahntrasse hindurch zur Versmannstraße.

Weiße Hemden, durchgeschwitzte Sakkos: Die Tanzfläche im Trinity kurz vor Feierabend 1991.
Weiße Hemden, durchgeschwitzte Sakkos: Die Tanzfläche im Trinity kurz vor Feierabend 1991. © action press | KIRCHHOF,AXEL

Trinity (Eimsbütteler Chaussee 5)

Hamburg ist beim besten Willen nicht mal ansatzweise New York, und das Trinity in Eimsbüttel war auch nicht Hamburgs Studio 54. Es war noch krasser. Mehrere Millionen D-Mark wurden 1978 in den ehemaligen Film- und Tanzpalast verbaut, mit Schwerpunkt auf einer Lichtanlage, die wie die Geburt einer Galaxie wirkte und mit einem Soundsystem mit über 30 ausgefeilt verteilten Boxen, um Tausend Feiernde zu unterhalten. Was noch fehlte, war der Glamour, den Grace Jones mit einem Einritt auf einem Schimmel weckte oder Depeche Mode (anschließend auch Duran Duran, New Order und Front 242) mit einem heute sagenumwobenen Konzert 1982. In den ersten Jahren wusste die Boulevardpresse nicht, welche Namen sie in den Klatschkolumnen fetten sollte: Prince, Madonna, Billy Idol? Ja, im Trinity wurde richtig einer rausgehauen, vor allem, wenn man es sich mit dem Türpersonal verscherzte.

Damals Nobel-Disco, heute Showpalast: Von 1978 bis 1993 war das Trinity Eimsbüttels Studio 54. 
Damals Nobel-Disco, heute Showpalast: Von 1978 bis 1993 war das Trinity Eimsbüttels Studio 54.  © Tino Lange | Tino Lange

Dafür, dass das Trinity ein Model- und Modeschuppen für die Party-Noblesse war, hat es erstaunlich lange durchgehalten, im ersten Versuch bis 1986, insgesamt nach einigen Namen- und Betreiberwechseln bis 1992. Aber irgendwann wird in diesem Milieu aus Hype nicht selten Hybris, bis der letzte Krümel Koks vom Klodeckel gerüsselt und der letzte VIP nur noch Very People ist. Aber das Trinity hat seine Spuren hinterlassen und einen reichen Legendenschatz, so wie es sich für einen Club gehört, der mit dem Studio 54 auf Augenhöhe sein wollte. Seit 1993 ist das Plüschgestühl alter Kinotage zurück, aus dem Trinity wurde das Musical- und Revue-Theater Delphi Showpalast. Ein Programm gibt es dort aber auch schon seit Jahren nicht mehr: Die einstige oberste Spitze der Party-Wohlstandspyramide kann man jetzt für Weihnachtsfeiern mieten.

Gewusel auch vor der Tür: Das Traxx in den Kasematten in der Altländer Straße 1998.
Gewusel auch vor der Tür: Das Traxx in den Kasematten in der Altländer Straße 1998. © action press | KIRCHHOF,AXEL

Traxx (Altländer Straße 8)

Wenn in einem Club Champagner nicht getrunken wurde, sondern direkt aus den Flaschen gestemmt, dann im Traxx in den Kasematten hinter den Deichtorhallen. Nur zufällig deckte sich das Eröffnungsjahr 1992 mit dem Ende des Trinity, aber viele bekannte Gesichter wie das von Michael Ammer, Trinity-Türsortierer und Veranstalter der „Modelnacht“-Sausen („Stutenmarkt für Prominente“, sagt ein Zeitzeuge), waren bis 1999 an der Altländer Straße zu sehen, wie sie leicht angebrütet durch den Lärm in das Mikro von Hamburg1-„Party Patrol“-Moderatorin Jeannie-X alias Uli Scheffler (später Sängerin von Lotto King Karls Barmbek Dream Boys) schrien. House, Charts und Remixe brachten die Meute zur Raserei oder zur Flucht durch den Durchbruch zum rockigeren Roxx in der Kasematte nebenan. In seinen Hochzeiten war es im Traxx so eng, dass es einem die High Heels auszog.

B-Prominenz unter Beton: Im Traxx (und links daneben im Roxx) wurde bis 1999 gefeiert. Seitdem stehen die Kasematten unter den Fernbahngleisen hinter den Deichtorhallen leer. Dieses Jahr sollen sie wieder belebt werden.
B-Prominenz unter Beton: Im Traxx (und links daneben im Roxx) wurde bis 1999 gefeiert. Seitdem stehen die Kasematten unter den Fernbahngleisen hinter den Deichtorhallen leer. Dieses Jahr sollen sie wieder belebt werden. © Tino Lange | Tino Lange

1999 fuhr das Traxx auf das Abstellgleis, und die Kasematten verfielen oder wurden als Lagerflächen benutzt. Dennoch blieb das Traxx im kollektiven Gedächtnis als Star-Club der Sternchen. Eine Neueröffnung in der Danziger Straße auf St. Georg wurde 2014 nach nur drei Tagen aus Lärmschutzgründen beendet. Aber jetzt nehmen bereits 2012 veröffentlichte Pläne, die Kasematten wieder zu nutzen, konkretere Formen an. Nach Abschluss der jahrelangen Arbeiten der Bahn zur Nachverstärkung der Gewölbe sollen jetzt Clubs, Läden und Gastronomie unter zwölf der Betonschalen einziehen. Als Pioniere wollen die Sternbrücken-Clubs Fundbureau und Beat Boutique noch in dieser ersten Jahreshälfte eröffnen, wenn auch nicht im Ex-Traxx, sondern auf der Rückseite in der Oberhafenstraße.

Wackeliges Irrenhaus: Das Madhouse am Valentinskamp in seiner ersten Form 1988. 1996 wurde das Gebäude abgerissen und das Madhouse zog in den Keller eines Neubaus.
Wackeliges Irrenhaus: Das Madhouse am Valentinskamp in seiner ersten Form 1988. 1996 wurde das Gebäude abgerissen und das Madhouse zog in den Keller eines Neubaus. © ullstein bild | Wolschina

Madhouse (Valentinskamp 46)

Die Verrückten waren in der Stadt: 31 Jahre, von 1969 bis 2000, war das Madhouse am Valentinskamp die erste Adresse für Hamburgs Rockfans und ihre Idole wie Mick Jagger, Iggy Pop und David Bowie, die dort ihre Aftershows zelebrierten. Als eine der ersten Hamburger Diskotheken neben dem Grünspan wurde in dem wackeligen Ziegeltürmchen (und ab 1996 im Keller eines Neubaus nebenan) den aktuellen und ewigen Stromgitarrenhits gehuldigt, die Club-Unikum DJ Axel kurzatmig wie Bratkartoffeln auf den Vinyl-Teller wuchtete. Da die Tanzfläche unter einem halbierten VW-Käfer an der Decke eher klein war, hatte man auch unter der Woche oft ein volles Irrenhaus, das es sich auch leisten konnte, einen Mick Jagger herauszuwerfen, weil er seine Zeche nicht begleichen wollte. Eine dieser unzählbaren, nicht mehr verifizierbaren Legenden, die sich um das Madhouse ranken. Die schönste ist eigentlich die unrockbarste: Nach einem seiner Konzerte 1994 in der Sporthalle und auf dem Großmarkt soll Meat Loaf – als wäre es das Selbstverständlichste der Welt – vier Stunden lang Gläser gespült haben.

Im Keller unter diesen Neubauten befand sich das Madhouse. Zuletzt wurde hier bis 2022 im Yoko gefeiert. 
Im Keller unter diesen Neubauten befand sich das Madhouse. Zuletzt wurde hier bis 2022 im Yoko gefeiert.  © Tino Lange | Tino Lange

Aus Gesundheitsgründen musste Inhaber Manfred Knop das Madhouse im Herbst 2000 aufgeben. In den fünf Jahren danach folgten mehrere, teilweise konkurrierende Madhouse-Neueröffnungen sowohl am Valentinskamp, am Hans-Albers-Platz und in Niendorf, aber es war nur noch das qualvolle Sterben einer Marke mit elenden Prozessen und Konzessionsentzügen. Heute findet man am Standort des Originals nur noch einen Friseursalon und einen Kiosk. Und die veschlossene Tür des Yoko. Die beliebte Bar war 2017 (im Todesjahr von Madhouse-Legende Manfred Knop) aus dem Karoviertel an den Valentinskamp gezogen und hatte als Nachfolger des Infinity auch den Madhouse-Keller für Technopartys und Konzerte in Beschlag genommen. Aber auch diese Phase hat Pandemie und Lärmbeschwerden nicht überstanden und endete 2022.

Klubsen (Wandalenweg 7)

Immer wieder gab es Versuche, die Clubkultur in Hammerbrooklyn nach der Hochzeit des Front wiederzubeleben. So eröffnete im November 2004 in den Lagerhallen eines Elektrogroßhandels in der Nordkanalstraße der Hamburger Ableger des berühmten Ibiza-Clubs Pacha, der sich zum weltweit operierenden Franchiseunternehmen entwickelt hatte. In Hammerbrooklyn hielt die Pacha-Filiale aber kein Jahr aus (Hammerbrook ist auch nicht gerade Ibiza), und aus der Insolvenzmasse zauberte die Pferdestall GmbH (Betreiber von Pony Bar, Kulturhaus 73 und Astra Stube) 2008 den Festplatz Nord, eine Mietlocation über drei Ebenen für Firmenfeiern und Produktevents. Verwirrenderweise gründeten die Pferdis 2010 in denselben Räumlichkeiten, nur mit anderer Adresse (Wandalenweg statt Nordkanalstraße) das Klubsen, einen festen Club für Konzerte und Partys von Hip-Hop bis Metal. Das Raumkonzept und das Programm waren so durchdacht wie ambitioniert. Nur die Lage war ein Problem.

Auf dieser Brache zwischen Nordkanalstraße und Wandalenweg in Hammerbrook befand sich von 2010 bis 2017 das Klubsen.
Auf dieser Brache zwischen Nordkanalstraße und Wandalenweg in Hammerbrook befand sich von 2010 bis 2017 das Klubsen. © Tino Lange | Tino Lange

Kultursenator Brosda sagt, ihm werde oft erzählt, „wie wenig Lust die Leute hatten, sich in den Bus Richtung Hammerbrook oder in die Bahn zum Berliner Tor zu setzen“. Rund um das gelb geklinkerte Klubsen war Beton nicht Gold, sondern einfach Zement, Steine und Wasser. Und gerade nachts musste man in dieser Gegend schon Batman sein, um sich nicht zu gruseln. 2017 ließ man den Pachtvertrag des Klubsen daher auslaufen, und 2019 wurden die Hallen von Baggern weggeknabbert. Heute findet man auf dem Areal eine grasüberwachsene Brachfläche. Und ein Hotel. Was auch sonst.

Literatur-Tipps: Tino Hanekamp: „Sowas von da“ (KiWi), Ulf Krüger: „Star-Club – Der bekannteste Beat-Club der Welt“ (Hannibal Verlag), Holger Jass: „Mein Onkel Pö“ (Offline-Verlag), Kevin Goonewardena: „Sub & Pop: Ein Guide zur Alternativ- und Untergrundkultur der Stadt“ (Junius Verlag), Christoph Twickel: „Läden, Schuppen, Kaschemmen: Eine Hamburger Popkulturgeschichte“ (Edition Nautilus)